Bielefeld. Erst seit dieser Woche ist Arminia Bielefelds neuer Trainer Rüdiger Rehm im Amt. Im großen Interview spricht der 37-Jährige unter anderem über seine Spiel-Philosophie.
Haben Sie sich schon bei Herrn Weinzierl und dem FC Schalke 04 bedankt?
Rüdiger Rehm: Nein, habe ich nicht (lacht). Grundsätzlich denke ich, dass man im Fußball nicht etwas geschenkt bekommt von irgendjemand anders, sondern man sich so etwas immer verdient. Das Trainer-Karussell hat sich gedreht. Früher waren es fast nur die Spieler, die verkauft wurden. Jetzt ist es mal so, dass es die Trainer getroffen hat. Das wird es in Zukunft öfter geben. Trainer sind in den letzten Jahren immer wichtiger geworden. Nicht nur der individuelle Spieler ist entscheidend, sondern der Teamplan.
Welche Rolle hat Ihre Familie bei der Entscheidung für Bielefeld gespielt?
Rehm: Wir haben natürlich damit gerechnet, dass es passieren kann, dass ich umziehe, wenn ich diesen Job annehme. Da muss man bereit sein, eine Entfernung in Kauf zu nehmen. Ich bin ja nicht das erste Mal weg. Auch früher gab es immer Zeiten wie Trainingslager oder Auswärtsspiele. Meine Familie und ich haben bisher alles bewältigt.
Sie standen auch in Kontakt mit Karlsruhe und Kaiserslautern. Was hat den Ausschlag für Arminia gegeben?
Rehm: Für Arminia hat klar die sportliche Situation den Ausschlag gegeben, die hat mich total überzeugt. Da passte das Gesamtpaket. Ich habe das Gefühl gehabt, dass Arminia absolut überzeugt davon ist, was ich bisher gemacht habe und dass ich das beim DSC einbringen kann. Wenn eine Mannschaft größtenteils zusammengeblieben ist, weißt du, dass eine Basis da ist. Diese wurde auch von Norbert Meier super gelegt. Jetzt bin ich da und versuche meinen Plan, meine Philosophie ins Team zu bringen.
Welche Philosophie verfolgen Sie im Fußball?
Rehm: Ich habe einen klaren Plan im Kopf, für den es aber unterschiedliche Ausrichtungen gibt. Beispiel Pressing: Wenn ich 0:1 hinten liege, muss ich schauen, dass ich den Gegner unter Druck setze. Wenn ich zu Hause spiele und der Gegner gar nicht das Spiel machen will, müssen wir sehen, dass wir uns annähern und in die Pressingsituationen kommen. Die Art und Weise, wie wir pressen wollen, ist immer gleich, der Unterschied ist, auf welcher Höhe wir anfangen.
Gibt es Parallelen zu Uwe Rapolder in Sachen Philosophie – Stichwort Vertikalspiel?
Rehm: Ich glaube, dass Uwe ein sehr, sehr wichtiger Part war im deutschen Fußball. Er war sicherlich einer der ersten, der Muster und Automatismen eingeführt hat und einer der Verfechter des Vertikalspiels, des schnellen Spiels in die Spitze. Und auch einer, der mich sehr geprägt hat.
Sie waren in Ihrer aktiven Zeit ein konsequenter Abwehrspieler und halten mit Willi Landgraf den Zweitligarekord mit neun Roten Karten. Wie stellen Sie sich heute die Abwehrarbeit vor?
Rehm (lacht): Genau so intensiv, aber mit weniger Platzverweisen. Die Platzverweisstatistik verfolgt mich, aber damit kann ich leben. Torjäger konnte ich nicht werden, da musste ich einen anderen Rekord aufstellen. Die Defensivarbeit muss konsequent sein. Dafür ist eine extreme Laufarbeit nötig, wenn der Gegner unter Druck gesetzt wird, kann er weniger genaue, ruhige Pässe spielen.
Wie bewerten Sie Arminia Bielefelds Defensivleistung in der abgelaufen Saison?
Rehm: Die Kompaktheit war hervorragend. Es gab wenig Gegentore. Individuell und als Mannschaft stand Arminia gut. Mit zwei Sechsern, die zumindest mal Innenverteidiger waren und eher defensiv denkende Spieler sind. Vielleicht ist das auch der Grund, warum es nach vorn noch einen Tick gehakt hat. Da braucht man die richtige Mischung.
Wie wichtig ist die Spieleröffnung?
Rehm: Da muss ich einerseits auf den Gegner reagieren, schauen was er macht und trotzdem meine Spielweise nicht verlieren. Das Entscheidende im Fußball ist, dass du erkennst, welche Optionen du hast. Du musst den Gegner vor Aufgaben stellen. Wenn er sie löst, musst du Plan B haben. Das ist eine Weiterentwicklung der Mannschaft, dass sie Plan A, B, C oder D hat.
Kann Arminia Bielefeld schon vornehmlich agieren statt nur reagieren?
Rehm: Die Frage ist, was ist agieren. Agieren ist defensiv, kann aber auch offensiv sein. Agieren muss man immer auf dem Platz. Ist man zu passiv in den 90 Minuten, wirst du fast immer als Verlierer vom Platz gehen. Hat mein Team den Ball und ich laufe nicht, habe ich keine Chance, den Ball zu bekommen. Wenn der Gegner den Ball hat und meine Spieler nicht laufen, nicht attackieren, also nicht agieren, wird man zweiter Sieger.
Der sportliche Leiter Samir Arabi hat die Kaderplanung mit Norbert Meier betrieben – haben Sie Samir Arabi schon eine neue Einkaufsliste gegeben?
Rehm: Auf der Liste gibt’s ein paar Namen, die eher zur Philosophie von Norbert Meier passen. Es gibt aber auch Spieler, die mehr zu mir passen. Jetzt müssen wir den Weg gemeinsam finden. Die Scouting-Abteilung entwirft immer mehrere Vorschläge und Szenarien. Ich habe von der Grundordnung sicherlich ein anderes System als mein Vorgänger. Wir müssen schauen, wie die Spieler, die schon im Kader sind, in dieses System passen. Vielleicht funktionieren sie sogar besser als zuvor. Vielleicht passen auch Spieler, die vorher funktioniert haben, in diese neue Spielordnung nicht hinein. Ich sage aber: Wer den Willen und die Mentalität hat, passt in unser System.
Bevorzugen Sie das 4:4:2-System?
Rehm: Diese Grundordnung ist für mich ausschlaggebend für das gesamte Konstrukt. Wenn wir beginnen oder der Gegner abschlägt, stehen wir in diesem System. Nach dem Abstoß des Gegners wird sich alles grundlegend verändern. Vielleicht haben wir nur drei Abwehrspieler oder spielen nur mit einem Stürmer. Es geht mir darum, dass wir offensiv als auch defensiv klare Muster haben. Die Grundordnung wird aber 4:4:2 sein. Aus diesem System heraus agieren wir.
Wie schnell kommen die neuen Grundlagen in die Köpfe der Spieler?
Rehm: Bisher ist es mir schnell gelungen, die Köpfe zu erreichen. Die Spieler merken, dass sie damit Erfolg und somit Spaß haben. Sie registrieren, dass der Gegner jetzt viel mehr Probleme mit uns hat. Sie stellen fest, dass sie effektiver laufen, obgleich sie in der Vergangenheit weitaus mehr Meter zurückgelegt haben. Unser Ziel muss es sein, die Mannschaft dahin zu kriegen, dass sie mit einem Plan den Gegner in die Falle lockt, aus der der Gegner nicht mehr raus kommt und wir so früh und hoch wie möglich den Ball erobern und den kürzesten Weg zum gegnerischen Tor finden.
Das zweite Jahr ist immer das schwerste. Wird der Klassenerhalt schwieriger als vergangene Saison?
Rehm: Das hat man mir zur letzten Saison in Großaspach auch gesagt. In der Winterpause waren wir aber Zweiter. Ich halte nicht viel von dieser Fußballweisheit.
Wie beurteilen Sie die Qualität der 2. Liga?
Rehm: Die Kader sind größtenteils noch nicht fertig. Deshalb lässt sich noch nicht viel sagen. Die Stärken lassen sich erst festlegen, wenn fünf oder zehn Spiele absolviert sind. Die 2. Liga ist allerdings von den Mannschaften interessanter geworden. Mit dem VfB Stuttgart und Hannover 96 sind zwei dazu gekommen, die die Liga brutal bereichern. Als Schwabe ist es für mich eigentlich ein No-Go, dass der VfB in der 2. Liga spielt. Ich kenne den VfB nur als Topverein in der Bundesliga. Ihn jetzt in der 2. Liga zu sehen ist einerseits dramatisch, andererseits für uns toll, da die Liga bereichert wird.