Vor dem Achtelfinale: Das Zwischenzeugnis der deutschen Nationalspieler

München. Drei Spiele und damit die Vorrunde sind bei der Fußball-EM gespielt. Idealerweise hat damit die deutsche Mannschaft knapp die Hälfte der sieben Spiele absolviert. Zeit für ein Zwischenfazit. Manuel Neuer Stand – wie es sich für den besten Torwart der Geschichte gehört – wegen seiner Arme im Mittelpunkt. Nutzte sie allerdings seltener als gewohnt, um damit Bälle aus Ecken zu kratzen, die anderen Keepern auf immer verborgen bleiben. Musste aber schon fünfmal den Ball aus dem Netz holen. Zog aber vor allem die Blicke auf sich, weil er sich mit einer Regenbogenbinde am Oberarm als Kapitän seiner Mannschaft auswies. Kevin Trapp Rutschte in den Kader, weil sich Marc-André ter Stegen verletzt abmelden musste. Spielt im Training gepflegt mit, wenn Torwarttrainer Andreas Köpke zum Warmmachen Passübungen ansetzt. Bewohnt einen Bungalow mit Thomas Müller, Leon Goretzka und Robin Gosens. Kann sich von ihnen erzählen lassen, wie es sich anfühlt, in einem EM-Spiel auf dem Platz zu stehen. Wird das Gefühl mit seiner Lebenswirklichkeit wohl eher nicht abgleichen können. Bernd LenoDachte lange Zeit, es sei in puncto Nationalmannschaftskarriere sein größtes Problem, denselben Jahrgang zu haben wie der übermächtig erscheinende Marc-André ter Stegen. Nach dessen Verletzung und WM-Absage weiß er, dass ein großes Problem in Wirklichkeit einen anderen Namen trägt: Manuel Neuer. Lukas KlostermannWurde während einer Pressekonferenz als &bdquo;Herr Halstenberg" angesprochen. Passiert ihm häufiger. Dabei spielt er eher auf der rechten Seite, während sein Leipziger Mannschaftskollege ein Linksfuß ist. Erwecken auch sonst nicht den Anschein, eineiige Zwillinge zu sein. Halstenberg hat rote Haare, Klostermann ist blond. Weiterer Unterschied: Halstenberg kam schon zum Einsatz während der EM. Klostermann musste zuletzt verletzt pausieren. Durfte dafür Runden mit Thomas Müller drehen – hat da wahrscheinlich allerhand erfahren, wie es so ist, auf dem Platz zu stehen. Kaum Chancen, es einmal selbst nachzufühlen. Matthias Ginter Hat von den drei Innenverteidigern den wenigsten Glamour: Wenn Hummels der Frauentyp und Rüdiger der Krieger ist, wirkt Ginter wie der Sparkassenangestellte. Machte in den bisherigen Partien in der Summe aber die eindeutig beste Figur. Sogar als die deutsche Abwehr gegen Ungarn zum Hühnerhaufen mutierte, war auf ihn noch am ehesten Verlass. Hat die besten Zweikampfwerte aller Kettenteilnehmer. Nur auf seine Flanken sollte die DFB-Auswahl wirklich nicht angewiesen sein. Mats Hummels Bereitete immerhin seinem Sohn Freude, der vor dem Fernseher jubelte, als sein Papa den Ball gegen Frankreich ins eigene Tor schoss. Für einen Dreijährigen ist Tor noch Tor. Weil Vater Hummels aber auch gegen Ungarn an einem Gegentreffer beteiligt war, kommen leise Zweifel auf, ob es denn nun wirklich die richtige Entscheidung war, ihn wieder im Kreise der Nationalmannschaft aufzunehmen. Niklas SüleGalt vor einiger Zeit als Stammspieler für diese EM. Ist aber eben schon einige Zeit und einen Kreuzbandriss her. Der Mensch gewordene Kleiderschrank hatte bei seinem bisher einzigen EM-Einsatz leider auch die Beweglichkeit eines Möbelstücks und hat sich nicht nachhaltig für einen Einsatz in der Startelf empfohlen. Robin Koch Die bisher größte Szene des Innenverteidigers: Er stellte das Video der neuen DFB-Boyband Kimmich, Volland und Gnabry online. &bdquo;Boyband izz da", betitelte der Verteidiger sein Werk. Dass er, obwohl Löw mit gleich drei Innenverteidigern spielt und diese nicht immer Herr der Lage waren, noch mal von Beginn an spielt in diesem Turnier, scheint hingegen eher unrealistisch zu sein. Aber wer weiß das schon. Der angehende Musikvideoproduzent Koch dürfte sich bis dahin an eine goldene Regel im Showbusiness halten: Es ist nicht vorbei, bis die dicke Dame singt. Antonio Rüdiger Nach seinem zarten Biss gegen Paul Pogba hatte die Uefa überlegt, seine Gesichtsmaske um eine Gebiss-Verschalung zu erweitern – verwarf den Gedanken aber wieder. Der Innenverteidiger ist immer mit vollem Einsatz dabei, vergisst über all sein Engagement mitunter, einfache taktische Regeln zu befolgen, und findet sich dann an Stellen auf dem Rasen wieder, an denen er so viel verloren hat wie Hannibal Lecter in einer Rosamunde-Pilcher-Verfilmung. Marcel Halstenberg Ist nicht Lukas Klostermann. Hat rote Haare. Ist Linksfuß. Sollte er gegen Portugal phasenweise zur Geltung bringen. Klappte eher mittelmäßig. Das Wichtigste aber: Ist nicht Lukas Klostermann. Christian Günter Der Linksverteidiger sprang in allerletzter Sekunde auf den EM-Zug auf. Dürfte das Turnier aber als Trainingsgast erleben. Schließlich ist Gosens auf links gesetzt. Und dahinter kommt erst mal Halstenberg. Oder ist es vielleicht doch Lukas Klostermann? Robin Gosens Die Entdeckung des bisherigen Turniers – auch wenn er gegen Ungarn manngedeckt abtauchte. Gosens kommt die Dreierkette entgegen, die er aus seinem Verein Atalanta Bergamo kennt. Der 26-Jährige spielt, wie er redet: direkt und schnörkellos. Sammelt dabei verbal und auf dem Platz Punkte. Dürfte gegen offensiver ausgerichtete Gegner wie etwa England mehr zur Geltung kommen. Gosens scheint in jeder Hinsicht das gewesen zu sein, was der Nationalmannschaft gefehlt hat – auf und neben dem Platz. Jonas Hofmann Galt vor Urzeiten – also kurz vor der EM – als potenzieller Stammspieler. Weil Joachim Löw vergessen hatte, einen Spezialisten für den rechten Flügel zu nominieren, geriet Hofmann in den Fokus. Verließ den aber auch schnell wieder. Verletzte sich am Knie, gilt nun nicht mehr als potenzieller Stammspieler. Florian Neuhaus Hatte einen Glanzauftritt im Vorbereitungsspiel gegen Dänemark. Darin deutete er mit einem Tor und einem starken Spiel an, dass ihm die Zukunft im DFB-Team gehören könnte. Die Gegenwart trägt die Namen Gündogan, Kroos, Goretzka oder Kimmich. Löw hält aber zurecht viel von dem Kauferinger. Gut möglich, dass im Laufe des Turniers noch seine Stunde schlagen könnte. Emre Can Neben Kimmich Löws zweite Allzweckwaffe. Kann rechts, links, zentral, in der Defensive und im Mittelfeld spielen. Kann auch einfach mal Energiewürfel sein, wie gegen Frankreich. Der Traum jeden Trainers – wenn er sich nicht mit Rüdiger die Eigenheit teilen würde, aufzutauchen, wo man nichts verloren hat. Entschuldigend bei Can: Kann eben auch überall spielen. Joshua Kimmich Hatte einen wundervollen Auftritt gegen Portugal und einen genauso bemerkenswerten kurz darauf, als er zusammen mit Serge Gnabry und Kevin Volland im deutschen Lager zur Gitarre griff und den Pop-Klassiker &bdquo;Whats up?" spielte. Wird sich gegen Ungarn dann selbst gefragt haben, was denn eigentlich los ist. Durfte eine Halbzeit auf seiner Lieblingsposition im Zentrum ran – mit überschaubarem Einfluss. Ilkay GündoganBei ihm verfestigt sich der Eindruck, dass es zwei Ilkay Gündogans gibt: einen, der bei Manchester City überragend spielt und dort ein zentraler Faktor für das In-Grund-und-Boden-Besiegen der Konkurrenz ist. Und einen, der in der Nationalmannschaft zu soliden Leistungen fähig ist – mehr aber auch nicht. Könnte ausgerechnet gegen England eine Schaffenspause bekommen. Toni Kroos Offenbarte im Turnierverlauf bislang ungekannte Qualitäten, etwa Grätschen. Wirkte vor Turnierstart etwas angezählt, scheint aber nun wieder gesetzt. Nur mit dem Toreschießen hapert es noch. Leon Goretzka Nach überstandener Verletzung heißer Kandidat auf einen Stammplatz im Achtelfinale. Goretzka bringt neben den Passmaschinen im deutschen Mittelfeld eine Power mit, die kaum ein anderer Spieler im DFB-Kader hat. Und kann sogar Tore schießen. Jamal Musiala Hatte die ersten zwei Spiele plus 82 Minuten Zeit, sich von außen die EM anzuschauen. Verlieh mit seinem Kurzeinsatz gegen Ungarn der Einschätzung Nachdruck, dass er gerne weiter an dem Turnier teilnehmen würde – in etwas aktiverer Rolle als bislang. Leroy Sané Sein EM-Auftritt ist die bisher größte Enttäuschung seit der letzten Staffel von &bdquo;Game of Thrones". Weiß wohl selbst nicht, warum er gegen Ungarn durchspielen durfte. Der Münchner hat riesiges Potenzial – das scheint aber derzeit verschüttet zu sein. Kai Havertz Zeigte in Minute eins gegen Portugal, was er in seinem ersten Jahr in der Premier League gelernt hat – indem er Pepe auf den Boden schickte. Hat auch fußballerisch dazugelernt, was er mit seinen bisherigen zwei Turniertreffern unter Beweis stellte. In vorderster Reihe bisher der deutsche Spieler mit der höchsten Durchschlagskraft. Kevin Volland Interessante Idee, ihn im ersten Spiel auf dem linken Flügel einzusetzen. Fand auch Volland, der damit wenig anfangen konnte. Zweiter Kurzeinsatz gegen Ungarn. War einer der Ersten bei Goretzka nach dessen Treffer. Ohne ihn könnten Gnabry und Kimmich kein Gitarren-Trio bilden. Thomas Müller Vom Aussortierten zum Unverzichtbaren: Müller wurde gegen Ungarn auch dann noch eingewechselt, als er angeschlagen auf der Bank saß. Ist zwar bisher ohne Scorerpunkt, für das Angriffsspiel aber wichtig. Schafft vielleicht gegen England, was ihm in seiner bisherigen Karriere verwehrt blieb: ein EM-Tor. Serge Gnabry Wollte in jedem Spiel einen Treffer erzielen. Ist davon nach drei Partien etwas entfernt. Spielt besser Gitarre als Erste Geige. Timo Werner Beste Aktion des Turniers bislang: ein Schuss, der geblockt wurde. Hätte Goretzka den abprallenden Ball nicht ins Tor geschossen – es wäre ein verlorener Sommer für Werner gewesen. So aber: an einem entscheidenden Tor beteiligt.

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