Schulexpertin aus Bielefeld: „Eltern sind im Schulalltag nicht erwünscht“

Frau Kallabis-Sieveke, Sie sehen sich als Expertin für Schulentwicklung und forschen dazu seit Jahrzehnten; zugleich engagieren Sie sich als Elternvertreterin in der Schule Ihrer Kinder in Bielefeld. Wie blicken Sie auf die Lage des Schulwesens? Dorothee Kallabis-Sieveke: Die Politik sagt, dass Eltern in die konzeptionelle Arbeit an Schulen eingebunden werden. Das habe ich in meinen sieben Jahren als Elternvertreterin an drei Schulen nicht wahrgenommen. Es wurde immer wieder deutlich, dass Eltern konzeptionell kein Mitspracherecht haben. Wenn Schule die Ziele verfolgt, Kinder und Jugendliche dabei zu unterstützen, sich zu entfalten, Verantwortung für das eigene Leben sowie die Gemeinschaft und den Planeten zu übernehmen, dann braucht es dringend das Miteinander von Eltern und Schule, um mit den Kindern in eine Richtung zu gehen. Werden Eltern also nicht gut genug eingebunden? Mein Austausch mit verschiedenen Schulleitungen und Lehrpersonen zeigt, dass viele Schulen eine echte Offenheit gegenüber den Eltern scheuen, aus Sorge, belangt zu werden. Doch es braucht diese Transparenz und auch ein Vertrauensverhältnis vonseiten der Schule, damit gemeinsame Ziele für alle Beteiligten möglich werden. Was meinen Sie damit? Lehrkräfte erwarten, dass Eltern ihnen vertrauen, doch umgekehrt ist das oft nicht der Fall. Diese Ausgangslage stellt bereits eine enorme Herausforderung für die Kinder dar, die innerhalb dieser Spannung täglich viele Stunden verbringen. Auf der einen Seite ziehen die Eltern an ihnen; auf der anderen die Schule. Worauf führen Sie das zurück? Es ist eine Einstellung in weiten Teilen unserer Gesellschaft, dass viele Eltern &bdquo;unfähig“ sind und daher auch ihre Kinder in der Schule ein bestimmtes Verhalten zeigen. Bei den Kindern ist das zum Beispiel spürbar mit augenscheinlich unscheinbaren Sätzen wie &bdquo;Was hat deine Mutter dir denn schon wieder Ungesundes zum Frühstück eingepackt?! Wir haben doch schon so oft erklärt, wie ein gesundes Frühstück aussieht.“ Die Kinder sind in der Bredouille, weil sie wahrnehmen, dass ihre Eltern als unfähig angesehen und dadurch abgewertet werden – und weil sie gleichzeitig deren Leben als ihre Wahrheit kennen. Ist es denn heute nicht so, dass die Schulen immer häufiger Erziehungs- und Betreuungsaufgaben wahrnehmen müssen, für die eigentlich die Eltern zuständig sind? Vielleicht übertreibe ich, aber viele Eltern sehen ihre Aufgabe darin, alles dafür zu tun, um die Erwartungen des Schulsystems zu erfüllen. Sie sorgen dafür, dass ihre Kinder morgens pünktlich mit allen Materialien in der Schule sind, dass sie dort möglichst gut zurechtkommen und wenig negativ auffallen – und dass sie nachmittags nach der Ganztagsbetreuung ihre Hausaufgaben erledigen und für die Klassenarbeiten lernen. Das alles machen sie zusätzlich zu den gesellschaftlichen Verpflichtungen. Es findet somit unterm Strich kaum noch &bdquo;Leben“ statt, bei dem sie erfüllt und voller Freude ihre Kinder teilhaben lassen können. Glauben Sie aus Forschungssicht, dass Eltern Schulen &bdquo;besser machen“ können? Hier müssten wir erst mal definieren, wie Schule überhaupt sein sollte. Da hat jeder sein eigenes Bild. Und nicht alle Eltern interessieren sich für das Schulleben und wollen mehr beteiligt werden. Es gibt aber durchaus einige, die tatsächlich eine große Bereicherung sein könnten, wenn Schulen über ihren Schatten springen und sich für eine Transparenz öffnen würden. Es geht nicht um ein Gegeneinander, sondern um die gemeinsame Begleitung der jungen Menschen. Schließlich ist gesetzlich festgelegt, dass diese viele Jahre ihrer Kindheit in Schulgebäuden zu verbringen haben. Und ja, ich glaube, dass eine gesunde Beziehung und ein vertrauensvolles Miteinander zwischen diesen begleitenden Personengruppen dazu führt, dass Schule &bdquo;besser“ wird. Wie sollte diese Transparenz denn aussehen? Bei einem Besuch von NRW-Schulministerin Dorothee Feller in Bielefeld hatten Eltern kürzlich vorgeschlagen, dass auch sie ab und an mal im Klassenraum sein dürfen. Das lehnt die Ministerin aber ab. Eine gute Idee? Bei dem Vorschlag, dass Eltern auch mal den Unterricht beobachten dürfen, geht es ja nicht darum, diesen inhaltlich mitzugestalten, sondern eher darum, zu hospitieren, um eine Idee davon zu bekommen, worum es konkret geht. Die Reaktion der Ministerin zeigt aber: Im alltäglichen Schulleben sind Eltern mit ihren Erwartungen unerwünscht. Sie werden mit &bdquo;Pseudobeteiligungen“ abgespeist, wie Kuchenverkäufen, der Mitgestaltung von Schulfesten und dem Engagement in Fördervereinen. Wie nehmen Sie die aktuellen Diskussionen zur Lage des Schulsystems wahr? Es wird – so auch jetzt beim Besuch der Ministerin in Bielefeld – lang und breit darüber gesprochen, welche Dinge im Schulsystem nicht funktionieren. Solange sich alles um die Probleme und Herausforderungen dreht, werden diese das Schulleben dominieren und es wird sich nichts verändern können. Es braucht stattdessen ein gemeinsames Ziel: Wie soll Schule überhaupt sein? Eine neue Perspektive mit Schule als großem Bestandteil des Lebens vieler Kinder und Jugendlicher ist hier unerlässlich, wenn neue Ergebnisse erzielt werden sollen. Im Gespräch mit Ministerin Feller war diese Perspektive leider gar nicht zu erkennen – und auch in der Gesellschaft kommt dieses Bewusstsein erst langsam an. Mehr zum Thema: Ministerin Feller im Interview: &bdquo;Schule ist kein Ersatzelternhaus“ Gibt es denn etwas, das Ihnen Hoffnung macht? Tatsächlich bin ich davon überzeugt, dass Deutschland aktuell vor seiner größten Chance im Bildungssystem steht. Durch das Startchancenprogramm, mit dem vor allem Schulen mit einem hohen Anteil sozialbenachteiligter Schülerinnen und Schüler finanziell unterstützt werden, sind nun für einen Zeitraum von zehn Jahren ganz viele Hebel möglich. Jedoch sind es nicht die finanziellen Mittel und der gedeckte Personalbedarf, die die Veränderung ermöglichen. Sondern das Umdenken und Agieren von einer anderen Perspektive aus.

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