Internes Grundsatzpapier

Papier des Finanzministers: Lindner will Soli abschaffen und Bürgergeld senken

Die Ampel-Koalition ist uneins, wie die Wirtschaft angekurbelt werden soll. Christian Lindner und die FDP haben genaue Vorstellungen – und legen den Koalitionspartnern jetzt ein neues Grundsatzpapier vor.

Christian Lindner (FDP), Bundesminister der Finanzen und FDP-Parteivorsitzender, hat den Koalitionspartnern ein neues Grundsatzpapier vorgelegt. | © Kay Nietfeld/dpa

01.11.2024 | 02.11.2024, 09:15

Im Streit um den Kurs in der Wirtschafts- und Finanzpolitik hat Finanzminister Christian Lindner (FDP) ein neues Grundsatzpapier vorgelegt, das den Vorstellungen von SPD und Grünen deutlich entgegensteht. Unter anderem fordert Lindner als „Sofortmaßnahme“ die Abschaffung des Solidaritätszuschlags, den bisher noch Angestellte mit sehr hohen Einkommen, Selbstständige und Unternehmen zahlen. Der Soli wurde für 90 Prozent der Steuerzahler bereits abgeschafft. Über den Fortbestand des Rest-Soli urteilt das Bundesverfassungsgericht Mitte November.

Auch die Körperschaftssteuer und die Luftverkehrssteuer sollen Linders Plänen zufolge sinken. Der Finanzminister spricht sich zudem für niedrigere Bürgergeldsätze aus. In dem 18-seitigen Papier, das dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND) vorliegt, fordert er ein Stopp aller neuen bürokratischen Regulierungen. Zuerst hatte der „Stern“ berichtet.

In der Klimapolitik will er einen neuen Weg einschlagen: Deutschland soll nicht wie bisher geplant ab 2045 frei von CO?-Emissionen wirtschaften, sondern wie auch der Rest der Europäischen Union erst im Jahr 2050. „Klimapolitisch motivierte Dauersubventionen“ sollen abgeschafft. Den von Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) für den Klimaschutz genutzten Klima- und Transformationsfonds will Lindner dem Papier zufolge gänzlich auflösen.

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Papier fordert Revision politischer Leitentscheidungen

„Deutschland braucht eine Neuausrichtung seiner Wirtschaftspolitik“, heißt es in dem Papier, das am späten Freitagnachmittag bekannt wurde. Das Papier trägt den Titel „Wirtschaftswende Deutschland – Konzept für mehr Wachstum und Generationengerechtigkeit.“

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Grundsätzlich fordert der Finanzminister in seinem Konzept eine „Wirtschaftswende“ mit einer „teilweise grundlegenden Revision politischer Leitentscheidungen“, um Schaden vom Standort Deutschland abzuwenden. Die deutsche Wirtschaft ist in einer Wachstumskrise. Eine Neuausrichtung der Wirtschaftspolitik könne das Vertrauen von Unternehmen und privaten Haushalten stärken.

Lindner kritisiert, die Bürgergeld-Regelsätze seien im Jahr 2024 überproportional angestiegen. Das will er rückgängig machen. In dem Papier heißt es: „Das Zusammenspiel von Bürgergeld, Kosten der Unterkunft, Wohngeld und Kinderzuschlag führt bei vielen Haushaltskonstellationen dazu, dass sich die Aufnahme oder Ausweitung von Arbeit monetär nicht lohnt. Das System sollte reformiert werden.“

Herbst der Entscheidungen

Die inhaltlichen Punkte des Papiers sind nicht überraschend. Sie entsprechen den Forderungen und Grundsätzen der Liberalen, wie beispielsweise die gänzliche Abschaffung des Solidaritätszuschlags. Dass das Papier ausgerechnet jetzt an die Öffentlichkeit kommt, ist brisant.

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Gerade erst vor anderthalb Wochen hatte Wirtschaftsminister Habeck in einem Papier erneut einen milliardenschweren, schuldenfinanzierten Staatsfonds vorgeschlagen, um Investitionen von Firmen zu fördern. Die FDP lehnt dies unter Verweis auf die Schuldenbremse ab.

Kanzler Olaf Scholz (SPD) hatte zu einem Industriegipfel eingeladen, zu dem aber weder Habeck noch Lindner eingeladen wurden. Die FDP-Fraktion hatte eine Art Gegengipfel mit Verbänden veranstaltet. In der Koalition gilt ein frühzeitiges Ende der Ampel als möglich.

Scholz (r.) und Lindner (l.) gehen bei der Bekämpfung der Wirtschaftskrise weiter ihre eigenen Wege. - © Kay Nietfeld/dpa
Scholz (r.) und Lindner (l.) gehen bei der Bekämpfung der Wirtschaftskrise weiter ihre eigenen Wege. | © Kay Nietfeld/dpa

Reaktionen auf Lindners Grundsatzpapier

Auf das neue Papier von Lindner reagierten die Koalitionspartner aber erst einmal ausgesprochen gelassen. Es sei viel in der Diskussion, betonte Regierungssprecher Steffen Hebestreit auf Anfrage des RND. „Nach dem Habeck-Papier gibt es jetzt auch eines von Lindner und den Industrie-Pakt-Prozess des Kanzlers. Das wird man jetzt gemeinsam besprechen und bewerten.“

Grünen-Chef Omid Nouripour reagierte etwas spitzer: Man sei bereit, „ernst gemeinte Vorschläge der Koalitionspartner zum Wohle unseres Landes zu diskutieren“, erklärte er. „Zum Ergebnis kommt man am Ende dann, wenn die Vorschläge der Ernsthaftigkeit der Lage gerecht werden.“

Während Lindner immer wieder den Eindruck erweckt, er suche einen Weg aus der Koalition, warnte FDP-Verkehrsminister Volker Wissing in einem Gastbeitrag in der FAZ vor einem Ausscheiden. „Koalitionen sind nicht einfach. Regieren ist nicht einfach. Demokratie ist nicht einfach. Wir tragen die Verantwortung dafür, dass es gemeinsam gelingt“, schrieb er.

mit dpa-Material