Bandidos-Übertritt: Was folgt aus der Machtverschiebung in der NRW-Rocker-Szene?

Bielefeld. In NRW sollen mehrere Ortsgruppen der Rocker-Gruppe Bandidos zu den Hells Angels gewechselt sein. Das ergeben Recherchen dieser Redaktion. Eigentlich gelten die beiden Motorradclubs, die immer wieder im Zusammenhang mit der Organisierten Kriminalität auftreten, als Konkurrenten. Experten sehen in den Entwicklungen Risiken. Wie diese Redaktion erfuhr, sollen mehr als 20 eigentlich verbotene Chapter der Bandidos aus NRW zu den Höllenengeln gewechselt sein. Über die genaue Mitgliederzahl lässt sich nur spekulieren, sie könnte aber dreistellig sein. Vor allem Ortsgruppen aus dem Ruhrgebiet sollen übergelaufen sein, darunter auch einflussreiche Rocker aus Dortmund. Im Ruhrgebiet hatten die Bandidos lange Zeit ihre Hochburg. Das liegt auch an der Geschichte des Clubs, der Ende der 1990er Jahre erstmals in Deutschland gegründet wurde. Damals wechselten mehrere kleine Motorradclubs zu den international vernetzten Rockern – vor allem aus dem Ruhrgebiet. Auch hohe Führungsfiguren der Bandidos waren bis zuletzt vor allem in dem Ballungszentrum zu verorten, ebenso ein Großteil der NRW-Mitglieder. Laut Behördenangaben bis zuletzt mehrere Hundert im Bundesland. Beiträge in sozialen Medien scheinen Wechsel zu bestätigen Brisant: Es heißt, dass auch eines der Gründungsmitglieder der deutschen Bandidos nun zu den Hells Angels gewechselt sei. Mit einem ehemaligen Clubbruder schrieb der Rocker sogar ein Buch über die Gründung und den Aufstieg des Bandidos MC in Deutschland. Lesen Sie auch: Neue Erkenntnisse zu verbotenen Bandidos: Droht neuer Rocker-Streit in NRW? Eine offizielle Bestätigung für den Wechsel von Bandidos zu Hells Angels gibt es bisher nicht. Recherchen dieser Redaktion in sozialen Medien scheinen die Information jedoch zu bestätigen. So liegen dieser Redaktion Aufnahmen vor, die offenbar in einem großen Hochzeitssaal entstanden sind. Auf dem Bild posieren etwa 100 Männer, offensichtlich aus dem Rocker-Milieu, für die Kamera. Verbreitet wurde das Bild von Mitgliedern der Hells Angels sowie Personen, die sich den Bandidos zuordnen lassen mit eindeutigen Beschreibungen. Auf einer Videoaufnahme, die ebenfalls die Männer posierend in dem Saal zeigt, rufen die Personen zudem &bdquo;AFFA“ – &bdquo;Angels Forever, Forever Angels“ (Engel für immer, für immer Engel), eine Zugehörigkeitsbekundung zu den Höllenengeln. Überlauf ist Thema bei Sicherheitsbehörden Ebenso sind dieser Redaktion entsprechende Posts einzelner Ex-Bandidos bekannt, die nun ihre Mitgliedschaft bei den Hells Angels publik machen – darunter beispielsweise ein prominenter Rocker-Boss aus Dortmund, der in sozialen Medien Tausende Follower hat. &bdquo;NRW ist rot-weiß (die Farben der Hells Angels) – es wurde Geschichte geschrieben“, schrieb der Mann, der in sozialen Medien auf Fotos noch in Bandidos-Kutte zu sehen ist. Mittlerweile ist der mögliche Überlauf auch Thema bei den Sicherheitsbehörden in NRW. Offiziell äußern wollte sich das Landeskriminalamt (LKA) nicht. Man habe die Szene und alle Entwicklungen genau im Blick, heißt es. Lesen Sie auch: Bandidos, Hells Angels und Co: Wo Rocker in NRW ihre Reviere haben Nach Informationen dieser Redaktionen liegen der Polizei in NRW aber durchaus entsprechende Erkenntnisse vor, die den Wechsel innerhalb der Rocker-Szene nahelegen und bestätigen könnten. Hells Angels und Bandidos eint jahrelange Rivalität Brisant ist der Übertritt aus verschiedenen Gründen. So sind die Bandidos seit 2021 in Westdeutschland verboten, gerichtlich wurde das im vergangenen Jahr bestätigt. Grund für das Verbot waren unter anderem blutige Auseinandersetzungen in der Rocker-Szene – ausgerechnet auch mit den Hells Angels. Zwischen beiden Clubs schwillt bereits seit Jahren eine gewisse Rivalität, die in regelrechten &bdquo;Rocker-Kriegen“, wie ihn Medien bezeichneten, mündete. Etwa in den USA, Skandinavien und Deutschland. Der Konflikt zwischen Bandidos und Hells Angels forderte hierzulande sogar Tote, in den 2000er Jahren wurden beispielsweise ein Höllenengel in Ibbenbüren und ein Bandido in Duisburg erschossen. Auch in den Jahren danach kam es immer wieder zu Konflikten zwischen Mitgliedern einzelner Clubs. Schon in der Vergangenheit Wechsel in der Szene Ein so umfangreicher Wechsel von Bandidos zu Hells Angels, wie er sich nun abzeichnet, überrascht derweil auch die Ermittler. Das habe es selbst international in dieser Form nicht gegeben, heißt es. Wenngleich in der Vergangenheit immer wieder einzelne Mitglieder oder Ortsgruppen die Kutten getauscht haben. Prominentes Beispiel: das Chapter &bdquo;Berlin Centro“ der Bandidos, das vor mehr als zehn Jahren zu den Hells Angels wechselte. Nahezu das gesamte Charter, so werden Ortsgruppen bei den Höllenengeln genannt, wurde Jahre später beim Prozess zu dem &bdquo;Wettbüro-Mord“ von Berlin verurteilt. Hintergrund: Anfang 2014 stürmten mehr als zehn Rocker ein Wettbüro, um einen Rivalen aufzusuchen – einer der Männer schoss auf den Mann, der von mehreren Schüssen getroffen wurde und starb. Lesen Sie auch: Neuer Club in OWL: So verändert sich die Rocker-Szene in NRW Brisant ist der Wechsel jedoch auch aus einem anderen Grund: Durch das Verbot der Bandidos in NRW sind auch mögliche Nachfolgeorganisationen verboten. Wechseln nun ehemalige Mitglieder der verbotenen Bandidos zu einem anderen Club und gründen neue Ortsgruppen, könnten durchaus vereinsrechtliche Fragen im Raum stehen. Doku über Bandidos und Hells Angels: Warnung vor neuen Gefahren Michael Merten, NRW-Vorsitzender der Gewerkschaft der Polizei, sieht in der Rocker-Szene aktuell eine &bdquo;hohe Gefährlichkeit“. &bdquo;Auch die letzten Jahre haben immer wieder gezeigt, dass es unter den Clubs zu gewalttätigen Auseinandersetzungen kommen kann, die im öffentlichen Raum selbst mit Schusswaffen ausgetragen werden.“ Bei einem Wechsel von Mitgliedern zu einem Rivalen spielen laut Mertens Faktoren wie Loyalität, Ansehen oder auch das Geschäft eine große Rolle. &bdquo;Das sind Punkte, die in der Rocker-Szene enorm emotionalisieren. Zudem werden bei einem möglichen Wechsel auch Club-Interna mitgenommen“, warnt Mertens. Insbesondere mit Blick auf mögliche kriminelle Geschäfte – Mertens nennt Drogen- und Menschenhandel sowie Schutzgelderpressung als Beispiele in NRW, in denen manche Rocker ihre Finger im Spiel haben – warnt der Polizeigewerkschafter vor einem enormen Konfliktpotenzial. &bdquo;Durch einen Wechsel der Seiten können hier ganz neue Streitereien, etwa mit ehemaligen Clubbrüdern, entstehen“, warnt Mertens. Tatsächlich hatte das Landeskriminalamt im Mai dieses Jahres in einem geheimen Bericht, der dieser Redaktion vorliegt, vor Konflikten in der Szene wegen Überläufern gewarnt. Damals hatte das LKA Kenntnisse von ehemaligen Führungspersonen der Bandidos, die bereits zu den Hells Angels gewechselt seien. Dies, so hieß es in dem Papier, gelte als &bdquo;Verstoß gegen die Regeln und den Ehrenkodex der Rocker-Szene“ und berge Risiken. Ebenso warnten die Experten des LKA in dem Geheimpapier davor, dass die Aufnahme von Ex-Bandidos auch innerhalb der Hells Angels unterschiedlich aufgenommen werden könnte.

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