Viele Menschen helfen nicht im Notfall: Stiftung fordert verpflichtende Erste-Hilfe-Kurse

Winnenden/Lübbecke. Ein Notfall kann jeden treffen, doch im Notfall bleiben viele Menschen in Deutschland untätig. Sie setzen zwar in den allermeisten Fällen den Notruf ab, doch nur in 50 Prozent der Notfälle helfen sie mit einer Wiederbelebung. Nichts tun? &bdquo;Das ist das Falscheste“, sagt Unfallforscher Siegfried Brockmann. Denn auch medizinische Laien können mit einer Herzdruckmassage Leben retten. Viele wissen jedoch nicht wie – weshalb Brockmann als Geschäftsführer Verkehrssicherheit und Unfallforschung der Björn-Steiger-Stiftung die Erste Hilfe in Deutschland neu aufstellen will. Die Stiftung setzt sich seit ihrer Gründung 1969 für ein besseres Rettungswesen in Deutschland ein. Ute und Siegfried Steiger gründeten diese, nachdem ihr achtjähriger Sohn Björn bei einem Verkehrsunfall starb, weil der Krankenwagen erst nach einer Stunde kam. Hilffristen zwischen acht und zwölf Minuten Um die Zeit bis zum Eintreffen beim Patienten möglichst kurzzuhalten, gelten für die Rettungsdienste in Deutschland inzwischen jedoch seit vielen Jahren Hilfsfristen. Sie variieren je nach Bundesland zwischen acht bis zwölf Minuten in NRW bis 17 Minuten in Thüringen. Im Fall eines Herz-Kreislauf-Stillstands entscheiden jedoch wenige Minuten über Leben und Tod. Nach Angaben des Deutschen Rats für Wiederbelebung erleiden in Deutschland jedes Jahr mehr als 70.000 Menschen außerhalb eines Krankenhauses einen plötzlichen Herz-Kreislauf-Stillstand. Davon überlebt nur jeder Zehnte, weil schon innerhalb von drei bis fünf Minuten das Gehirn unumkehrbaren Schaden nimmt, weil Sauerstoff fehlt. Das lässt sich nur vermeiden, wenn die Betroffenen schnell eine Herzdruckmassage erhalten. Da der Rettungsdienst jedoch fast nie innerhalb von fünf Minuten nach dem Herzstillstand beim Betroffenen sein kann, sind Laien als Ersthelfer gefragt. Erste-Hilfe-Kurse alle zwei Jahre wiederholen? Doch der Erste-Hilfe-Kurs &bdquo;liegt bei den meisten viele Jahre zurück“, sagt Brockmann. Weil es in Deutschland dafür keine Pflicht gebe, bis auf einen Kurs vor dem Führerschein. Dadurch hätten viele Menschen Angst, etwas falsch zu machen und trauten sich nicht. Um das zu ändern, fordert Brockmann verpflichtende Erste-Hilfe-Kurse: &bdquo;Wer einen Führerschein hat, sollte die Schulung alle zwei Jahre wiederholen müssen.“ Dafür sollten die Kurse nach Angaben des Unfallforschers jedoch auf die drei lebensrettenden Maßnahmen am Unfallort reduziert werden. &bdquo;Dazu gehören neben der Herzdruckmassage die stabile Seitenlage, die die Atemwege offen hält und vorm Ersticken schützt, und der Druckverband, der verhindert, dass jemand mit einer Wunde verblutet.“ Lesen Sie auch: Bielefelder überlebt sieben Herzstillstände Nicht entscheidend zu wissen sei hingegen, wie man einen gebrochenen Arm mit einer Armschlinge ruhigstelle, sagt Brockmann. Das könne den Rettungskräften überlassen werden. &bdquo;Aber alles andere sollte sitzen, damit jeder weiß, was im Ernstfall zu tun ist.“ Rettungsmediziner unterstützt die Forderung Diese Forderung unterstützt auch der Lübbecker Rettungsmediziner Jens Tiesmeier: &bdquo;Entscheidend sind lebensrettende Maßnahmen. Der Bewusstlose, der nicht mehr atmet, benötigt eine Herzdruckmassage. Der Bewusstlose, der noch atmet, darf nicht ersticken und muss in die stabile Seitenlage gebracht werden. Und jemand, der blutet, darf nicht verbluten und benötigt einen Druckverband.“ Laien müssen laut Tiesmeier nur so lange tätig sein, bis der Rettungsdienst übernimmt. Angst, dabei etwas falsch zu machen oder den Betroffenen zu verletzten, ist laut Tiesmeier unbegründet. &bdquo;Bei der Herzdruckmassage gilt: So lange, bis die Rettungskräfte kommen, kräftig auf den Brustkorb drücken. Wer zwischendurch keine Atemspende geben möchte oder kann, soll es einfach lassen. Wichtig sind die 100 bis 120 Drücker pro Minute.“ Überlebenschance sinkt jede Minute um zehn Prozent Tiesmeier und sein Team erleben jedoch immer wieder Untätigkeit. &bdquo;Wir sind innerhalb von acht bis zwölf Minuten nach dem Notruf beim Patienten, doch in vielen Fällen ist in dieser Zeit nichts passiert, was die Überlebenschancen des Patienten drastisch verringert“, erklärt der leitende Arzt der Notaufnahme am Krankenhaus Lübbecke. &bdquo;Mit jeder Minute ohne Herzdruckmassage sinkt die Überlebenschance des Patienten um zehn Prozent. Daher hängt der Erfolg einer professionellen Reanimation maßgeblich vom Einsatz der Ersthelfer ab.“ Lesen Sie auch: Reanimation: Weil zu wenige helfen, sterben jedes Jahr 10.000 Menschen Die häufigsten Ursachen für ein plötzliches Herzversagen seien Herzinfarkte und Herzrhythmusstörungen. &bdquo;In den meisten Fällen steht das Herz aber nicht sofort still, sondern flimmert noch. Halten Ersthelfer das Herz am Flimmern, erhöhen sie zum einen die Chancen auf eine erfolgreiche Reanimation und zum anderen verringern sie das Risiko für Hirnschäden, weil Blut und Sauerstoff weiter gepumpt werden“, erklärt Tiesmeier. Auch der Notfallmediziner fordert wie die Björn-Steiger-Stiftung mehr Öffentlichkeit für Erste Hilfe, um mehr Leben zu retten. &bdquo;Wir erleben in Deutschland zwar, dass die Bereitschaft zur Herzdruckmassage bei Laien steigt, doch in anderen europäischen Ländern ist sie deutlich höher.“ Mehr Öffentlichkeit für Erste Hilfe statt Verpflichtung Tiesmeier sieht regelmäßige, verpflichtende Erste-Hilfe-Kurse jedoch aufgrund des hohen Verwaltungsaufwandes kritisch. Außerdem führten Zwänge oft zu Abwehrhaltungen. &bdquo;Klar ist aber, dass wir mehr Öffentlichkeit brauchen. Warum nicht im öffentlichen Raum, im Fernsehen und im Radio und in den sozialen Netzwerken Spots und Werbung schalten, die uns alle immer wieder an das Thema erinnern?“ So ließen sich lebensrettende Maßnahmen wie die Herzdruckmassage schnell vermitteln. &bdquo;Das Thema muss flächendeckend für eine einfache Weiterbildung präsent sein.“

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