Elias (12) aus Bünde stirbt nach einer Odyssee von Arzt zu Arzt

Bünde. Die Aufzeichnung des letzten gesunden Herzschlages ihres Sohnes Elias halten Nadine und Marko Köppe fest in ihren Händen. Diese besondere Erinnerung ist ein Geschenk der Mitarbeiter der Kinderklinik des St.-Vincenz-Krankenhauses Paderborn, die zwei Stunden vergeblich um das Leben des Zwölfjährigen rangen. Die aufgezeichneten Herzströme, gesichert in einer kleinen Flasche, bedeuten ihnen viel. &bdquo;Doch sie erinnern uns auch daran, dass Elias vielleicht noch leben könnte, wenn er in diesem überforderten System nicht so lange übersehen worden wäre“, sagt Nadine Köppe. Die trauende Mutter spricht von der Krise der Kindermedizin, denn vor Elias’ Tod erlebt die Familie aus Bünde (Kreis Herford) eine Odyssee. Die beginnt für Elias Anfang Februar mit Fieber. Der Zwölfjährige lebt zu diesem Zeitpunkt seit fünf Monaten in einer Wohngruppe der Diakonie in Porta Westfalica. &bdquo;Elias hatte es in der Schule nicht leicht, weil er gemobbt wurde. Er litt an ADHS und hatte psychische Probleme, weshalb uns dazu geraten wurde, Elias dort behandeln zu lassen“, erklärt Nadine Köppe. Seine Eltern erleben Elias in dem neuen Umfeld ausgeglichener. Doch als er im Februar erkrankt, wünscht er sich eine Rückkehr nach Hause. &bdquo;Wir hatten regelmäßig Kontakt.“ Üblich ist das nach Angaben der Köppes nicht, doch als es Elias schlechter geht, holen sie ihren Sohn nach Hause. Denn seit 2021 ist bekannt, dass Elias an pulmonaler Hypertonie leidet, einer Erhöhung des Blutdrucks im Lungenkreislauf, gegen die seine rechte Herzkammer kontinuierlich arbeiten musste. &bdquo;Vor der Rückkehr nach Hause waren Betreuer mit ihm beim Hausarzt und in der Notaufnahme des Johannes-Wesling-Klinikums Minden, doch dort schickten sie ihn mit der Diagnose grippaler Infekt wieder weg“, erklärt Marko Köppe. In den Kinderkliniken Herford, Bielefeld, Minden und Osnabrück ist kein Bett für Elias frei Am 14. Februar ist Elias wieder zu Hause. &bdquo;Wir haben uns erschreckt, weil Elias so schlecht aussah. Ich blieb in der Nacht bei ihm, weil er fantasierte, über Herzschmerzen klagte und Atemaussetzer hatte“, sagt Nadine Köppe. Am nächsten Tag erhält sie einen Termin bei der Kinderärztin, um 17.45 Uhr. Zu dieser Zeit hat Elias bereits seit 13 Tagen Fieber. &bdquo;Die Praxis war so überfüllt, dass wir zwei Stunden im Flur warten mussten. Doch die Ärztin hat den Ernst der Lage erkannt, Elias Sauerstoff verabreicht und einen Rettungswagen alarmiert, weil seine Sauerstoffsättigung nur noch bei 84 Prozent lag und damit viel zu niedrig war.“ In der Kinderarztpraxis erfährt Nadine Köppe, dass in der Kinderklinik im Klinikum Herford kein freies Bett zur Verfügung steht. &bdquo;Wir wurden aber trotzdem dorthin gebracht.“ Lesen Sie auch: So lebt Familie Janke aus Bünde nach dem Tod von Emily (4) In der Notaufnahme warten sie sechs Stunden. &bdquo;Die Ärzte diagnostizierten eine Lungenentzündung, doch bis auf die Gabe von Sauerstoff und einen Corona-Test ist nichts passiert.“ Der Test fällt positiv aus. &bdquo;Dann hieß es, dass Elias nicht aufgenommen werden kann, weil es kein freies Bett für ein infiziertes Kind gibt. Die Ärzte versuchten deshalb, ein Bett in einer anderen Klinik zu finden, doch Bielefeld, Minden und Osnabrück sagten ab. Nur in Paderborn war ein Bett frei.“ Elias muss von Herford in das 70 Kilometer entfernte Paderborn gebracht werden Elias wird im Rettungswagen in die 70 Kilometer entfernte Kinderklinik des St.-Vincenz-Krankenhauses Paderborn gebracht, jedoch ohne seine Mutter. &bdquo;Das ist eine meiner letzten Erinnerungen an meinen Sohn, wie er weinend alleine in den Rettungswagen einsteigt“, sagt Nadine Köppe unter Tränen. &bdquo;Elias wollte unbedingt, dass ich ihn begleite, und auch ich habe mehrfach darum gebeten, doch es wurde mir verwehrt.“ So bleibt Nadine Köppe um drei Uhr nachts alleine in Herford zurück, ohne Auto, weil sie auf dem Weg von der Kinderärztin zum Klinikum Herford im Rettungswagen mitfahren durfte. In Paderborn wird Elias weiter mit Sauerstoff und zusätzlich Antibiotika versorgt, ein erneuter Corona-Test fällt negativ aus. In der Nacht auf den 17. Februar verschlechtert sich sein Zustand. &bdquo;Sie verlegten Elias auf die Intensivstation und sedierten ihn“, erklärt Marko Köppe. Die Eltern warten, bis plötzlich Hektik ausbricht. &bdquo;Eine Schwester informierte uns, dass Elias reanimiert werden muss und fragte uns, ob wir dabei sein wollen.“ Das Paar ist fassungslos, doch Marko Köppe entscheidet sich dafür und beobachtet Ärzte und Pfleger dabei, wie sie zwei Stunden lang versuchen, seinen Sohn wiederzubeleben. &bdquo;Ich stand an seinem Kopf, habe ihn berührt und ihm gesagt, dass er jetzt kämpfen muss.“ Ärzte in Paderborn beobachten bei Elias einen fulminanten Krankheitsverlauf Im Fall von Elias spricht man nach Angaben des St.-Vincenz-Krankenhauses von einem raschen, fulminanten Krankheitsverlauf. Dazu, ob es nicht dazu gekommen wäre, wenn Elias zuvor nicht so viele Stunden auf ein Klinikbett hätte warten müssen, äußert sich die Klinik nicht. Marko Köppe hofft lange, dass sein Sohn wieder aufwachen wird. &bdquo;Doch als ich in die Augen des Arztes sah, wusste ich, dass es keine Chance mehr gab. Ich ging zu meiner Frau und sagte ihr, dass wir uns verabschieden müssen.“ Um 17.02 Uhr hört Elias’ Herz auf zu schlagen. &bdquo;Seitdem funktionieren wir nur noch für unsere siebenjährige Tochter Celine, aber unser Leben wird nie wieder so sein, wie es einmal war, weil Elias nicht mehr da ist.“ &bdquo;Das Gesundheitssystem ist kaputt, wenn kranke Kinder so oft übersehen werden.“ Inzwischen steht fest, dass Elias in Folge eines Rechtsherzversagens gestorben ist. &bdquo;Die Ärzte in Paderborn haben mit uns den Obduktionsbericht besprochen und erklärt, dass sich Mykoplasmen, also Bakterien, die Infektionen verursachen, an Elias geschwächter Lunge festgesetzt haben“, erklärt Marko Köppe. Zudem erfahren die Eltern, dass ihr Sohn aufgrund seiner Vorerkrankung bereits schwer krank war. &bdquo;Das wussten wir nicht, weil wir nie richtig aufgeklärt wurden.“ Seitdem das Obduktionsergebnis vorliegt, fragt sich die Familie, warum Elias im Februar nicht früher behandelt wurde. &bdquo;Warum wurde die Schwere seiner Vorerkrankung nicht erkannt und behandelt? Warum wurde er beim Hausarzt und in der Notaufnahme Minden trotz Vorerkrankung wieder weggeschickt? Warum wurde er in der Notaufnahme Herford während der sechsstündigen Wartezeit nicht behandelt?“, fragt Marko Köppe. &bdquo;Das Gesundheitssystem ist kaputt, wenn kranke Kinder so oft übersehen werden. Wir haben das Vertrauen in das System komplett verloren.“ Kinderarzt in Herford sieht keine Fehler bei der Behandlung von Elias Der Leitende Oberarzt der Kinderklinik Herford, Uwe Spille, kann die Fragen nachvollziehen. &bdquo;Als wir erfahren haben, dass Elias verstorben ist, haben wir uns auch gefragt, ob wir alles richtig gemacht haben. Doch bei seiner Einlieferung war dieser schwere Verlauf nicht absehbar. Das ist ein außergewöhnlicher Fall.“ Es sei jedoch klar gewesen, dass Elias aufgrund seiner kritischen Sauerstoffsättigung im Krankenhaus behandelt werden müsse, doch in Herford sei eine Aufnahme nicht möglich gewesen. &bdquo;Darüber wurden seine Kinderärztin und die Besatzung des Rettungswagens vor der Einlieferung auch informiert.“ Die Verlegung nach Paderborn sei für Elias deshalb zumutbar gewesen, sagt Spille. &bdquo;Er konnte selber einsteigen.“ Die lange Wartezeit in der Notaufnahme ist nach Angaben des Oberarztes jedoch nicht üblich, aber zu dieser Zeit seien viele Kliniken überlastet gewesen. Familie verlangt Aufklärung und schaltet Anwalt ein Um herauszufinden, warum Elias sterben musste, haben die Köppes einen Anwalt sowie die Gutachterkommission der Ärztekammer Westfalen-Lippe eingeschaltet. &bdquo;Wir verlangen Aufklärung und möchten dafür sorgen, dass keine weitere Familie unser Schicksal teilen muss“, sagt Marko Köppe. Lesen Sie auch: Entschädigung nach Behandlungsfehlern: Das müssen Betroffene wissen Dass es auch anders laufen kann, erfahren die Eltern in der Kinderklinik Paderborn. &bdquo;Der Kampf um das Leben von Elias und die Menschlichkeit, die wir dort erfahren haben, waren unglaublich. Wir sind sehr dankbar für die Anteilnahme“, sagt Nadine Köppe. &bdquo;Sogar bei Elias’ Beerdigung waren Schwestern aus Paderborn dabei, um Abschied zu nehmen. Das hat uns tief bewegt.“

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