Vor der Europawahl: Wie NRW und OWL um Einfluss in Brüssel ringen

Brüssel/Düsseldorf. Wenn Rainer Steffens über Nordrhein-Westfalen spricht, dann ohne Überheblichkeit. Dabei könnten die Fakten genau dazu verleiten. Immerhin ist das Land auch im EU-Maßstab ein Schwergewicht. &bdquo;Von seiner Wirtschaftskraft und Bevölkerungszahl her wäre NRW theoretisch in etwa der siebtgrößte Mitgliedsstaat der Europäischen Union“, sagt der Leiter der NRW-Landesvertretung in Brüssel. Vor Belgien, wo das Herz der europäischen Demokratie schlägt. Und vor vielen kleineren EU-Staaten sowieso. Doch NRW ist kein Mitgliedsstaat. Es ist aus EU-Sicht nur eine Region. Und das wiederum ermahnt zur Bescheidenheit. Ganz praktisch heißt das nämlich, dass NRW seine Interessen gegenüber der EU nicht so vertreten kann wie die Mitgliedsstaaten, wie es also auch Deutschland kann mit seinem ständigen Vertreter bei der EU, Michael Clauß. Im Gegensatz zu solchen Repräsentanten haben Steffens und seine 30 Mitarbeiter keinen diplomatischen Status. Oder wie der gebürtige Niedersachse sagt: &bdquo;Wir sitzen nicht unmittelbar mit am Verhandlungstisch“. Um die Interessen des Landes trotzdem dorthin zu tragen, müssen andere Wege eingeschlagen werden. OWL-Kandidatin Verena Mertens: &bdquo;Ich werde auch in der Politik sagen, was ich denke“ Hier kommen informelle Kontakte und ein großes Netzwerk von möglichen Ansprechpartnern ins Spiel. Rund 7.000 entsprechende Adressen hat die Vertretung in ihrer Kartei, sagt Steffens, dessen Frau aus dem Rheinland stammt und selbst für die EU arbeitet. Typischerweise würden relevante Ansprechpartner in die Vertretung eingeladen, zu Feierlichkeiten zum Beispiel. So würden Kontakte angebahnt, die später genutzt werden können. Der Griff zum Telefonhörer folgt mitunter direkt am nächsten Tag. Da heißt es dann zum Beispiel: &bdquo;Guten Tag, Ich hoffe, Sie hatten einen schönen Abend. Nun hätte ich mal eine fachliche Frage.“ Laut Steffens ein typischer Einstieg ins Gespräch. Steffens: &bdquo;Wir sind Lobbyisten der besonderen Art“ Grundsätzlich verstehe sich die Landesvertretung als &bdquo;Sprach- und Höhrrohr der Landesregierung“, sagt Steffens, der selbst schon 18 Jahre in Brüssel arbeitet, mehr als sieben davon für das Land NRW. Sie vertrete die Interessen des Landes gegenüber der EU und informiere das Land über die Brüsseler Gesetzgebung. Gerade vor der Europawahl leiste die Vertretung auch viel Aufklärungsarbeit - etwa über das Erstarken rechter Kräfte. Sich und seine Mitarbeiter sieht Steffens prinzipiell als &bdquo;Lobbyisten der besonderen Art“. Der größte Unterschied zu Wirtschaftsvertretern oder NGO’s: Die Landesvertretung stehe für eine staatliche Einrichtung. Das Vorgehen aber sei nahezu gleich. Die Europawahl 2024: Alle News und Informationen auf unserer Themenseite nachlesen Beliebte Ansprechpartner seien Verantwortliche der EU-Kommission. Denn sie entscheiden, zu welchen Themen Gesetze gemacht werden. Hier versuche man, frühzeitig Landesinteressen vorzubringen. Aber auch der Kontakt zu Parlamentsabgeordneten und EU-Mitarbeitern aus NRW sei wichtig, erklärt Steffens. Der Austausch sei aber keine Einbahnstraße. Gerade, wenn es um Reaktionen auf gewisse EU-Gesetze gehe, seien Eindrücke aus NRW gefragt, sagt der Jurist. Wie kommt zum Beispiel die Klimagesetzgebung im industriell geprägten NRW an? Das zeigt laut Steffens, dass die Vertretung längst nicht mehr nur &bdquo;Bittsteller, sondern auch gefragter Gesprächspartner“ sei. Gegenwind kam anfänglich aus Deutschland Ihren Sitz hat die Vertretung im Europaviertel an der Rue Montoyer in Laufweite zum Europäischen Parlament. Doch die Nähe zum Zentrum der EU sollte nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Status der Vertretung zunächst angezweifelt wurde. Ausgerechnet der Bund betrachtete das Treiben der Bundesländer, von denen NRW 1986 als eines der ersten eine eigene Vertretung in Brüssel eröffnete, zunächst mit Argwohn. Denn laut Grundgesetz ist Außenpolitik seine Sache. Europapolitik also auch. Auf europäischer Bühne hatte das Land aus Bundessicht also nichts verloren, sagt Steffens. Doch als im Verlauf der EU-Geschichte Europapolitik immer mehr zu Innenpolitik wurde, änderte sich das. Auch musste der Bund feststellen, dass es auf Dauer schwierig würde, die unterschiedlichen Interessen von 16 Bundesländern zu vertreten, sagt Steffens. Zudem profitiere der Bund auch von den Vertretungen. Er könne vor Ort schnell Expertise einholen, erklärt Steffens. Schon seit Längerem sei das Verhältnis aber nicht mehr &bdquo;konfrontativ“, sondern &bdquo;kooperativ“, sagt Steffens, der in den nächsten Jahren pensioniert wird und sich &bdquo;sehr gut“ vorstellen kann, dann in NRW zu leben. OWL präsentiert sich in Brüssel Neben der politischen Vertretung haben Steffens und sein Team den Auftrag, das Land selbst zu repräsentieren. Als dessen Markenkern sehe man in Brüssel die Industrie, sagt Steffens. Präsentiert werden aber auch die Zivilgesellschaft und die Kultur - etwa durch Lesungen mit Künstlern aus NRW, Auftritten der besten Poetry Slammer oder einer jährlichen Karnevalsveranstaltung mit rund 800 Kostümierten, der laut Steffens &bdquo;größten westlich von Aachen“. Und bald könnte sich auch Ostwestfalen-Lippe in Brüssel wieder auf großer Bühne präsentieren. Jedes Jahr veranstaltet die Landesvertretung ein großes Sommerfest mit einer NRW-Region als Partner. 2011 stellte sich OWL, das in Brüssel als &bdquo;wichtiger Wirtschaftsstandort“ bekannt ist, als erster der fünf NRW-Regierungsbezirke im Zentrum der EU vor. Vertreten wurde die Region unter anderem von der Universität Bielefeld, die menschenähnliche Roboter präsentierte. 2026 könnte es erneut soweit sein, stellt Steffens in Aussicht: &bdquo;Das würde sehr gut passen.“

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