FDP-Chef in NRW: „Wir schicken einen Euro nach Brüssel und bekommen 60 Cent wieder“

Herr Höne, wäre Ursula von der Leyen eine gute erneute Kommissionspräsidentin? Henning Höne: Ich mache Wahlkampf für eine starke FDP. Aber die CDU scheint selbst nicht von Frau von der Leyen überzeugt zu sein, sonst würde sie ihre Spitzenkandidatin ja plakatieren. Von ihrem Versprechen, 25 Prozent Bürokratie abzubauen, ist nichts übrig. Was von der Leyen macht, ist schwarz-grüne Planwirtschaft. Was läuft falsch? Die EU ist zu groß in Details und zu klein in großen Fragen. Von der Leyen hat das verschlimmert. Sie hat Europa nicht gestärkt. Brüssel muss sich zum Beispiel um Sicherheits- und Handelsfragen, eine faire Verteilung der Flüchtlinge und ein europaweites Energienetz kümmern, nicht aber um immer neue, kleine Förderprogramme. Warum fließen denn aus Brüssel Gelder für Förderprogramme in wirtschaftlich gesunde Regionen in NRW – zum Beispiel für Dorfgemeinschaftshäuser? Darüber freuen sich vor Ort dann alle Würdenträger. Doch in Wahrheit haben wir vorher einen Euro nach Brüssel geschickt und bekommen 60 Cent wieder. Das erschließt sich mir nicht. So was brauchen wir nicht. Wird die Rolle der EU-Parlamentarier überschätzt? Nein, über die Hälfte der Projekte, die in Berlin beschlossen werden, waren vorher in Brüssel. Es ist also eben nicht egal, sondern hochrelevant, was dort entschieden wird. In Summe ist Europa für uns Deutsche gesellschaftlich und wirtschaftlich ein riesiger Gewinn, aber trotzdem kann man vieles besser machen. In welchem politischen Lager soll sich die FDP künftig im EU-Parlament positionieren? Die Liberalen gehören zu Renew Europe, in der politischen Mitte. Wir werden nicht mit Rechtspopulisten zusammenarbeiten, wie sich das bei von der Leyen mitunter andeutet. Ich halte es aber für genauso wichtig, dass die Bürger weiterhin klare inhaltliche Unterschiede zwischen den Parteien wahrnehmen. Dazu sollten wir beitragen. Ich halte es für gefährlich, wenn alle Demokraten angesichts radikaler Parteien nur noch eine Meinung haben. Deutschlands Wirtschaftswachstum stagniert, während es in anderen EU-Ländern wächst. Was muss in Deutschland besser werden? Unser Problem in Deutschland sind hohe Energiekosten, eine schlechte Infrastruktur und eine viel zu lange Planung, durch die wir Jahre hinterherhängen. Das ist ein giftiger Cocktail. Wir sind auch mit einer Steuerbelastung von 30 Prozent in Summe auf Dauer nicht wettbewerbsfähig. Wir können eine Wettbewerbsfähigkeit nicht herbei subventionieren. Das Beispiel Thyssen Krupp zeigt das doch sehr anschaulich. Kaum gibt das Land NRW mit 700 Millionen Euro die größte Einzelförderung der Landesgeschichte raus, da kündigt das Unternehmen einen Stellenabbau an. Wir können froh sein, dass der deutsche Mittelstand sehr standorttreu ist. Was schlagen Sie vor? Wir müssen ein Reformpaket auf den Weg bringen, das die Agenda 2010 in den Schatten stellt, was Mut und Veränderungswillen betrifft. Wir brauchen eine Wirtschaftswende. Die Unternehmenssteuern müssen runter und wir müssen Genehmigungsverfahren völlig neu denken. Ein Beispiel: Warum darf der Staat für gewisse Dinge vorschreiben, dass es eine Genehmigung braucht, während es zugleich aber keine feste Regelung gibt, bis wann diese Genehmigung ausgestellt sein muss? Das ist ein Unding. Vorschlag: Bei jedem Genehmigungsvorbehalt, den uns der Staat aufgibt, gibt es eine Frist. Und wenn die abgelaufen ist, gilt das Projekt als genehmigt – zum Beispiel beim Hausbau. Das wäre ein echter Paradigmenwechsel. Weiteres Beispiel: Warum verschickt der Staat bei der Geburt eines Kindes verschiedene Geburtsurkunden für verschiedene Sozialleistungen? Warum gibt es nicht eine Urkunde und die Anträge werden automatisch und digital gestellt, so wie in Estland? Sie sind in NRW in der Opposition, doch in Berlin ist Ihre Partei Teil der Ampel. Ärgert es Sie, dass die Ampel so viel streitet und die Landesverbände damit nach unten zieht? Ja und nein. Das Parteiensystem wird immer bunter. Das bildet sich dann in neuen Konstellationen ab. Und dann wird eben heftiger um Inhalte gerungen. Da lohnt auch ein bisschen weniger Skandalisierung, wenn der Finanzminister mal anderer Meinung ist als der Wirtschaftsminister. Am Ende braucht es einen Kompromiss und der muss dann auch gelten. Ihr Finanzminister macht sich bei den aktuellen Haushaltsverhandlungen wenig Freunde, weil er strikt an der Schuldenbremse festhält Christian Lindner hat zur Schuldenbremse eine Haltung, die sowohl dem Grundgesetz als auch dem Koalitionsvertrag entspricht. Das ist doch eine sehr überzeugende Grundlage. Die Schuldenbremse hat noch nicht an einer Stelle eine wirklich notwendige Investition verhindert. Sondern sie mahnt dazu an, vernünftig mit dem Geld umzugehen, das wir heute haben. Der Landeshaushalt NRW hat sich in den vergangenen zwölf Jahren nahezu verdoppelt; der Bundeshaushalt ist im selben Zeitraum um knapp 60 Prozent gestiegen. Es kann nicht an zu wenig Geld liegen. Wir brauchen nicht immer nur mehr Geld, sondern wir müssen es treffsicherer einsetzen. Da haben wir auch beim Sozialstaat noch viel Potenzial. Der hilft derzeit viel zu oft den Findigen, nicht aber den Bedürftigen in diesem Land. Wirtschaftliche Stärke ist Voraussetzung für alles andere.

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