Emmerich (dpa). Nach dem landesweiten Rückgang der Pegelstände hat einer der führenden NRW-Hochwasser-Experten vor Selbstzufriedenheit gewarnt. „Am Rhein war das nicht mal ein Übungshochwasser“, sagte der Sprecher des NRW-Arbeitskreises Hochwasserschutz und Gewässer, Holger Friedrich. Angesichts des Klimawandels mit niederschlagsreicheren Wintern drohten künftig wesentlich höhere Wasserstände - und viele Deichkilometer allein am Rhein seien unverändert gefährlich marode.
Da die planmäßigen Deichsanierungen sich wegen umfangreicher Planungsauflagen etwa zum Naturschutz und Personalmangels in den Verwaltungen oft um viele Jahre verzögerten, forderte Friedrich provisorische Deichsicherungen durch Sand- und Kiesaufschüttung an bekannten Schadstellen. „Lassen Sie uns das großflächig und rechtzeitig machen - bevor Hundertschaften Sandsäcke von Hand schleppen müssen.“
Solche Sand-Kies-Schüttungen aus Lastwagen brächten ein deutliches Plus zwar nicht in der Höhe, aber bei der Standsicherheit. Das Material für die provisorischen Sicherungen auf der Rückseite der Deiche lasse sich später beim regulären Deichbau verwerten.
Fast 100 Kilometer Deich sind „Sanierungsfall“
Die Kosten für solche provisorischen Sicherungen müsse - wie bei regulären Sanierungen - zu 80 Prozent das Land tragen. Den Rest könnten die Deichverbände übernehmen, die aus Beiträgen der Flussanlieger finanziert werden. Friedrich ist auch Geschäftsführer des größten NRW-Deichverbandes Bislich-Landesgrenze am Niederrhein.
Bereits 1990 sind nach Friedrichs Worten im „Generalplan Hochwasserschutz“ im Regierungsbezirk Düsseldorf 130 Kilometer Deiche als sanierungsbedürftig ausgewiesen worden. Vor zehn Jahren seien es im sogenannten „Fahrplan Deichsanierung“ immer noch 121 Kilometer Rheindeich gewesen, sagte Friedrich. Seit 2014 erneuert worden seien gerade einmal 16 Kilometer, 8 weitere seien im Bau. „Fast 100 Kilometer Deich sind weiter ein Sanierungsfall.“
Vom offiziellen Ziel einer Deichsanierung bis 2025 habe das Land sich schon verabschiedet, sagte Friedrich. Jetzt sei 2035 als neue Zielmarke ausgerufen worden - „und auch das wird schwierig“.
Planungsverfahren dauern viele Jahre
Der Deichbauexperte fordert seit Jahren eine Beschleunigung der Planungsverfahren oder sogar Notgesetze, die dem Hochwasserschutz Vorrang gegenüber zum Beispiel Natur- und Denkmalschutz einräumen. Er beklagt immer kompliziertere Vorgaben und Auflagen etwa zu Ausgleichsflächen für die Deiche, deren Aufstellflächen bei den Sanierungen in der Regel von rund 30 auf 60 Meter verdoppelt werden. Von der ersten Planung bis zum Baurecht dauere es inzwischen oft zehn Jahre - in der Zeit gebe es oft neue Eigentümer der nötigen Grundstücke, die das Einverständnis zum Bau zurückzögen.
Das diesjährige Hochwasser am Rhein mit unter 8 Metern Wasserstand in Emmerich sei alles andere als eine Bewährungsprobe gewesen, sagte Friedrich. Beim letzten sogenannten Jahrhunderthochwasser im Jahr 1995 habe der Rhein bei 9,84 Meter in Emmerich gestanden. Und künftig seien noch höhere Wasserstände möglich, wenn Schneeschmelze und Regen im Winter zusammenkämen. „Wir warten auf die Katastrophe“, sagte er. In Nordrhein-Westfalen leben nach offiziellen Angaben rund 1,4 Millionen Menschen am Rhein in Flussnähe.