Quereinsteiger bei der Bahn

Lokführer dringend gesucht – so kämpft die Bahn-Branche gegen Zugausfälle

„Hoher Krankenstand“, „kurzfristiger Personalausfall“: Wenn das auf der Anzeigentafel steht, fällt meist der nächste Zug aus. 2024 will die Branche noch intensiver gegen den Personalmangel kämpfen. Schnelle Erfolge erwartet aber kaum jemand.

"Aufgrund eines erhöhten Krankenstandes" steht auf einer Bahnsteiganzeige am Hauptbahnhof Düsseldorf. | © Arne Meyer

04.01.2024 | 04.01.2024, 07:02

Düsseldorf (dpa). Der bange Blick aufs Handy gehört für Bahn-Pendler morgens inzwischen zur Routine: Fährt der Zug, oder ist wieder ein Lokführer krank? Jeden Morgen veröffentlichen die Bahn-Unternehmen Listen der Linien, die von kurzfristigen Personalausfällen betroffen sind.

„Die Personalsituation sieht sehr, sehr schlecht aus“, sagt ein Sprecher von Mobil.NRW, der Dachmarke des Nahverkehrs in Nordrhein-Westfalen. 2024 will die Branche mit Geld vom Land ihr Werben um Personal noch einmal verstärken. Doch dass die Zahl der Zugausfälle kurzfristig deutlich zurückgehen könnte, glaubt niemand in der Branche.

Rund fünf Prozent der Züge sind 2022 sehr kurzfristig ausgefallen. Der häufigste Grund: fehlendes Personal. Im ersten Halbjahr 2023 hat sich der Trend laut Mobil.NRW fortgesetzt. Aktuellere Zahlen gibt es nicht, weil der folgenschwere Hackerangriff auf den Dienstleister Südwestfalen-IT auch die Computer mehrerer ÖPNV-Akteure lahmlegt.

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NRW braucht Hunderte neue Lokführer

Schon heute sind nach Angaben der Branche rund 150 von rund 3.300 Lokführerstellen unbesetzt, mehr als 600 weitere Lokführer gehen bis 2027 in den Ruhestand. Bei den Disponenten in den Leitstellen und den Zugbegleitern sieht es nicht viel besser aus. Die Verkürzung der Wochenarbeitszeit, für die die Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL) in den kommenden Wochen streiken will, ist da noch gar nicht mit eingerechnet. Ein solcher Tarifabschluss hätte „massive Mehrbedarfe von einigen hundert Lokführerinnen und Lokführern“ zur Folge, sagt eine Sprecherin des Landesprogramms Fokus Bahn.

National Express hat mit Verweis auf den Personalmangel zu einem drastischen Mittel gegriffen und dauerhaft den Fahrplan gestutzt. „Wir wollen vermeiden, dass unsere Fahrgäste morgens von einem Zugausfall überrascht werden“, sagt Geschäftsführer Jan Reinicke.

Im Zweifel sei es besser, wenn weniger Züge auf dem Fahrplan stehen - die dann aber auch zuverlässig kommen. Seit einigen Wochen fährt der RE11 deshalb nicht mehr zwischen Düsseldorf und Hamm, auf der Linie RE4 wurden Fahrten zwischen Aachen und Düsseldorf gestrichen.

„Das System Eisenbahn ist am Anschlag“

„Das System Eisenbahn ist am Anschlag“, sagt Reinicke. „Unsere Mitarbeitenden geben jeden Tag ihr Bestes, um den Betrieb unter widrigen Bedingungen aufrecht zu erhalten.“ Aber diese hohe Belastung für jeden Beschäftigten durch Überstunden und kurzfristig geänderte Dienstpläne fordere auch ihren Tribut. Das mache sich nicht zuletzt in den überdurchschnittlich vielen Krankmeldungen bemerkbar, unter denen die ganze Branche leide.

Große Hoffnungen setzen die Akteure in eine gemeinsame Beschäftigungsoffensive, die 2024 so richtig durchstarten soll. Seit 2019 sind Politik und elf Bahnunternehmen in der Initiative Fokus Bahn NRW zusammengeschlossen, um ihre Maßnahmen bei der Personalsuche zu bündeln.

225 Lokführer seien 2023 im Rahmen des Bündnisses qualifiziert worden, sagt eine Sprecherin. Dazu kämen 195 Lokführer, die von den einzelnen Bahnunternehmen selbst ausgebildet wurden. Nun schießt das Land noch einmal sechs Millionen Euro zu, damit die Zahl der neuen Lokführer 2024 noch einmal um mindestens 50 Prozent steigt. Dabei zielt die Branche vor allem auf Quereinsteiger, die in gut einem Jahr für den neuen Job in der Lok umgeschult werden. Das hilft schneller gegen den Personalmangel als die klassische dreijährige Ausbildung. Auch Programme für Disponenten und Kundenbetreuer werden ausgebaut.

Keine Hoffnung auf schnelle Besserung

Dass sich dadurch kurzfristig etwas an den vielen Zugausfällen durch den Personalmangel ändert, erwarten Vertreter der zuständigen Verkehrsverbünde aber nicht. Die Lage bleibe auch in den kommenden Monaten angespannt, sagt etwa eine Sprecherin des Verkehrsverbunds Rhein-Ruhr (VRR). Das liege an der Personalsituation, aber auch an der störungsanfälligen Infrastruktur.

Die Branche ist bis auf weiteres damit beschäftigt, die Situation zumindest zu stabilisieren. Dabei sei von Politik und Gesellschaft ja eigentlich gewünscht, den ÖPNV auszubauen und eine klimafreundliche Mobilitätswende zu schaffen, sagt die Fokus-Bahn-Sprecherin. Aber der Personalbedarf dafür sei in den aktuellen Zahlen noch gar nicht berücksichtigt.