Bielefelder Mutter „erschüttert“: Verzweifelte Suche nach Antibiotikum an Weihnachten

Bielefeld. Auch in diesem Winter fehlt es an grundlegend wichtigen Medikamenten für Kinder. Was das bedeutet, musste Familie Weber (Name geändert) aus Bielefeld ausgerechnet an den Weihnachtsfeiertagen erleben. Bei Sohn Benjamin wird eine starke Lungenentzündung festgestellt. Mit der Diagnose teilt die diensthabende Ärztin in der Notaufnahme aber auch gleich mit: Die Chancen auf das passende Antibiotikum stehen schlecht. Es ist der Auftakt zu einer Odyssee durch eine stürmische Winternacht. Starke Halsschmerzen und hohes Fieber bei Benjamin, so beginnt bei den Webers der 24. Dezember. Friederike Weber fackelt nicht lange und fährt mit dem Achtjährigen zum Kinderärztlichen Notdienst in Bielefeld, denn Benjamin hatte als Baby und Kleinkind sehr oft Lungenentzündungen. Der Arzt diagnostiziert eine virale Mandelentzündung – und schickt die Familie nach Hause. Am zweiten Weihnachtstag verschlechtert sich Benjamins Zustand abends plötzlich massiv. &bdquo;Er war kurzatmig, hatte starke Schmerzen beim Atmen, war kaum ansprechbar“, sagt Mutter Friederike. Sie fährt wieder mit ihm in die Notaufnahme. Die Diagnose diesmal: Benjamin hat eine starke Lungenentzündung, braucht das Antibiotikum Amoxicillin. &bdquo;Die Ärztin sagte uns aber auch gleich, dass wir das als Kinderpräparat in Saftform höchstwahrscheinlich nirgendwo bekommen werden.“ Benjamin müsste deshalb Tabletten nehmen, die grundsätzlich von der Dosierung nicht passen. &bdquo;Er hätte dann morgens und abends jeweils eine ganze Tablette mit zu hoher Dosierung und mittags eine halbe mit zu niedriger Dosierung schlucken müssen.“ Für Weber kommt das nicht infrage. &bdquo;Er verträgt Antibiotika in der Regel eh schon schlecht, außerdem hätte ich gar nicht gewusst, wie ich eine ganze Tablette in ihn reinbekommen soll, ohne dass er sich übergibt, das hatten wir auch alles schon.“ Apotheker sehen Risiko für Antibiotika-Resistenzen Doch es gibt noch ein anderes Risiko, das der Mutter dreier Kinder bewusst ist, und das Experten bereits im Frühjahr benannt haben. &bdquo;Ausweichpräparate bekämpfen zwar auch effektiv bakterielle Infektionen“, sagte Thomas Preis, Vorsitzender des Apothekerverbands Nordrhein. &bdquo;Sie sind aber nicht das Optimum. Es kann sein, dass sie höher dosiert werden oder länger verabreicht werden müssen. Das ist etwas, was wir gerade bei Kindern eigentlich vermeiden wollen. Und es besteht auch ein höheres Risiko für die Bildung von Antibiotika-Resistenzen.“ Also klappert Weber in der Weihnachtsnacht die Notapotheken ab, allein mit ihrem kranken Sohn, denn Vater Georg ist zu Hause bei den anderen Kindern. &bdquo;Das ist völliger Wahnsinn, da stehst du nachts vor irgendwelchen Schaufenstern und versuchst, deine Verzweiflung durch irgendwelche Sprechanlagen deutlich zu machen, während dein Kind schlecht Luft bekommt.“ Irgendwann, kurz vor Mitternacht, hat Friederike Weber Glück. Eine Apothekerin entscheidet nach telefonischer Rücksprache mit dem Kinder-Notdienst: Sie wird den Webers ein aufgrund der gelockerten Einfuhrregelungen importiertes Amoxicillin-Präparat eines indischen Pharmakonzerns geben, das Kunden im Normalfall mit Leitungswasser selbst anmischen. Zur Sicherheit möchte sie es aber selbst noch in der Apotheke fertigstellen. Ohne Dosierungshilfe und deutschen Beipackzettel Warum das Präparat nur so zögerlich herausgegeben wird, weiß Weber, sobald sie es in den Händen hält: Der Beipackzettel ist auf Englisch, eine Dosierungsmarkierung auf der Flasche fehlt, eine Dosierungspipette oder -spritze für die Verabreichung gibt es auch nicht. &bdquo;Die hat mir die Apothekerin separat dazu geschenkt.“ Der Arzneimittelkommission der Apotheker (AMK) sind Probleme mit diesem Produkt seit längerem bekannt. Sie teilte bereits im Sommer mit: &bdquo;Der AMK liegen (...) Meldungen aus Apotheken zu Amoxicillin Aurobindo (...) zur Herstellung einer Suspension zum Einnehmen (...) wegen fehlender Dosierhilfe und einer fehlenden Markierung an der Flasche vor.“ Kinderärztesprecher: Hangeln uns von einer Katastrophe zur nächsten Für Marcus Heidemann, Vorsitzender des Berufsverbandes der Kinder- und Jugendärzte in Westfalen-Lippe, kommen all diese Szenarien nicht überraschend. &bdquo;Es wird alles immer absurder. Bei den Antibiotika haben wir immerhin noch Plan B und C. Aktuell aber bekommen wir für Asthma-Patienten kein Salbutamol, und hier gibt es keine Ausweichmöglichkeiten. Wir hangeln uns von einer Katastrophe zur nächsten.“ Zumindest Familie Weber hat dieses Mal Glück gehabt. Benjamin geht es mittlerweile besser. &bdquo;Aber wir werden mit seinen Erkrankungen künftig immer wieder Antibiotika brauchen“, sagt Friederike Weber. &bdquo;Und jetzt einmal so drastisch erlebt zu haben, dass wir in Deutschland nicht mehr gut versorgt sind, erschüttert mich total.“ Zum Thema: &bdquo;So schlimm war es noch nie“: Sprecher der Bielefelder Kinderärzte schlägt Alarm

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