Wer ist Presse? Verwaltungsgericht Minden fällt ein brisantes Urteil

Bielefeld. Ein Internet-Blogger und Youtuber will vom Bielefelder Landgericht Privilegien, die sonst nur Vertreter der Presse haben. So beginnt ein juristischer Streitfall, der schließlich mit einem Urteil des Verwaltungsgerichts Minden endet. Es ist ein Richterspruch, der den Journalistenverband empört, doch der auch aus weiteren Gründen brisant ist. Der Reihe nach: Der Mann, der verschiedene Internet-Seiten betreibt sowie einen Youtube-Kanal mit etwas über 100 Abonnenten, wollte ins Bielefelder Landgericht zwei Smartphones, Stativ und Laptop mitnehmen. Er wollte Filmaufnahmen vor und nach einer Verhandlung anfertigen, bei der er selbst betroffen war. Offenbar ging es um Kosten für einen Anwalt, die der Mann zurückklagen wollte. Das Gericht lehnte den Wunsch jedoch ab. Der Blogger wendete sich wegen des drohenden Drehverbots per Eilantrag an das Verwaltungsgericht in Minden. Er gehöre doch zur Presse, argumentierte er. Die Entscheidung folgte kurz darauf: Die Mindener Richter gaben dem Bielefelder recht. Demnach reiche es aus, einen Youtube-Kanal zu haben, um Pressetätigkeiten auszuüben. Dass der Kanal aufgrund seiner Abonnenten und Aufrufe – bisher erreichten lediglich 14 seiner insgesamt 65 Videos mehr als zweistellige Klickzahlen – wohl nur über eine beschränkte Reichweite verfüge, sei unbeachtlich. Für die Mindener Richter spielte die potenzielle Reichweite eine wichtige Rolle, und die sei im Internet "unbegrenzt". Journalistenverband kritisiert Entscheidung Für den Status als Journalist, so meinten die Richter, brauche es nicht zwangsläufig einen Presseausweis, da es auch ehrenamtliche Journalisten gebe. Darüber hinaus entschied das Verwaltungsgericht, dass auch eine "besondere Qualifikation" oder ein "journalistisches Mindestniveau" nicht erforderlich seien, sondern lediglich "eine gewisse Strukturierung der Informationsweitergabe". So würden etwa bloße Äußerungen in einem Chat-Room nicht unter die Presse-, sondern unter die Meinungsfreiheit fallen. Der Deutsche Journalistenverband (DJV) zeigt sich von der Mindener Entscheidung mehr als überrascht. DJV-Bundesvorsitzender Frank Überall nannte die Entscheidung fern von der notwendigen Kenntnis sozialer Netzwerke und etablierter Medien: "Wie will man eigentlich noch journalistische Angebote von lustigen Katzenvideos und anderem Klamauk unterscheiden?" Medienrechtler: Youtuber haben wichtige Rolle Der DJV-Vorsitzende hält die mangelnde Abgrenzung zwischen professionellen Medienschaffenden und Hobbyjournalisten für befremdlich. "Bei Demonstrationen etwa müssen die Polizeikräfte weiter die Möglichkeit haben, Journalisten und Aktivisten zu unterscheiden. Der Besitz einer Videokamera kann nicht das Entscheidungskriterium sein." Der Berliner Presserechtler Malte Nieschalk betont gegenüber der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" zwar, dass Youtuber wichtig für die demokratische Willensbildung sein können. Aber er wirft dem Mindener Gericht vor, eine wichtige Frage nicht geprüft zu haben: ob auch Youtuber wie der Bielefelder Blogger personenbezogene Daten auch ohne Einwilligung verarbeiten dürfen. Dieses Privileg genießen Medien. Nähe zu Verschwörungsszene? Brisant ist die Entscheidung der Mindener Richter aber auch aus einem anderen Grund: So legen diverse Blog-Einträge und Youtube-Videos des Bielefelders eine Nähe zur Szene der sogenannten Corona-Leugner nahe. In gleich mehreren Videos bewarb der Mann zwischen 2020 und 2021 die wöchentlichen Bielefelder Corona-Mahnwachen. Ein weiteres Video zeigt ihn im Rahmen eines Gerichtstermins im Interview mit einer Person, die laut Medienberichten zur Reichsbürger-Szene gehören soll. In Blog-Einträgen scheint er sich darüber hinaus mit bekannten Verschwörungstheoretikern zu solidarisieren. Der Mann bezeichnet sich selbst im Gespräch mit dieser Redaktion als "kritischen Geist". Kontaktschuld weist er deutlich von sich. Generell sei er mit seinem Blog und seinem Youtube-Kanal seit vielen Jahren Justizbeobachter und an einer größeren Reichweite interessiert. Er deutet zudem an, mit seinen Inhalten in Konkurrenz zur Presse zu stehen und daher auch deren Privilegien haben zu wollen. Die Entscheidung aus Minden ist derweil noch nicht rechtskräftig. Es wurde Beschwerde beim Oberverwaltungsgericht NRW eingelegt.

Meistgelesen