Neun Stunden in der Notaufnahme – das ist kein Einzelfall mehr

Bielefeld/Herford/Paderborn/Minden/Gütersloh. Die Lage in den Notaufnahmen ist angespannt: Bundesweit mehren sich Berichte, nach denen Patienten mit einer akuten Verletzung, einer Infektion oder anderen Leiden bis zu neun Stunden auf eine Behandlung warten müssen. "Die Situation ist gleichbleibend sehr angespannt, die Patientenzahl weiterhin sehr hoch", sagt die Chefärztin der Zentralen Notaufnahmen im St. Vincenz Krankenhaus Paderborn, Kirsten Schäfers. Grund ist, dass seit Beginn der Pandemie in Notaufnahmen neben der Akut- und Notfallversorgung fast alle schwer erkrankten Covid-Patienten stationär erstversorgt oder intensivmedizinisch behandelt werden. Aufgrund der aktuellen Krankheitswelle kommen seit Wochen viele Erwachsene und Kinder mit herkömmlichen Atemwegsinfekten in die Notaufnahme, die häufig stationär versorgt werden müssen. Gleichzeitig verschärfen die Infektionswellen auch den Personalmangel in den Kliniken. Die Überlastung der Notaufnahmen zwingt manche OWL-Kliniken deshalb zu radikalen Maßnahmen. Im Johannes Wesling Klinikum wurden seit dem 12. Dezember alle elektiven Operationen und Behandlungen abgesagt, bestätigt der Sprecher der Mühlenkreis-Kliniken, Christian Busse. "Wir haben sehr konsequent gehandelt und elektive Operationen und Behandlungen verschoben. Dringliche Operationen werden weiterhin durchgeführt." Das bestätigt auch Hans-Werner Kottkamp, Chefarzt der zentralen Notaufnahme im evangelischen Klinikum Bethel (EvKB) in Bielefeld. Triage-System ist in Notaufnahmen Alltag Durch diese Maßnahme steht mehr Personal in der Notfallversorgung zur Verfügung. Ein ähnliches Vorgehen wählten viele Kliniken zum Höhepunkt der Corona-Pandemie. Damals wie heute fallen unter die verschobenen Operationen etwa Rücken- und Gelenkeingriffe oder Operationen eines Nabelbruchs. Zusätzlich würden rund 20 Prozent des Bettenkontingents für Notfallpatienten vorbehalten. Die Kliniken in der Region weisen auf Nachfrage dieser Redaktion explizit daraufhin, dass Notaufnahmen nur in äußersten Notfällen aufgesucht werden sollten. "Notaufnahmen arbeiten nicht nach dem Wer-zuerst-kommt-Prinzip. Stattdessen wird eine Triage angewendet. Menschen mit lebensbedrohlichen Notfällen werden sofort behandelt", sagt Christian Busse. Anhand eines festgelegten Schemas werde symptomorientiert entschieden, welche Patienten sofort behandelt werden und welche sich gedulden müssen. Bei Erkrankungen wie hohem Fieber, kleineren Schnittverletzungen oder Harnwegsinfekten müssen Patienten teilweise bis zu neun Stunden in der Notaufnahme warten, sagt Busse. In Bielefelder und Paderborner Notaufnahmen seien drei Stunden Wartezeit inzwischen Normalität, bestätigen Bethel und das St. Vincenz Krankenhaus auf Nachfrage. Der Sprecher der Mühlenkreis-Kliniken geht im Gespräch mit dieser Zeitung davon aus, dass sich die Situation Anfang Januar wieder verbessert und elektive Operationen nachgeholt und durchgeführt werden können. Personal am Limit "Die Leute sind zermürbt. Manche geben ihren Beruf auf oder wechseln die Berufssparte", sagt Hans-Werner Kottkamp. Zwar versuche er mit kleinen Gesten dem entgegenzuwirken, von der Gesellschaft werde die Arbeit des Krankenhauspersonals jedoch kaum gewürdigt, berichtet er. Die Deutsche Gesellschaft Interdisziplinäre Notfall- und Akutmedizin (DGINA) appelliert in einer Mitteilung an alle politisch Verantwortlichen und Akteure der Notfallversorgung. &bdquo;Eine solch schwierige Situation, wie wir sie im Moment sehen, kann nur durch eine gemeinsame Kraftanstrengung von Notaufnahmen, Klinikleitungen, Rettungsdienst und der Kassenärztlichen Vereinigung bewältigt werden“, sagt DGINA-Präsident Martin Pin. Anfang Mai findet in Bielefeld ein Kongress der DGINA unter dem Motto "Notaufnahme – Ab in die Zukunft" statt. Die dort diskutierten Themen würden angesichts der momentanen Situation drängen, betont Hans-Werner Kottkamp. "Die Mitarbeiter befinden sich an der Belastungsgrenze."

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