Fehlende Distanzierung von Putin? Ukrainer in NRW hadern mit russischen Nachbarn

Düsseldorf. &bdquo;Ich würde mir wünschen, dass die Russen hier auf die Straße gehen und gegen das Putin-Regime demonstrieren“, sagt Julia Chenusha. Die 35-Jährige stammt aus der Ukraine, lebt inzwischen in Köln und engagiert sich in der Flüchtlingshilfe. Gemeinsam mit weiteren Mitgliedern des deutsch-ukrainischen Vereins &bdquo;Blau Gelbe Engel“ organisiert Chenusha regelmäßig Demonstrationen – für den Frieden und gegen den Krieg. Russische Präsenz stelle sie dabei fast nie fest. &bdquo;Für mich bedeutet das Schweigen gleichzeitig zu unterstützen.“ Iranerinnen und Iraner kämpften gegen das dortige Regime und würden überall in der Welt durch Demonstranten unterstützt. Das wünsche sie sich auch von Russen, sagt Chenusha. So wie die junge Frau sind viele Ukrainer, die in NRW leben, von ihren russischstämmigen Mitbürgern enttäuscht. Doch was sagen die eigentlich? Und wie schätzen Experten die Situation ein? Diese Redaktion hat für ein differenziertes Bild in den vergangenen Wochen mit vielen Ukrainern, Russen und unabhängigen Fachleuten darüber gesprochen. Ihre Aussagen zeigen mehr als einen Blickwinkel auf das Problem. Ukrainer vermissen Distanzierung vom Putin-Regime Wenn man Linda Mai fragt, was sie von hier lebenden Russen erwartet, antwortet sie mit einer Gegenfrage: &bdquo;Würden Sie auf die Straße gehen und demonstrieren, wenn Ihr Land wahllos Frauen und Kinder eines Nachbarlands tötet?“ Die Vorsitzende des Vereins &bdquo;Blau Gelbe Engel“ glaubt, dass sich viele Russen in NRW nicht klar vom Krieg und Vorgehen des russischen Regimes distanzieren. &bdquo;Wir sind doch hier in einem freien Land. Wer demonstriert, hat nichts zu befürchten“, sagt Mai und verweist auf die vielen Demonstrationen in Deutschland für die Menschen im Iran. &bdquo;Von Russen sehen wir so etwas leider so gut wie nicht.“ Künstler Victor Moser, der in NRW lebt und dessen Eltern aus der Ukraine stammen, glaubt, dass die &bdquo;russische Propaganda“ bis nach NRW reicht. Er kenne mehrere Deutschrussen, bei denen &bdquo;den ganzen Tag lang“ russisches Fernsehen laufe. Das beeinflusse die Menschen. &bdquo;Mich macht das tieftraurig“, sagt Moser. Der 62-Jährige ist der Meinung, dass es auch im Ausland viele &bdquo;Moskau-hörige Russen“ gibt. Russen warnen vor Pauschalisierungen Katharina Kabata weist die Kritik zurück und bezeichnet Vorwürfe über russische Propaganda als &bdquo;zu einfach“. Kabata ist Vize-Vorsitzende des Düsseldorfer Integrationsrats und vor 30 Jahren von Russland nach Deutschland gekommen. &bdquo;Über wen reden wir hier eigentlich genau?“, fragt sie und weist darauf hin, dass viele Ukrainer und Russen in &bdquo;vielschichtigen“ Beziehungen miteinander verbunden sind. Ukrainer hätten zum Beispiel oftmals Angehörige in Russland – oder umgekehrt. Manchmal würden sogar Ukrainer in NRW Russisch sprechen, da sie die Sprache zu Zeiten der Sowjetunion gelernt hätten. Kabata warnt vor &bdquo;Pauschalisierungen“. Sie kenne zahlreiche Russen, die sich in NRW zum Beispiel in der Flüchtlingshilfe engagierten. &bdquo;Muss man zwingend auf Demonstrationen gehen, um sich vom russischen Regime zu distanzieren?“ Ja, meint Polina Prokofieva, die aus dem russischen St. Petersburg stammt und seit drei Jahren in Köln lebt. &bdquo;Ich finde, dass wir Russen uns öffentlich von Putin distanzieren sollten.“ Eine ähnliche Meinung vertritt Alexander Wittmer von der Deutsch-Russischen Gesellschaft Paderborn. Er habe anfangs viel mit Landsleuten diskutiert, da er nicht nachvollziehen könne, dass einige den Krieg rechtfertigten, sagt Wittmer. Von den Diskussionen sei er inzwischen müde. Aber auch er betont, dass eine klare Trennlinie zwischen &bdquo;den Russen“ und &bdquo;den Ukrainern“ keineswegs möglich sei. Auch deshalb seien viele familiäre und freundschaftliche Beziehungen zwischen Russen und Ukrainern zuletzt &bdquo;auseinandergebrochen“. Wissenschaftler liefern Erklärungsansätze Eindeutige Zahlen über den Protest russischstämmiger Menschen gibt es nicht. Die ukrainische Generalkonsulin in NRW, Yrina Shum, ist für die aktuell rund 250.000 ukrainischen Geflüchteten in NRW zuständig. Ihr seien &bdquo;keine Kundgebungen“ russischer Mitbürger in Deutschland bekannt, sagt sie dieser Redaktion. Es gebe zwar &bdquo;regelmäßige Proteste gegen den Krieg“, doch diese seien im Verhältnis zur Größe der Gruppe &bdquo;sehr klein“, betont auch Stefanie Schiffer, Geschäftsführerin der Initiative &bdquo;Europäischer Austausch“. Ende 2021 lebten in NRW 54.000 Russen sowie 30.000 Ukrainer. Der öffentlich sichtbare Widerstand gegen das Putin-Regime sei &bdquo;schwächer“ als beispielsweise im Fall des Iran, sagt Stefan Melle, Geschäftsführer des Vereins &bdquo;Austausch“. Woran das liegt? Schiffer erklärt die &bdquo;Passivität“ mit einer jahrelangen politischen Entmündigung russischer Bürger und spricht von einem &bdquo;politikfeindlichen Klima“, dem sich auch die im Ausland lebende Community nicht entziehen könne. Initiativen versuchen zu vermitteln Doch auch in NRW gibt es Initiativen und Personen, die sich für das russisch-ukrainische Verhältnis starkmachen. So wie Katja Kuklinski, eine gebürtige Ukrainerin, die sich im Bereich der Integration engagiert. Sie kenne viele Russen, die sich in NRW ehrenamtlich um ukrainische Geflüchtete kümmerten. &bdquo;Einige haben Schuldgefühle, weil ihr Herkunftsland einen brutalen Krieg angefangen hat“, so Kuklinski. Bestimmt gebe es auch in Deutschland Russen, die Putins Krieg tolerierten, doch dabei handele es sich nicht um eine laute Stimme, sagt sie. &bdquo;Diese Menschen bestimmen nicht den öffentlichen Diskurs.“ Vor allem kurz nach dem Überfall habe es auch aus russischen Kreisen in NRW viel Solidarität mit der Ukraine gegeben, sagt Yuri Nikitin vom Verein &bdquo;Freies Russland NRW“. Russischstämmige Mitbürger haben eigene Kundgebungen mit bis zu 400 Teilnehmern organisiert, sich an ukrainischen Demonstrationen beteiligt und Spenden gesammelt, berichtet er. Das Verhältnis werde aber schwieriger, je länger und brutaler der Krieg werde. &bdquo;Wir kümmern uns inzwischen nicht nur um ukrainische Geflüchtete, sondern auch um Oppositionelle, die aus Russland fliehen“, sagt Nikitin. Das verstehe nicht jeder. &bdquo;Wir zeigen Haltung gegen diesen Angriffskrieg“, bekräftigt Lisa Wolfson, die in Russland geboren ist und inzwischen in NRW lebt. Wolfson ist Mitbegründerin der deutsch-russischen Initiative "Demokrati-JA". Deren Ziel sei es, zivilgesellschaftlichen Protest der Russen zu organisieren und sichtbar zu machen. Dabei stehe man aber erst am Anfang. Strukturen seien bislang quasi nicht vorhanden. &bdquo;Wir versuchen, vor allem die Menschen zu erreichen, die vor Putins Terror die Augen verschließen und für Propaganda empfänglich sind.“ Dieser Kampf sei mühsam, sagt Wolfson. Doch sie ist hoffnungsvoll, dass sich das Verhältnis von Russen und Ukrainern auch in Deutschland langfristig wieder normalisieren wird.

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