"Ich bin ein anderer Mensch": Ein Bielefelder lebt mit seltener Krankheit

Bielefeld. Als der Bielefelder Andreas Kellerhoff am 3. Mai 2020 mit Kopfschmerzen in den Tag startet, weiß er noch nicht, dass sich sein Leben von Grund auf ändern wird. Über mehrere Tage nimmt er Schmerzmittel ein und versucht zu arbeiten, doch die Schmerzen nehmen nicht ab, sondern steigern sich ins Unermessliche. Am 6. Mai sind sie so stark, dass er seinen Sohn bittet den Notruf zu wählen. Kurz darauf liegt Kellerhoff als Patient auf der Intensivstation im evangelischen Klinikum Bethel und erfährt, dass er an der Krankheit Hydrocephalus leidet, einer krankhaften Erweiterung der mit Hirnwasser gefüllten Ventrikel des Gehirns. Kellerhoff muss seitdem mit einer seltenen Erkrankung leben, da nicht mehr als fünf von 10.000 Menschen davon betroffen sind. Was das für Betroffene bedeutet, erklärt Kellerhoff mit Einblicken in sein neues Leben. &bdquo;Ich bin jetzt ein anderer Mensch“, sagt Kellerhoff. Auf den ersten Blick sieht man ihm das nicht an, doch vieles, was für den 58-Jährigen bis Mai 2020 selbstverständlich war, ist es seitdem nicht mehr. &bdquo;Auto fahren, im Urlaub segeln, viele Freunde treffen, handschriftlich schreiben oder Bücher lesen. Das alles geht nicht mehr.“ Kellerhoff leidet aufgrund des Hydrocephalus an vielen körperlichen und psychischen Einschränkungen, wie einer Gangstörung, Inkontinenz, einem Tremor der rechten Körperseite, Vergesslichkeit sowie Einschränkungen beim visuellen Erfassen und der psychischen Belastbarkeit. &bdquo;Ich bin in vielen Alltagssituationen unsicher“, sagt Kellerhoff. &bdquo;Zudem besteht das Risiko epileptischer Anfälle, die ich jedoch mit Medikamenten verhindern kann.“ Der Bielefelder gilt deshalb als schwerbehindert mit einem Grad der Behinderung von 50. Alle drei bis vier Stunden hinlegen, sonst kommen die Kopfschmerzen zurück Zudem muss sich Kellerhoff tagsüber alle drei bis vier Stunden hinlegen. &bdquo;Mache ich das nicht, bekomme ich starke Kopfschmerzen, weil das Hirnwasser als Folge des Hydrocephalus nicht ablaufen kann.“ Von einem Hydrocephalus spricht man, wenn das Hirnwasser auf Kosten des Hirnvolumens zunimmt. Das Hirnwasser wird vor allem in den Hirnkammern gebildet, umspült auch die Außenseite von Gehirn und Rückenmark und wird dann in den Blutstrom abgegeben. Die Bildung und der Abfluss von Hirnwasser stehen im Gleichgewicht zueinander. Wird dieses ausgeglichene Verhältnis gestört, entwickelt sich ein Hydrocephalus, so wie bei Kellerhoff. &bdquo;Bei Kindern führt das zu einem Wasserkopf, doch bei Erwachsenen kann sich der Kopf nicht ausweiten. Dann treten starke Schmerzen auf.“ Um den Abfluss des Hirnwassers wieder zu ermöglichen, wurde Kellerhoff eine Drainage implantiert, die vom Kopf bis in die Bauchhöhle führt. &bdquo;Ich habe einen Shunt im Gehirn. Von dort fließt das Hirnwasser über die Drainage in den Bauchraum, allerdings nur wenn ich liege, denn dann öffnet sich das Ventil hinter meinem Ohr“, erklärt Kellerhoff. Die rettende Operation am 28. Juli 2020 war jedoch lange nicht möglich. &bdquo;Mein Hirnwasser war lange Zeit entzündet, weshalb ich zehn Wochen im künstlichen Koma lag.“ "Ich bezeichne mich nicht mehr als krank, sondern als anders" Trotz dieser Strapazen sowie der Einschränkungen führt Kellerhoff inzwischen wieder ein selbstständiges Leben. &bdquo;Das war jedoch ein sehr langer Weg, denn ich musste nach der langen intensivmedizinischen Behandlung vieles erst wieder in monatelanger Rehabilitation neu erlernen, selbst das Gehen.“ Zu seinem Lernprozess gehören laut Kellerhoff auch die Akzeptanz und der Umgang mit seinem neuen Leben. &bdquo;Ich bezeichne mich nicht mehr als krank, sondern als anders, weil ich weiß, dass ich nun mit diesen vielen Einschränkungen leben muss.“ Kellerhoff geht nach eigenen Angaben nun langsamer durchs Leben, doch einige Teile seines alten Lebens erhält sich der Bielefelder. So arbeitet der 58-Jährige, der vor seiner Erkrankung als Logistik-Betriebsleiter bei der Neuen Westfälischen tätig war, seit Juni an seiner beruflichen Wiedereingliederung im Verlag. Verbunden mit der Hoffnung, irgendwann wieder mehr als drei Stunden pro Tag zu arbeiten. &bdquo;Ich wünsche mir die Struktur im Leben und das Gefühl gebraucht zu werden.“ Kaum Möglichkeiten, um sich mit Gleichgesinnten auszutauschen Zudem engagiert sich Kellerhoff weiterhin ehrenamtlich für den Bielefelder Sportverein SV Gadderbaum. &bdquo;Das macht mir große Freude, denn die Menschen dort wissen sehr gut, wie sie empathisch mit Menschen umgehen, die so wie ich mit Einschränkungen leben müssen.“ Doch als Mensch, der an einer seltenen Erkrankung leidet, die nicht mehr als fünf von 10.000 Menschen betrifft, erlebt Kellerhoff immer wieder auch belastende Situationen. &bdquo;Viele Menschen wissen nicht, wie sie einfühlsam und respektvoll mit mir umgehen sollen. Die meisten meinen das natürlich nicht böse, doch sie sind den Umgang mit eingeschränkten Menschen einfach nicht gewohnt.“ Zudem bedauert Kellerhoff, dass es kaum Möglichkeiten gibt, sich mit Gleichgesinnten auszutauschen. &bdquo;Selbsthilfegruppen, die für viele kranke Menschen selbstverständlich in jeder Stadt verfügbar sind, finden Menschen wie ich nur sehr schwer. Meine Angehörigen und Freunde unterstützen mich sehr. Auch die Hilfe meiner Ärzte und Therapeutin schätze ich, doch der Austausch mit Menschen, die genau wissen, wie ich mich fühle, fehlt mir.“ Engagement in einer Selbsthilfeorganisation Um das zu ändern, ist Kellerhoff inzwischen Teil der Arbeitsgemeinschaft Spina Bifida und Hydrocephalus (ASBH) in Dortmund, der bundesweiten Selbsthilfeorganisation für Menschen mit Spina bifida und Hydrocephalus. &bdquo;Die Betroffenen leben jedoch sehr weit verstreut in Deutschland und der Austausch läuft häufig nur digital.“ Dabei ist Kellerhoff trotz seiner seltenen Erkrankung einer von vielen, denn alleine in Deutschland leiden nach Angaben des Bundesgesundheitsministeriums vier Millionen Menschen an einer Krankheit dieser Art. &bdquo;Da es mehr als 6.000 unterschiedliche seltene Erkrankungen gibt, ist die Gesamtzahl der Betroffenen trotz der Seltenheit der einzelnen Erkrankungen hoch.“

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