Einsatz für Frauen und Männer: So will die Gendermedizin mehr Leben retten

Bielefeld. Covid-19 zeigt sie deutlich, die Unterschiede zwischen Männern und Frauen. Eine Infektion mit dem Coronavirus kann zwar für jeden Menschen lebensbedrohliche Folgen haben. In der Pandemie wurde jedoch deutlich, dass sich beide Geschlechter ähnlich häufig infizieren, Männer allerdings deutlich häufiger sterben. Es gibt viele weitere Krankheiten, die Unterschiede aufzeigen, doch das Geschlecht spielt in der Medizin trotzdem nur eine untergeordnete Rolle. Die Gendermedizin will das ändern, um die Leben von mehr Frauen und Männern zu retten. Die Universität Bielefeld geht mit der Medizinischen Fakultät OWL dafür neue Wege und hat die bundesweit erste Professur für geschlechtersensible Medizin geschaffen. Sabine Oertelt-Prigione will in dieser Rolle für mehr Gerechtigkeit sorgen. Obwohl bekannt ist, dass Unterschiede zwischen den Geschlechtern das Erbgut, die Anatomie, den Stoffwechsel, den Hormonhaushalt und das Immunsystem betreffen, ist der Maßstab in der Medizin ein 75 Kilogramm schwerer Mann. &bdquo;Das Geschlecht wurde historisch nicht mitgedacht, was dazu geführt hat, dass Männer und Frauen trotz dieser Unterschiede häufig identisch behandelt werden“, erklärt Gendermedizinerin Sabine Oertelt-Prigione, die seit 2021 an der Universität Bielefeld tätig ist. &bdquo;Dabei können sich Krankheiten bei Männern und Frauen unterschiedlich äußern. Zudem sind unterschiedliche Therapien oder eine andere Menge Arzneimittel nötig.“ Viele Krankheiten werden nur einem Geschlecht zugeordnet Folgen habe der fehlende Fokus auf Geschlechterunterschiede in der Medizin nach Angaben der Ärztin auch auf die Zuweisung von Krankheiten. &bdquo;So denkt man bei Schmerzen in der Brust an einen Mann mit Herzinfarkt und bei brüchigen Knochen an eine Frau mit Osteoporose. Beide Erkrankungen kommen aber bei beiden Geschlechtern vor, werden jedoch hauptsächlich mit nur einem Geschlecht verbunden“, erklärt Oertelt-Prigione. In der Folge komme es bei der Diagnose von Herzinfarkten bei Frauen und von Osteoporose bei Männern häufig zu einer Unterversorgung. &bdquo;Von einer geschlechtersensiblen Medizin profitieren also auch Männer.“ Das Problem beginnt laut der Gendermedizinerin in der Forschung. &bdquo;Bei der Entwicklung von Arzneimitteln wurden Frauen über lange Zeit als Probandinnen ausgeschlossen“, erklärt Oertelt-Prigione. &bdquo;In Studien wird das Geschlecht als Information über Patienten zwar miterfasst, nach der Erfassung spielt es jedoch in den meisten Analysen keine Rolle mehr.“ Selbst bei der Erforschung neuer Krankheiten wie Covid-19.Oertelt-Prigione und weitere Wissenschaftler der Universität Bielefeld sowie aus Dänemark und den Niederlanden haben 2021 in einer Metaanalyse von 4.420 klinischen Studien zu Covid-19 gezeigt, dass nur vier Prozent der Studien Geschlecht als Aspekt einbeziehen. &bdquo;Das zeigt, dass selbst bei so viel Aufmerksamkeit für eine neue Krankheit und die Geschlechterunterschiede, über die immerhin weltweit diskutiert wurde, Geschlecht nach wie vor nicht konsequent mitgedacht wird“, moniert Oertelt-Prigione. &bdquo;Eine ungenutzte Chance, um Covid-19-Patienten besser behandeln zu können.“ Geschlechtersensible Medizin als Teil der Medizinerausbildung Aus diesem Grund setzt sich die Ärztin dafür ein, dass geschlechtersensible Medizin bereits ab dem ersten Semester Teil der Medizinerausbildung wird, so wie in der Medizinischen Fakultät OWL. &bdquo;Und zwar als Teil aller Disziplinen und nicht als extra Fach, damit das Wissen möglichst breit in die Ausbildung implementiert und so Bewusstsein für Geschlechterunterschiede geschaffen werden kann“, sagt Oertelt-Prigione. Nur so werde das Wissen auch in der Praxis ankommen.&bdquo;Im Studium geht es nicht nur um die Vermittlung von Wissen, sondern auch um die Förderung von Sensibilität“, erklärt die Gendermedizinerin. Das Geschlecht sei hier ein sehr wichtiger Faktor, jedoch nicht der einzige, wie das Beispiel Covid-19 zeige. &bdquo;Weltweit sterben mehr Männer als Frauen an der Krankheit. Untersuchungen aus den USA zeigen jedoch, dass das Mortalitätsrisiko bei schwarzen Frauen fast dreimal so hoch ist wie bei weißen Männern.“ Voraussetzung für eine bessere Patientenversorgung sei deshalb eine personalisierte Medizin, sagt Oertelt-Prigione. &bdquo;Mediziner sollten nach dem Studium jeden Menschen als Individuum sehen.“

Meistgelesen