Schutz Corona-Impfung: Soziales Umfeld kann Verschwörungstheoretiker überzeugen

Tübingen/Bielefeld. Die Entscheidung für oder gegen eine Corona-Schutzimpfung ist von vielen Faktoren abhängig. Die Mehrheit der Bevölkerung in Deutschland hat sich für eine Immunisierung entschieden. Fast 60 Prozent verfügen inzwischen über einen vollständigen Impfschutz. Doch noch immer haben sich viele Erwachsene nicht impfen lassen. Das gilt nach Angaben des Leibniz-Instituts für Wissensmedien in Tübingen vor allem für Menschen, die anfällig für Verschwörungsmythen sind. Studien der Wissenschaftler zeigen, dass auch Zweifler bereit sind, sich impfen zu lassen, wenn das persönliche Umfeld es von ihnen erwartet. Den großen Einfluss des sozialen Umfelds auf die Impfbereitschaft erlebt auch die Bielefelder Psychiaterin Solmaz Golsabahi-Broclawski in ihrer Praxis und im Impfzentrum. "Der entscheidende Faktor ist das soziale Umfeld" In Zusammenarbeit mit der Universität Queensland in Australien haben die Tübinger Forscher in fünf Studien mit mehr als 1.200 Teilnehmern herausgefunden, dass Familie und Freunde die Impfbereitschaft beeinflussen, da sie negative Einflüsse von Verschwörungsmythen abschwächen können. "Der entscheidende Faktor ist das soziale Umfeld", sagt Projektleiter Kevin Winter. Wenn Freunde und Familie eine positive Einstellung und Erwartung signalisieren, sind auch Menschen, die einer Impfung skeptisch gegenüberstehen, eher dazu bereit. Dies gilt neben der Immunisierung gegen das Coronavirus auch für weitere Schutzimpfungen, wie etwa der Impfung gegen FSME, eine Hirnhaut- oder Gehirnentzündung, ausgelöst durch das FSME-Virus, das durch Zecken übertragen wird. Frühzeitige Gespräche mit Impfskeptikern Hilfreich sind laut Winter vor allem frühzeitige Gespräche mit Bekannten und Verwandten, die entsprechende Bedenken äußern. Das könne nicht nur der Ausbreitung von Verschwörungsmythen entgegenwirken, sondern auch deren Impfbereitschaft steigern. Doch auch das soziale Umfeld kann nach Angaben der Wissenschaftler nicht alle vom Nutzen von Schutzimpfungen überzeugen. "Menschen, die Impfungen grundsätzlich ablehnen oder bereits sehr tief in ein verschwörerisches Weltbild abgetaucht sind, sind nur schwer zu erreichen", erklärt Winter. Das bestätigt auch die Bielefelder Psychiaterin Solmaz Golsabahi-Broclawski, die sowohl in ihrer Praxis, als auch im Impfzentrum der Stadt Bielefeld gegen das Coronavirus impft. "Das soziale Umfeld ist für die meisten Menschen wichtiger als wissenschaftliche Erkenntnisse. Das kann dazu führen, dass das Umfeld Impfskeptiker überzeugen kann, aber leider auch dazu, dass irrationale Ängste weiter gegeben werden und so die Ablehnung der Impfung noch verstärkt wird." Das beobachtet Golsabahi-Broclawski in allen gesellschaftlichen Schichten: "Das gilt unabhängig vom Bildungsgrad, Herkunft oder Lebensstil." Große Sorgen vor gesundheitlichen Schäden In Gesprächen berichten Patienten der Psychiaterin vor allem von Sorgen vor gesundheitlichen Schäden durch die Impfung. "Die Ängste sind häufig irrational, panisch und an der Grenze zum Wahnhaften." So sorgen sich Patienten aufgrund der Impfung vor Unfruchtbarkeit, einer veränderten DNA, implantierten Mikrochips, einem erhöhten Krebsrisiko oder, dass sie spätestens in vier Jahren sterben. "Als Beweis zeigen mir viele Patienten vermeintliche Belege, wie Videos, die zeigen, wie ein Oberarm nach der Impfung plötzlich magnetisch ist." Diese tiefsitzenden Ängste führen nach Erfahrung der Psychiaterin auch zu Brüchen in Familien und Partnerschaften. "Das kann Beziehungen zerstören." Andere Impfverweigerer empfinden sich als Helden. "Sie wollen sich nicht impfen lassen, um als einzige Überlebende die Wahrheit über die Impfung weiterz geben. Sie bezeichnen sich deshalb bewusst als Querdenker, weil sie anders sein wollen." "Betroffene wissen nicht mehr, wem sie vertrauen können" Gemein haben die meisten Skeptiker nach Angaben der Bielefelderin, dass sie das soziale Umfeld auf die angeblichen Impfschäden aufmerksam gemacht hat. "Häufig erfahren Menschen von Angehörigen, Freunden, Nachbarn oder Kollegen von angeblichen Impfschäden und finden dann im Internet Bestätigungen", sagt Golsabahi-Broclawski. "Betroffene wissen häufig nicht mehr, wem sie vertrauen können, weil hinter Verschwörungsmythen häufig auch Ärzte oder auch bekannte Persönlichkeiten wie Politiker stecken." Als Medizinerin investiert Golsabahi-Broclawski deshalb viel Zeit in Überzeugungsarbeit. "Wichtig ist, dass wir Ärzte mit unseren Patienten direkt, aber auch offen und ehrlich sprechen und zugeben, wenn wir auf eine Frage mal keine Antwort haben. Viele zeigen sich danach sehr dankbar." Dieser Einsatz koste allerdings viel Zeit. "Das sind keine Gespräche mehr, die zwischen Tür und Angel geführt werden können. Für die Menschen, die das Impfangebot bislang noch nicht genutzt haben, müssen wir Ärzte Zeit und Muße aufbringen." Mit niederschwelligen Impfangeboten und dem Ende der kostenlosen Corona-Tests können nach Einschätzung der Psychiaterin zwar noch immer Menschen von einer Impfung überzeugt werden. "Doch für den großen Rest der Ungeimpften reicht das nicht. Wir Ärzte müssen uns ihre Argumente anhören und es als Vertrauenspersonen schaffen, diese sachlich zu widerlegen."

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