Reanimation: Weil zu wenige helfen, sterben jährlich 10.000 Menschen mehr

Köln/Lübbecke. Als im Juni der dänische Fußball-Nationalspieler Christian Eriksen beim EM-Spiel gegen Finnland kollabiert, bangen Millionen Zuschauer um das Leben des 29-Jährigen. Es sind dramatische Szenen, die sich auf dem Spielfeld abspielen, denn Eriksen muss reanimiert werden. Doch dank des schnellen Handelns seiner Mitspieler und der Rettungskräfte überlebt der Fußballer und die Zuschauer sehen, dass Wiederbelebung Leben retten kann. Das gilt auch außerhalb von Fußballstadien, denn jedes Jahr sterben alleine in Deutschland 70.000 Menschen, weil plötzlich ihr Herz versagt. Aus Sicht von Notfallmedizinern könnten jedoch Tausende Leben gerettet werden, wenn mehr Menschen im Notfall reanimieren würden. Doch in Deutschland passiert das nur in 40 Prozent der Notfälle. &bdquo;Wüssten alle Menschen, wie Wiederbelebung funktioniert, könnten jedes Jahr zusätzlich 10.000 Menschenleben gerettet werden", sagt Bernd Böttiger, Direktor der Klinik für Anästhesiologie und Operative Intensivmedizin des Universitätsklinikums Kölns. Denn 50 Prozent der Patienten, dessen Herz außerhalb einer Klinik plötzlich versagt, sind nicht allein. Sie werden zu Hause oder in der Öffentlichkeit dabei beobachtet, wie sie kollabieren. Hilfe ist also möglich. Notfall: prüfen, rufen, drücken Im Notfall sind nach Angaben Böttigers die drei Schritte prüfen, rufen und drücken entscheidend: Zunächst müsse geprüft werden, ob die hilfsbedürftige Person bewusstlos sei und nicht oder nicht normal atme. Ist das der Fall, sollte laut Böttiger im nächsten Schritt der Notruf 112 gewählt und danach umgehend mit der Herzdruckmassage begonnen werden. &bdquo;Dafür muss man mit beiden Händen in der Mitte des Brustkorbs fünf bis sechs Zentimeter tief drücken und das 100 bis 120 Mal pro Minute." Orientierung könne der Takt vieler bekannter Lieder geben etwa &bdquo;Stayin` alive" von den Bee Gees oder &bdquo;Atemlos" von Helene Fischer. Angst, dabei etwas falsch zu machen oder den Betroffenen zu verletzen, müssen Ersthelfer nach Angaben des Lübbecker Rettungsmediziners Jens Tiesmeier nicht haben. &bdquo;Solange, bis die Rettungskräfte kommen, 30 Mal kräftig drücken und dann zwei Mal beatmen. Und wer keine Atemspende geben möchte oder kann, soll es einfach lassen. Wichtig sind die 100 bis 120 Drücker pro Minute auf den Brustkorb." Vielen Menschen bleiben im Ernstfall untätig Viele Menschen wissen das aber offenbar nicht oder trauen sich eine Reanimation nicht zu, denn in 60 Prozent der Notfälle wird lediglich der Notruf abgesetzt, aber nicht reanimiert, wie die Daten des Deutschen Reanimationsregisters zeigen. Untätigkeit erleben Tiesmeier und sein Team bei Einsätzen immer wieder. &bdquo;Im Durchschnitt benötigen wir nach dem Notruf 6,3 Minuten bis zum Patienten, doch in viele Fällen ist in dieser Zeit nichts passiert, was die Überlebenschancen des Patienten drastisch verringert", erklärt der leitende Arzt der Notaufnahme am Krankenhaus Lübbecke. &bdquo;Mit jeder Minute ohne Herzdruckmassage sinkt die Überlebenschance des Patienten um zehn Prozent. Daher ist der Erfolg einer professionellen Reanimation maßgeblich vom Einsatz der Ersthelfer abhängig." Die häufigsten Ursachen für ein plötzliches Herzversagen sind laut Böttiger ein Herzinfarkt oder schwere Herzrhythmusstörungen. Notfällen können aber auch Entzündungen des Herzmuskels oder der Herzkranzgefäße sowie angeborene Anomalien zugrunde liegen. &bdquo;In den meisten Fällen steht das Herz aber nicht sofort still, sondern flimmert noch. Halten Ersthelfer das Herz am Flimmern, erhöhen sie zum einen die Chancen auf eine erfolgreiche Reanimation und zum anderen verringern sie das Risiko für Hirnschäden, weil Blut und Sauerstoff weiter gepunpt werden", erklärt Tiesmeier. Laut Böttiger stirbt das Gehirn ohne Sauerstoff nach drei bis fünf Minuten.Mehr Öffentlichkeit für Laien-Reanimation gefordert Trotzdem reagieren im Notfall nur 40 Prozent der Ersthelfer mit einer Wiederbelebung. Im europäischen Durchschnitt sind es laut Böttiger immerhin 58 Prozent. Um auch in Deutschland mehr Leben zu retten, fordert der Deutsche Rat für Wiederbelebung von den Bundesländern stärkere Anstrengungen zur Verbesserung der Reanimationserfolge. Am wichtigsten ist laut Böttiger, dass mehr Menschen verstehen, wie wichtig die Laien-Reanimation ist, um Leben zu retten. &bdquo;Beginnen Ersthelfer sofort mit der Reanimation, könnten dreimal mehr Menschen überleben, als wenn erst der Rettungsdienst damit beginnt." Tiesmeier fordert, dass das Thema Wiederbelebung mehr Öffentlichkeit erhält. &bdquo;Wir alle sollten im Fernsehen und Radio, aber auch in der Öffentlichkeit und im öffentlichen Nahverkehr immer wieder mit Spots und Werbung an das Thema erinnert werden." Telefonisch assistierte Reanimation in OWL Flächendeckend umgesetzt werden sollte nach Einschätzung der Mediziner auch die telefonisch assistierte Reanimation. &bdquo;Erkennen die Disponenten in den Leitstellen bei einem Notruf ein plötzliches Herzversagen, werden nicht nur die Rettungskräfte alarmiert, sondern gleichzeitig die Ersthelfer angeleitet, damit sie bis zum Eintreffen der Profis reanimieren", erklärt Tiesmeier. In Deutschland gehen laut Böttiger bislang jedoch erst 23 Prozent der Leitstellen so vor, während es in anderen Ländern bereits gesetzlich vorgeschrieben ist. In OWL wird die telefonische assistierte Reanimation laut Tiesmeier bereits praktiziert. &bdquo;Im Kreis Minden-Lübbecke wurden 2020 25 Prozent aller Anrufer telefonisch angeleitet." Die Mediziner fordern zudem, dass Ersthelferkenntnisse in der Schule vermittelt werden. &bdquo;Die WHO unterstützt die Initiative Kids save Lives, die in vielen Ländern Bestandteil des Unterrichts ist. Das ist wichtig, denn dadurch verlieren Kinder die Scheu und wissen von klein auf, wie sie im Notfall reagieren müssen", sagt Tiesmeier. Symptome wie Ohnmacht können auf Herzerkrankung hinweisen Damit es erst gar nicht zu dem Notfall plötzliches Herzversagen kommt, rät der Rettungsmediziner Menschen mit bestimmten Symptomen zur ärztlichen Abklärung. &bdquo;Symptome wie Ohnmacht, anhaltenden Brust- oder Oberbauchschmerzen, Atemnot, Herzstolpern oder extra Schläge sowie Schwindelattacken, die sich auf das Herz auswirken, können Hinweise auf eine Herzerkrankung sein, die dringend untersucht werden sollten." Laut Tiesmeier auch bei jüngeren Menschen. &bdquo;Denn der Fall des Fußballers Eriksen hat gezeigt, dass plötzliches Herzversagen jeden treffen kann, aber nicht tödlich enden muss, wenn die Rettungskette aus Ersthelfern und Rettungskräften geschlossen funktioniert."

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