Sieben Tage nach der Flut: "Wenn der Strom fehlt, dann grillen wir"

Hagen. Als die Wassermassen gingen, kamen die Gaffer und schließlich die Sammler. Vier Tage nach der Flut im Westen steht Elisabeth Dimitriadou neben einem zwei Meter hohen Berg aus Sperrmüll. &bdquo;Willst du nicht lieber mit anpacken, anstatt zu glotzen?", fragt sie einen älteren Herrn auf der anderen Straßenseite. Der zeigt ihr den Mittelfinger und geht weg. Ein paar Stunden später stehen plötzlich ein Dutzend wildfremder junger Männer vor Dimitriadous Haustür – um ihr beim Aufräumen zu helfen. &bdquo;Sie haben den ganzen Tag mit angepackt, einfach so", berichtet sie. Hagen wurde mit als Erstes von den Wassermassen getroffen. Dort zeigt sich derzeit eindrucksvoll, wie unterschiedlich Menschen ticken – selbst in der Krise. Elisabeth Dimitriadou ist eine starke Frau. Eine Woche nach ihrer Brustkrebs-OP läuft ihre Wohnung in Hagen-Hohenlimburg voll mit Wasser – die braune Brühe reichte bis zur vierten Treppenstufe. Ein paar Tage danach steht Dimitriadou an einem rostigen Grill vor ihrer Wohnung, um ihren Helfern etwas zu essen zu machen. &bdquo;Der Strom funktioniert noch immer nicht", sagt sie und lächelt. So, als wäre nichts gewesen. "Braucht ihr was?" In diesem Moment stoppt ein Minivan mit Bochumer Kennzeichen auf dem Bürgersteig. &bdquo;Braucht ihr was?", fragt Stephanie Adrian. Der Kofferraum ist voll gepackt mit gelben Schwämmen, Seife und weiteren Hygieneartikeln. &bdquo;Wir wurden in Bochum vom Hochwasser verschont, also will ich den Menschen hier helfen", sagt Adrian. In Hagen fährt sie nun die Straßen ab, um Spenden zu verteilen. Elisabeth Dimitriadou strahlt: &bdquo;Einfach toll." Doch so geht es nicht allen. Wenige Autominuten entfernt, in einer Straße mit schicken Häusern und großen Vorgärten, wartet Christa Duveroth auf den Sachverständigen, der den Schaden ihres Carports bemessen soll. &bdquo;Die Menschen hier sind misstrauisch geworden", sagt Duveroth, eine ältere Dame mit Halskette und rotem Lippenstift. Sie fragt lieber noch einmal nach, mit wem sie hier gerade spricht. Seit Sonntag seien immer wieder Fremde die Straße entlanggefahren, &bdquo;mit allen möglichen Kennzeichen". Sie hätten es auf die vielen Gegenstände abgesehen, die aktuell vorübergehend auf den Bürgersteigen stehen, glaubt Duveroth: Trockner, Fernseher, Waschmaschinen, Kühlschränke. &bdquo;Einige Schrottsammler suchen sich die Sachen hier sogar in aller Ruhe aus." Tatsächlich mehren sich Polizeimeldungen über illegale Schrottsammler, die unterwegs sind, um die aufgeschichteten Überreste der Flut zu durchwühlen, bei Aufräumarbeiten zu stören und stellenweise noch mehr Unordnung anzurichten. Der Polizei Hagen wurden zu Wochenbeginn knapp 30 Vorfälle gemeldet, bei denen Bürger verdächtige Feststellungen gemacht hatten. Polizei zeigt verstärkt Präsenz In Wuppertal kam eine komplette Restaurantküche abhanden, die zur Reinigung vor dem Gebäude abgestellt wurde. In Altena im Sauerland musste die Polizei zwölf Mal ausrücken, weil sich Menschen über Schrott hermachten. &bdquo;Es macht mich wütend, wenn ich höre, dass gerade jetzt Menschen in ihre verwüsteten Häuser zurückkehren und feststellen, dass Plünderer das wenige gestohlen haben, was ihnen noch geblieben ist", sagt NRW-Ministerpräsident Armin Laschet. In Aachen hingegen korrigierte die Polizei die Berichterstattung lokaler Medien, wonach es zu Plünderungen gekommen sei. Dennoch sind die Beamten in den betroffenen Gebieten verstärkt im Einsatz, auch um das objektive und subjektive Sicherheitsgefühl der Anwohner zu stärken. Spricht man Betroffene in Hagen darauf an, so bestätigen sie, dass immer wieder Gaffer und Schrottsammler für Ärger sorgen. &bdquo;Mir haben sie sogar die Schubkarre geklaut", sagt Dimitriadou. Doch in jedem Gespräch heben die Opfer des Hochwassers prompt die Solidarität hervor, die sich im Ort seit einigen Tagen breitgemacht hat. So, als wollten sie den einigen wenigen, die sich an ihrem Leid zu bereichern versuchen, bloß nicht zu viel Raum geben. Hochwasser-Laden für Betroffene Im Zentrum von Hohenlimburg hat diese Solidarität seit einer Woche einen Namen. &bdquo;Hochwasser-Laden" steht auf einem Zettel am Schaufenster. Öffnungszeiten: 14 bis 18 Uhr. Das, was früher mal eine Filiale der Drogeriemarktkette &bdquo;Ihr Platz" war, dient den Helfern aktuell als Lagerraum für Sachspenden.Ehrenamtler gründen Supermarkt für Hochwasser-OpferMedienberaterin Antje Borgmann kümmert sich von morgens bis abends um die Koordination. Seitdem klingelt ihr Handy im Minutentakt. Rund 100 Freiwillige aus dem Ort helfen mit, um die Spenden anzunehmen, zu sortieren und zu verteilen. &bdquo;Die Pampers gehen schon wieder aus. Auch Babynahrung wird knapp", sagt eine Helferin. Täglich kommen Bullis und Lkw aus dem ganzen Land, bis zum Dach voll mit Sachspenden. &bdquo;Gestern waren Privatpersonen aus Nürnberg und Leipzig hier", berichtet Borgmann. Sie betont, dass man weiter auf Spenden angewiesen sei. &bdquo;Die Leute kämpfen quasi ums Überleben, sie haben noch keinen Kopf dafür, ihren Kleiderschrank einzurichten", antwortet sie auf die Frage, warum viele Sachspenden derzeit übrig blieben.Die größte Herausforderung sei es aktuell, die Bedarfe der Betroffenen festzustellen. &bdquo;Das Hochwasser hat ja auch wohlhabende Menschen erwischt. Nicht jeder will sich eingestehen, dass er plötzlich Hilfe braucht", sagt Borgmann. Deshalb fahren die freiwilligen Helfer nun mit Kleinlastern in die Hagener Ortsteile, um die Sachspenden auszuliefern. &bdquo;Wir freuen uns über jede Spende", sagt sie, bittet aber darum, diese vorab anzukündigen. Schon jetzt haben die Helfer weitere Lagerräume dazugenommen, unter anderem das Gemeindehaus, um alles unterzukriegen. Elisabeth Dimitriadou hofft auf finanzielle Hilfe vom Land. Fast beiläufig öffnet sie einen Briefumschlag: Kostenvoranschlag für die kaputte Heizung. Mehr als 10.000 Euro. Übernimmt das die Versicherung? &bdquo;Ich glaube nicht."

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