Frauke Liebs verschwand vor 15 Jahren - was ist mit ihr passiert?

Bielefeld. Vor bald fast 17 Jahren verschwand Frauke Liebs in Paderborn. Später herrschte traurige Gewissheit: Die 21-jährige Schwesternschülerin wurde getötet. Der Mordfall ist noch immer ungeklärt und gilt nicht zuletzt deswegen als einer der spektakulärsten Fälle - nicht nur in der Region. In "Ostwestfälle", dem True-Crime-Podcast der "Neuen Westfälischen", ist dieses Mal "Stern"-Reporter Dominik Stawski zu Gast, der den Fall Liebs in seinem Podcast aufgearbeitet hat und neueste Erkenntnisse präsentiert. Es ist Sommer 2006. Den meisten wird das Sommermärchen in Erinnerung geblieben sein. Die Fußball-Weltmeisterschaft im eigenen Land. Deutschland wird Dritter. Für eine Familie aus der Region spielt das aber bald keine Rolle mehr. Der Fall Frauke Liebs im Überblick - Frauke Liebs verschwindet am 20. Juni 2006, nachdem sie mit einer Freundin ein Fußball-Spiel im Paderborner "Irish Pub" angeschaut hat. - In mehreren SMS und Telefonaten an und mit ihrer Familie verspricht sie, bald wieder zurück zukommen. Doch sie bleibt verschwunden. - Die Familie geht davon aus, dass Frauke von jemandem festgehalten wird und fühlt sich bestätigt, als Frauke sich in ihrem letzten Anruf am 27. Juni 2006 verabschiedet. - Im November 2021 erscheint die TV Doku "Der letzte Aufruf: Wer hat Frauke Liebs getötet". Einige Hinweise gehen bei Ingird Liebs, Frauke Liebs Mutter, sowie bei der Paderborner und Bielefelder Polizei ein. Konkreteres zum Entführer und Mörder erfahren sie nicht. - Ein Jahr später wird der Podcast "Frauke Liebs - die Suche nach dem Mörder" veröffentlicht, in dem "Stern"-Redakteur Dominik Stawski Angehörige, Freunde, Unterstützer, Ermittler, Zeugen und andere zu Wort kommen lässt. Bis heute fehlt von Fraukes Mörder jede Spur. 20. Juni 2006 - Frauke Liebs verschwindet Dienstag, 20. Juni. Schweden gegen England - es ist das dritte Spiel der Gruppenphase. Frauke Liebs will mit ihren Freunden die Partie in einem Pub im Zentrum Paderborns schauen. "Sie war vom Fußballfieber gepackt, so wie es wohl den meisten Leuten ging. Sie war glücklich", erinnert sich Mutter Ingrid Liebs (68). Frauke ist 21, Schwesternschülerin, lebt in einer Zweier-WG, nur ein paar hundert Meter weit von der Kneipe entfernt. Sie gilt als höflich, hilfsbereit, freundlich. Sie ist mit ihrer Mutter und dem Mitbewohner noch etwas essen, will danach zu ihren Freunden in den Pub. Es winken gute Plätze mit bester Sicht auf die Leinwand. "Während des Essens wirkte sie nachdenklich. Sie hatte Kontakt zu einem Bekannten, dessen Freund sich kurz zuvor das Leben genommen hatte. Sie konnte das nicht verstehen", sagt ihre Mutter. Ingrid Liebs und der Mitbewohner setzen Frauke schließlich am Pub ab. Es ist kurz nach 21 Uhr – das Spiel hatte gerade begonnen. Der Mitbewohner hat seinen Schlüssel vergessen. Frauke gibt ihm ihren. Der Mitbewohner will wach bleiben, verspricht er. "Ich erinnere mich noch, wie Frauke uns vor dem Pub hinterhergewunken hat", berichtet Ingrid Liebs. Sie sieht ihre Tochter zum letzten Mal. 23 Uhr. Das Spiel ist gelaufen. Frauke macht sich auf den Heimweg. Zu Fuß, natürlich. Es ist ja nur etwa ein Kilometer bis zur Wohnung. Ihr Handy-Akku ist leer. Sie leiht sich zwischenzeitlich im Pub einen von einer Freundin. 21. Juni 2006 - Frauke Liebs erste SMS Kurz vor 1 Uhr. Ihr Mitbewohner bekommt eine SMS. Sie komme später, schreibt sie. Doch sie wird ihre Wohnung nie wieder betreten. Frauke ist verschwunden. Die Polizei wird später herausfinden, dass die SMS von Fraukes Handy aus dem Raum Nieheim-Entrup (Kreis Höxter) versendet wurde, mehr als 30 Kilometer von Paderborn entfernt. Zwischen dem Verlassen des Pubs und der SMS liegen keine zwei Stunden. Die Vermutung liegt nahe, dass sie in ein Fahrzeug gestiegen ist. Gegen ihren Willen? Oder freiwillig? Ingrid Liebs wird am nächsten Morgen von Fraukes Schulleiter angerufen. Auch Fraukes Mitbewohner hatte versucht, Ingrid Liebs zu erreichen. Die 21-jährige Schwesternschülerin ist nicht in der Schule erschienen. "Das passte nicht zu Frauke. Ich bin aus allen Wolken gefallen, ich konnte es nicht verstehen", sagt die Mutter. Freunde und Familie machen sich von Anfang an Sorgen, suchen mit Flugblättern nach der 21-Jährigen. Eine Vermisstenanzeige ist erst einen Tag später möglich. Immerhin ist Frauke eine erwachsene Frau. Sie könne sich ihren Aufenthaltsort selbst aussuchen, heißt es. Vielleicht ist sie ja nur weggelaufen. Generell, so berichtet es Ingrid Liebs heute, habe die Polizei Fraukes Verschwinden von Anfang an nicht so ernst genommen. 22. Juni 2006 - Die Polizei ermittelt im Fall Frauke Liebs Zwei Tage nach dem Verschwinden. Frauke ruft an. Ihren Mitbewohner. Sie habe sinngemäß gesagt, ihr gehe es gut und sie komme "jetzt" nach Hause, heißt es in Gedächtnisprotokollen, über die "Stern Crime" später berichtet und die Ingrid Liebs bestätigt. Die Polizei ermittelt mittlerweile. Auch die britische Kriminalpolizei für Militärangehörige ist im Boot. In Paderborn sind zu dieser Zeit viele Soldaten aus England stationiert, einige waren während des England-Spiels im Pub. Unter anderem werden Bilder von Frauke auf Leinwänden während des Public-Viewings gezeigt. Ohne Erfolg. 23. Juni 2006 - Fraukes Familie wartet im Auto auf die junge Frau 23. Juni, es ist bereits später Abend. Eine SMS von Frauke erscheint auf dem Handy ihres Mitbewohners. Sie wolle noch heute nach Hause kommen, heißt es wieder in dem Gedächtnisprotokoll. Ihr Bruder bekommt Frauke tatsächlich ans Telefon. Auch ihm sagt sie im Telefonat, sie werde nach Hause kommen, "nicht so spät". Die Familie wartet in Fraukes Wohnung. Die ganze Nacht. Vergeblich. "Frauke hatte gesagt, dass es ihr gut gehe und dass sie nach Hause komme. Durch die Anrufe hatte ich Hoffnung. Doch die wurde mir schnell wieder genommen, als Frauke weiter verschwunden blieb", erinnert sich Ingrid Liebs. 24. Juni 2006 - Frau Liebs betont mehrfach, sie sei in Paderborn Einen Tag später. Mittagszeit. Frauke ruft an, wieder den Mitbewohner. Das einzige Mal, dass sich Frauke nicht am späten Abend meldet. Und wieder wolle sie noch an diesem Tag nach Hause kommen. Hinweise darauf, dass sie entführt wurde und gefangen ist, gibt sie im Telefonat nicht. Sie betont, sie sei in Paderborn. Warum hat sie das mehrfach betont? Freunde und Familie stehen vor einem Rätsel. Warum kommt Frauke nicht nach Hause, obwohl sie es wieder angekündigt hat? Frauke kommt auch an diesem Abend nicht nach Hause. 25. Juni 2006 - Frauke Liebs kündigt sich erneut an 25. Juni. Wieder spät abends. Wieder ruft Frauke beim Mitbewohner an. Sie komme heute nach Hause, kündigt sie erneut im Telefonat an. Konkreteres erzählt sie ihrem Mitbewohner nicht. Wieder warten die Angehörigen vergeblich. Am nächsten Tag hören sie nichts von Frauke. Das erste Mal seit dem Verschwinden. 27. Juni 2006: Frauke Liebs führt ein Abschiedsgespräch 27. Juni. Frauke ruft an. Wieder den Mitbewohner. Zufällig ist Fraukes Schwester dabei. Es soll das längste Gespräch bisher werden. Und das letzte Gespräch. Sie könne nicht nach Hause kommen. Warum könne sie nicht sagen. Sie werde festgehalten - nein, doch nicht. Sie rudert zurück. Mehrfach sagt sie "Mama" in den Hörer. Sie lässt ihren Eltern bestellen, dass sie sie sehr lieb habe. Sie werde sich melden, sagt sie zum Abschied. Doch sie wird es nicht tun. "Im Nachhinein wurde uns allen klar, dass das ein Abschiedsgespräch war", berichtet Ingrid Liebs. Später stellt sich heraus, dass Frauke von verschiedenen Stellen im Paderborner Stadtbereich angerufen hat. Mal wird ihr Handy in Sennelager im Norden geortet. Mal im östlichen Industriegebiet auf dem Dören. Später im südlichen Mönkeloh. Es heißt, die Polizei glaubt, der Täter habe mit den Aufenthalten in den Paderborner Gewerbebetrieben vom tatsächlichen Aufenthalt Fraukes ablenken wollen. Die Suchaktionen und die Ermittlungen bringen keinen Erfolg. Von Frauke hören Angehörige und die Familie nichts mehr. Kein Lebenszeichen. Keine Anrufe. Keine SMS. Es vergehen Monate. Monate des Bangens, der Angst, der Trauer, der Sorge. "Die Zeit war schrecklich", sagt Ingrid Liebs. Oktober 2006: Frauke Liebs Leiche im Totengrund bei Lichtenau entdeckt Bis zum 4. Oktober 2006. Der Tag, an dem traurige Gewissheit herrscht. Ein Jäger findet in einem Wald bei Lichtenau im Kreis Paderborn eine Leiche. Genauer: Zwischen Herbram-Wald und Asseln, an der L817. Makaber: Der Fundort, das Waldstück, heißt "Totengrund". "Kurz nach 23 Uhr klingelte das Telefon", erinnert sich die Mutter. "Die Polizei Paderborn sagte, eine weibliche Leiche sei gefunden worden. Vermutlich Frauke." Ingrid Liebs weiter: "Am nächsten Morgen habe mir den Hörer gegriffen und bei der Polizei in Paderborn angerufen. Ich habe gefragt: 'Glauben Sie immer noch, dass Frauke freiwillig weggelaufen ist?'", sagt Ingrid Liebs. Einige Tage später nimmt eine Mordkommission der Bielefelder Polizei die Ermittlungen auf. Die Obduktion ergibt, dass es sich bei der Leiche um die Schwesternschülerin handelte. Sie wurde getötet. Juni 2020, Angelika W. schreibt einen Brief an Ingrid Liebs Mittlerweile sind fast 17 Jahre vergangen. Der Täter ist bis heute nicht gefasst worden. Es gab umfangreiche Ermittlungen zum Mordfall. Viele Personen wurden überprüft, es gab Durchsuchungen. Sogar Fraukes Mitbewohner sowie andere Personen standen im Fokus der Ermittler und wurden zeitweise verdächtigt. Zu Unrecht, wie man heute weiß. Selbst Profiler des Landeskriminalamtes haben den Fall genau analysiert. Zudem kamen Spekulationen über einen Zusammenhang mit Angelika und Wilfried W., dem Paar aus dem "Horrorhaus von Bosseborn", auf. Es wurde entsprechend ermittelt. Angelika W. schrieb Ingrid Liebs einen Brief, bot ihre Hilfe an. "Sie hatte aber wohl Langeweile in der Haft", sagt Ingrid Liebs heute ernüchtert. Sie hat die Hoffnung auf eine Aufklärung des Verbrechens nicht aufgegeben. Im Internet wurde eine Website errichtet, unter der - auch anonym - Hinweise zum Verschwinden von Frauke gegeben werden können. Auf der eventuelle Mitwisser etwas mitteilen können. Ein Unternehmer hat 30.000 Euro Belohnung ausgerufen. Von verschiedenen Stellen von Polizei oder Landeskriminalamt NRW ist zu hören, dass der Fall kein wirklicher Cold Case mehr ist. Dass die Ermittlungen weitergehen. Doku zu Frauke Liebs Verschwinden erscheint Im November 2021 startet Fraukes Mutter Ingrid Liebs dann ihren letzten Versuch, wie sie sagt. Die TV-Dokumentation "Stern Crime: Der letzte Aufruf – Wer hat Frauke Liebs getötet?" erscheint. Es gehen neue Hinweise bei der Staatsanwaltschaft Paderborn und dem zuständigen Polizeipräsidium Bielefeld ein. Die Mordkommission "Lichtenau" (benannt nach dem Fundort von Frauke Liebs Leichnam im Herbst 2006) zählt eine "mittlere, zweistellige Anzahl" an Hinweisen aus der Bevölkerung. Wie die Behörden in einer gemeinsamen Presseerklärung mitteilen, sei unter anderem auf einen Fall mit ähnlichem Modus Operandi, also Vorgehen bei der Tat, hingewiesen worden. Des Weiteren soll sich eine Person im Bereich Lichtenau bei einer behördlich angeordneten Kontrolle auffällig verhalten haben. Den entscheidenden Hinweis, der zur Ergreifung eines Täters führt, gibt es nicht. Im Podcast kommen Angehörige von Frauke Liebs zu Wort Ein Jahr später wird der Podcast "Frauke Liebs – die Suche nach dem Mörder" veröffentlicht. "Stern"-Redakteur Dominik Stawski spricht dafür mit Angehörigen, Freunden, Unterstützern, Ermittlern, Zeugen und anderen. Erstmals äußert sich hier auch Frauke Liebs Bruder Frank, der in den Tagen nach ihrem Verschwinden mit ihr telefonieren konnte. Und auch Frauke Liebs' Schwester Karen ist dabei, die bei dem letzten Lebenszeichen ihrer Schwester spürte, dass sie sich verabschieden muss. Ingrid Liebs wünscht sich immer noch, dass der Täter ergriffen wird. "Ich möchte noch immer wissen, wieso Frauke sterben musste", sagt Ingrid Liebs. Sie appelliert an eventuelle Mitwisser, ihr Wissen preis zu geben. Die Mutter der getöteten Frauke Liebs fragt sich "Wie kann ein Täter damit leben einen Menschen auf dem Gewissen zu haben. Ist es nicht für ihn an der Zeit, sein Gewissen zu erleichtern und zu reden?"

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