"Stehen unter Dauerstrom": Massive familiäre Belastung durch Homeschooling

Westfalen. Manchmal muss man erst über Probleme sprechen, damit klar wird, dass etwas nicht stimmt. Simone K., 45 Jahre alte Mutter von drei Kindern aus Münster, ist zunächst guter Dinge. Sie meint, sie bewältige den Alltag trotz Corona-Pandemie und Lockdown noch ganz gut. Auch das Abschalten bereite ihr keine besonders großen Schwierigkeiten. Aber schon während sie über ihren Alltag in der Pandemie spricht, erkennt sie: &bdquo;Man ist unter Dauerstrom." Dann bricht es aus ihr hervor: &bdquo;Wenn ich nicht an alles denke, funktioniert es nicht. Ich kann nicht mehr." So wie ihr geht es vielen Eltern - ganz besonders denen, die junge Schulkinder haben. Das zeigt eine Studie der Universität Bielefeld. Seit März 2020 entfielen nach Angaben des Deutschen Lehrerverbandes zwischen 350 und 800 Schulstunden Präsenzunterricht, also etwa die Hälfte der regulären Stundenzahl. Der Ersatz waren Homeschooling und Wechselunterricht, immer unter Mithilfe der Eltern. Deshalb wurden in einer Onlinebefragung von November 2020 bis Februar 2021 Eltern von Forschenden der Uni Bielefeld zu ihrem Belastungserleben während der Homeschoolingphasen befragt. Dabei standen nicht nur die subjektiven Erfahrungen der Eltern im Mittelpunkt, sondern auch der Bedarf an Unterstützung für die Kinder. "Die familiären Belastungen haben sich stark erhöht", betont Britta Wrede, Professorin an der Medizinischen Fakultät OWL der Universität Bielefeld. Denn: Erwerbstätigkeit und Homeschooling seien für viele Eltern kaum miteinander zu vereinbaren. Elternstress entstehe besonders dann, wenn die erlebten Anforderungen die eigenen wahrgenommenen Bewältigungsressourcen übersteigen, ergänzt Michael Siniatchkin, Direktor der Bethel-Universitätsklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie. Kurz, die Eltern fühlen sich überfordert. Das sind die Probleme Wie bei Simone K.: Bevor sie Feierabend machen kann, muss sie schauen, ob die Kinder die Aufgaben für die Schule eingescannt und pünktlich abgegeben haben. Dann muss sie Mails prüfen, ach ja, es steht ein Präsenztag in der Schule an, eine Videokonferenz ist da noch, oh weh, die ist schon vorbei. Verpasst. &bdquo;Was mich wirklich stresst: Mir geht immer wieder was durch", sagt sie. Sowohl dem Beruf als auch der Familie gerecht zu werden, das sehen auch die Forschenden als zentrales Problem. Vor allem, wenn die Schulkinder jung sind. "Gerade bei den Grundschulkindern kommen zu den Verständnisproblemen noch Motivations- und Konzentrationsprobleme hinzu", erklärt Wrede. Das ständige Antreiben der eigenen Kinder werde von vielen Eltern als sehr herausfordernd empfunden und sorge häufig für Streit in der Familie. Gleichzeitig würden sich diese Eltern deutlich mehr Sorgen um die Zukunft ihrer Kinder machen, die noch am Anfang ihrer schulischen Laufbahn stünden. Auch wegen des häufig als unzureichend empfundenen Online-Unterrichts. Gründe dafür seien die erhöhten Bildschirmzeiten und der fehlende Kontakt zu den Lehrkräften. Unzufriedenheit macht sich bemerkbar Das spiegelt sich nach Angaben der Forschenden auch in der Betreuung der gestellten Aufgaben wider. Während bei den Oberstufenschülern nur rund zehn Prozent der Eltern angaben, die Aufgaben der Jugendlichen zu besprechen, waren es bei den Grundschulkindern 80 Prozent. Auch die Unterstützung bei Fragen fordere die Eltern der Jüngeren deutlich häufiger, so Wrede. Häufig bleibt das an den Müttern hängen. Die Unzufriedenheit macht sich bemerkbar. Fast 70 Prozent der befragten Familien einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts YouGov gaben an, sich von der Politik nicht ausreichend berücksichtigt zu fühlen. Immerhin: Politisch wird nun nachgebessert. Anfang Mai beschloss die Bundesregierung das "Aktionsprogramm Aufholen". Eine Milliarde Euro ist für Nachhilfeprogramme vorgesehen, die die Lernrückstände der Pandemiemonate ausgleichen sollen. Die Nachhilfeinstitute haben bereits reagiert und Lehrkräfte aufgestockt.

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