So können Corona-Tote Leben retten

Berlin/Detmold. Spätestens seit der Ausstrahlung der erfolgreichen ARD-Serie &bdquo;Charité" wissen viele, wie viel man von Toten lernen kann. Als Begründer der modernen Pathologie zeigt der Arzt Rudolf Virchow, gespielt von Ernst Stötzner, dass die Arbeit des Pathologen den Lebenden gewidmet ist. Autopsien sind für das Verständnis von Krankheiten wichtig, weil sie wertvolle Erkenntnisse zum Krankheitsbild, mögliche Therapien und der tatsächlichen Todesursache liefern können. Das gilt aktuell mehr denn je, denn auch nach über einem Jahr Pandemie steht die Forschung zum Coronavirus noch am Anfang. Trotzdem werden Covid-19-Verstorbene in Deutschland nur selten obduziert. Im Universitätsklinikum OWL ist das anders. Als Teil eines nationalen Forschungsnetzwerks wurden bereits 30 Verstorbene untersucht. &bdquo;Seit Virchows Wirken hat sich viel verändert, doch auch heute ist die Autopsie die Methode der Wahl, um Krankheiten zu verstehen. Das gilt natürlich auch für Covid-19", erklärt Torsten Hansen, Chefarzt des Instituts für Pathologie des Klinikums Lippe. Das Institut fungiert als Autopsiezentrum für das Universitätsklinikum OWL und beteiligt sich seit November 2020 an dem Forschungsprojekt &bdquo;Pandemien besiegen", kurz Defeat Pandemics. Ziel des Projekts: Das Coronavirus und seine Wirkung im Körper besser zu verstehen, um daraus mögliche Therapien abzuleiten. Erste Erfolge in der Behandlung auf Grundlage von Autopsien Erste Erfolge in der Behandlung von Covid-19-Patienten auf Grundlage von Obduktionen gibt es bereits, weshalb auch Intensivmediziner mehr Autopsien fordern. &bdquo;Die Untersuchungen haben gezeigt, dass Covid-19 eine Gefäßerkrankung ist. Das Virus schädigt nicht nur die Lunge, sondern viele andere Organe auch", erklärt Hansen. Zudem seien bei vielen Covid-19-Verstorbenen Thrombosen entdeckt worden. &bdquo;Davon abgeleitet wurde die Therapie mit Blutverdünnern." Die Untersuchungen zeigen nach Angaben des Pathologen auch, dass 85 Prozent der Verstorbenen an und nicht mit dem Coronavirus sterben. &bdquo;Wer die mitunter schweren Gewebeveränderungen nicht selbst gesehen hat, glaubt es oft nicht." Das Coronavirus greift laut Hansen an sehr viel mehr Stellen im Körper an, als das Influenzavirus, weshalb der Vergleich mit der Grippe hinkt. &bdquo;Das ist so, als würde man einen Smart mit einem Hummer vergleichen. Ja, es sind beides Autos mit vier Rädern, aber viel mehr Gemeinsamkeiten gibt es nicht. Covid-19 kann nur unterschätzt, nicht überschätzt werden." Die meisten Angehörigen lehnen Autopsien ab Um möglichst schnell, möglichst viel aus den Erkenntnissen der Autopsien zu lernen, werden laut Hansen die Daten aller teilnehmender Autopsiezentren in einer zentralen Datenbank gesammelt. &bdquo;Das ist zum einen für die Behandlung von Covid-19-Patienten mit akuten Symptomen sowie mit Langzeitfolgen wichtig, zum anderen dient die Vereinheitlichung aber auch dem Aufbau eines bundesweiten Obduktionsnetzwerkes, um im Falle weiterer Pandemien schnell, systematisch und standardisiert reagieren zu können." Das Bundesforschungsministerium unterstützt das Projekt, da die Obduktion von Covid-19-Verstorbenen nach Angaben von Bundesforschungsministerin Anja Karliczek (CDU) im öffentlichen Interesse liegt. Doch Mediziner haben es mitunter schwer, überhaupt Autopsien durchführen zu können. &bdquo;Mehr als 80 Prozent der Angehörigen von verstorbenen Covid-19-Patienten lehnen Obduktionen ab", sagt Hansen. &bdquo;Viele lehnen aus religiösen Gründen ab, andere wollen nicht, dass die Körper der Verstorbenen geöffnet werden." Und das, obwohl der Pathologe und sein Team auch minimalinvasiv vorgehen können. &bdquo;Dabei muss der Körper nicht geöffnet werden, weil wir lediglich während eines Ultraschalls mit Nadeln Gewebeproben entnehmen", erklärt Hansen. &bdquo;Diese Mini-Autopsien liefern sehr gute Ergebnisse und sind insbesondere für neue Erkrankungen geeignet, wenn anfangs noch nicht klar ist, wie infektiös Verstorbene noch sind." Genau diese Frage führte zu Beginn der Pandemie in Deutschland dazu, dass lange keine Covid-19-Verstorbenen obduziert wurden. Das Robert-Koch-Institut (RKI) empfahl Kliniken Ende März 2020 zunächst, Autopsien zu vermeiden. Hintergrund war, dass auch infizierte Leichen mehrere Tage ansteckend sind. Nach Kritik von Pathologieverbänden ruderte das RKI wenig später zurück und empfiehlt seitdem notwendige Obduktionen unter Einhaltung besonderer Schutzmaßnahmen. &bdquo;Wie bei vielen anderen Infektionskrankheiten besteht für das Personal bei Autopsien ein Risiko, aber es ist beherrschbar", sagt Hansen. &bdquo;Autopsien sind wichtig, weil durch den Erkenntnisgewinn Leben gerettet werden können."

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