Kanzleramtschef: Impfungen für alle ab Ende Mai möglich

Berlin/Bielefeld. Nach dem Vorbild der Bundesländer Bayern, Sachsen und Mecklenburg-Vorpommern könnte in ganz Deutschland bald die Impfpriorisierung fallen. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn erwartet spätestens für Juni eine Freigabe der Corona-Impfungen für alle Impfwilligen in Deutschland. Aktuell geht der CDU-Politiker davon aus, "dass wir im Juni die Priorisierung aufheben können", sagte Spahn im Bundesrat in einer Rede zur Corona-Bundesnotbremse. Das soll nach Angaben des CDU-Politikers Thema beim nächsten Impfgipfel von Bund und Ländern werden. Aufgrund der angespannten Corona-Lage haben die Landesregierungen in Sachsen, Mecklenburg-Vorpommern und Bayern die Impfpriorisierung für den Impfstoff von Astrazeneca bereits aufgehoben. Auch Bremen erwägt diesen Schritt, weil viele über 60-Jährige den Impfstoff ablehnen. Die Folge: Mediziner dürfen nun auch unter 60-Jährige mit dem Vakzin impfen. Voraussetzung ist, dass die Patienten damit einverstanden sind, der Arzt individuelle Risikoanalysen erstellt und über möglichen Nebenwirkungen aufklärt. Auch in NRW und anderen Bundesländern wünschen sich Mediziner und Patienten diese Freiheiten, um möglichst schnell möglichst viele Menschen vor dem Coronavirus zu schützen. Doch Mediziner in NRW sorgen sich vor Klagen, wenn es bei geimpften unter 60-Jährigen zu Nebenwirkungen kommt. Ministerien und Verbände verstärken diese Sorge. Die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) warnt seine Mitglieder davor, unter 60-Jährige mit dem Vakzin von Astrazeneca zu impfen, weil Ärzte beim Auftreten seltener Nebenwirkungen mit Prozessen rechnen müssen. Impfen Mediziner auf Wunsch unter 60-jährige Patienten gehen sie nach Angaben des KBV-Sprechers Roland Stahl ein Haftungsrisiko ein, da die Ständige Impfkommission (Stiko) Impfungen mit Astrazeneca nur für über 60-Jährige empfiehlt. &bdquo;Solange die Stiko-Empfehlung so ist wie sie ist, gehen Mediziner bei Astrazeneca-Impfungen von unter 60-Jährigen ein Risiko ein", erklärt Stahl. Ändern könne das die Politik durch eine entsprechende Änderung des Impfschutzgesetzes, so wie bereits in Sachsen, Mecklenburg-Vorpommern und Bayern passiert. NRW sieht bislang keine Aufhebung der Impfpriorisierung vor In NRW sind nach Angaben des Gesundheitsministeriums bislang keine Änderung geplant. Das bekräftigte NRW-Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) Donnerstag nochmal: Noch gebe es im Land viele Menschen über 60 Jahren, die das Impfangebot mit Astrazeneca gerne annehmen, sagte Laumann dem WDR. &bdquo;Wenn Astrazeneca nicht mehr gewünscht wird, werden wir solche Überlegungen machen." Trotzdem heißt es aus dem NRW-Gesundheitsministerium: "Niedergelassene Ärzte dürfen unter 60-Jährige mit Astrazeneca impfen, wenn sich diese gemeinsam mit dem impfenden Arzt und bei individueller Risikoanalyse nach sorgfältiger Aufklärung dafür entscheiden", erklärt ein Sprecher. Zum Thema Haftung heißt es: &bdquo;Das Land trägt die Haftung für Impfungen immer dann, wenn sie von der Stiko empfohlen werden. Die Impfung mit Astrazeneca für unter 60-Jährige wird von der Stiko nicht empfohlen." Diese Einschätzung teilt das Bundesgesundheitsministerium nicht im vollen Umfang, denn nach Angaben des Ministeriums empfiehlt die Stiko Impfungen mit Astrazeneca nicht nur für über 60-Jährige, sondern nach ärztlicher Aufklärung und bei individueller Risikoakzeptanz auch für unter 60-Jährige. &bdquo;Wer durch eine von der obersten Landesgesundheitsbehörde öffentlich empfohlenen Schutzimpfung einen Impfschaden erlitten hat, erhält auf Antrag eine Versorgung vom Land", erklärt eine Sprecherin des Bundesgesundheitsministeriums. &bdquo;Empfehlen die Länder auf Grundlage der Covid-19-Impfempfehlung der Stiko die Impfung von Astrazeneca, dann haften die Länder für etwaige Impfschäden." In vielen Impfzentren keine Astrazeneca-Impfungen für unter 60-Jährige Diese Unklarheit führt dazu, dass in den meisten Impfzentren in NRW unter 60-Jährige grundsätzlich nicht mit dem Vakzin von Astrazeneca geimpft werden. So auch im Kreis Herford. &bdquo;Der medizinische Nutzen der Astrazeneca-Impfung überwiegt aus unserer Sicht bei weitem. Dennoch sind vereinzelt schwere Nebenwirkungen aufgetreten, dessen Ursachen nicht geklärt sind", erklärt der Leiter des Impfzentrums, Patrick Diekmann. &bdquo;Die Stiko hat sich daher eindeutig positioniert und empfiehlt nur noch über 60-Jährige zu impfen. Wir bewegen uns somit bei Impfungen entgegen dieser Empfehlung in einem Graubereich." Im Impfzentrum Bielefeld schließt Leiter Theodor Windhorst Astrazeneca-Impfungen von unter 60-Jährigen hingegen nicht aus. &bdquo;Wenn sich Impfwillige das Vakzin wünschen, der Arzt eine individuelle Risikoanalyse erstellt und über die Risiken aufklärt, sehe ich keine rechtlichen Probleme. Das hat die Stiko klar geregelt, in dem sie erklärt hat, dass Impfungen für unter 60-Jährige nach ärztlicher Aufklärung und bei individueller Risikoakzeptanz durch den Patienten möglich sind." Windhorst würde sich dabei jedoch auf Männer beschränken, weil die seltenen Nebenwirkungen in Form von Sinusvenenthrombosen vor allem bei Frauen aufgetreten sind. Hausärzteverband Westfalen-Lippe rechnet nicht mit Problemen für Ärzte Auch der Hausärzteverband Westfalen-Lippe rechnet nicht mit Konsequenzen für Ärzte, die unter 60-Jährige mit Astrazeneca impfen. Wünschen sich unter 60-Jährige eine Astrazeneca-Impfung, ist der Arzt nach Angaben der Verbandsvorsitzenden Anke Richter-Scheer dazu verpflichtet aufzuklären und insbesondere auf das mögliche Auftreten von Sinusvenenthrombosen und den Symptomen einer solchen Nebenwirkung hinzuweisen. &bdquo;Gegebenenfalls kann sich der Arzt das schriftlich dokumentieren lassen. Wenn sich der Betroffene nach der Aufklärung für den Impfstoff von Astrazeneca entscheidet, ist das seine eigene Entscheidung. Damit dürfte eine Komplikation, die nach der Impfung auftritt, keine Konsequenzen für den Arzt haben", sagt die Hausärztin aus Bad Oeynhausen. Mit dieser vorsichtigen Aussage zeigt auch Richter-Scheer, dass sie sich offenbar nicht zu 100 Prozent sicher ist.

Meistgelesen