"Nur noch absurd": So chaotisch war der erste Schultag mit Testpflicht

Bielefeld/Bad Salzuflen/Lügde. Die Lage spitzt sich immer mehr zu. Testpflicht, horrend hohe Inzidenzen in Kommunen, die aber die Schulen nicht schließen dürfen, Bußgelder gegen Eltern, die ihre Kinder nicht zur Schule schicken - ein Überblick über den ersten (und in Bielefeld einzigen) Schultag dieser Woche mit Testpflicht. Besonders absurd ist die Situation im Kreis Lippe, der bei einer Inzidenz von 197 liegt (Stand Montag) und damit drei Punkte unter der für eine Schulschließung nötigen Marke von 200. Heißt aber auch: Kommunen wie Leopoldshöhe, Bad Salzuflen und Lügde, die alle weit über der 300 rangieren, müssen Schüler in die Schulen schicken. Lügde zum Beispiel liegt derzeit bei 322. "Die Situation ist verheerend", sagt Bürgermeister Torben Blome. "Und es ist nicht mehr zu verstehen, wieso es keine Möglichkeit und das Vertrauen vom Land gibt, dass Kommunen auf lokaler Ebene schnelle und vernünftige Maßnahmen treffen dürfen, um das Infektionsgeschehen vor Ort einzudämmen. Das wird uns auf die Füße fallen." Wut über schlechte Regelung vom Land Auch in Bad Salzuflen mit einer Inzidenz von 337 herrschen Unverständnis und Ärger. "Der Bürgermeister hat am Wochenende versucht, den Landrat zu bewegen, beim Land anzufragen, ob wir in Distanzunterricht bleiben dürfen", sagt eine Sprecherin der Stadt. "Das wurde aber abgelehnt." Auf Anfrage von nw.de beim Kreis Lippe verweist man auf die Regelungen vom Bund und Land, denen man folgen wolle. Sollten sich für einzelne Schulen Handlungsbedarf ergeben, hätten die Ordnungsämter in Abstimmung mit dem Gesundheitsamt des Kreises das Recht, Schulschließungen anzuordnen. Außerdem gibt eine Sprecherin an, dass die Inzidenzwerte im Kreis sehr unterschiedlich seien, Dörentrup beispielsweise liege lediglich bei 26. Bürgermeister Torben Blome kann diese Argumentation nicht nachvollziehen. "Was haben wir hier in Lügde mit Dörentrup zu tun? Wir liegen 296 Inzidenzpunkte auseinander, da braucht es doch ein individuelles Vorgehen jeder einzelnen Kommune." Oliver Dudek leitet die Gesamschule Aspe in Bad Salzuflen. Er sieht vor allem das Konfliktpotential, das die Testpflicht hat, auch wenn er sie uneingeschränkt befürwortet. "Uns gibt das Testen eine große Sicherheit. Aber da prallen wirklich Fronten aufeinander. Jetzt sind es die Testverweigerer, die Stimmung machen. Vor der Einführung der Testpflicht waren es jene, die unbedingt verbindliche Tests wollten. An dem Thema entzünden sich die Gemüter." Dudek selbst wünscht sich vor allem an eines dringlich: "Dass Schule sich um das Kerngeschäft Bildung und Erziehung kümmern darf und nicht als Austragungsort für Konflikte oder die Äußerung extremer Sichtweisen benutzt wird." Chaos in Bielefeld durch Notbremse In Stadt Bielefeld herrschte am Montagvormittag Chaos. Dort hatte man erst am Sonntag bekannt gegeben, dass ab Dienstag die Notbremse gezogen werde. Somit herrschte für die Hälfte der Schüler im Wechselmodell noch für einen Tag Schulpflicht. Schüler, Eltern und auch Lehrer schüttelten nur noch die Köpfe. Vor der Hans-Christian-Andersen-Grundschule in Sennestadt protestierten Eltern für "Bildung ohne Testzwang". Gleichzeitig berichten auch andere Stadtsprecher davon, dass ihre Bürgermeister die Schulen gern schließen würden, aber nicht dürfen. Gleichzeitig gingen Anfragen von der Bezirksregierung bei ihnen ein, ob man die Handynummer des Stadtoberhauptes weitergeben dürfe, um die vielen Beschwerden von Eltern zu delegieren, die die Schulen geschlossen sehen möchten. "Es ist völlig absurd." Inmitten dieses Chaos gibt es dann doch noch Maßnahmen, die von gesundem Menschenverstand zeugen. So schloss Günter Kunert, Schulleiter der Bielefelder Marienschule am Sonntag den einen Präsenzlerntag für seine Einrichtung kategorisch aus. Es sei nicht zu verantworten, dass Kinder am Montag in öffentlichen Verkehrsmitteln zur Schule antreten und dort dann etwa 600 Schülern begegneten", schrieb er auf der Homepage der Schule. Man bleibe direkt im Distanzlernen, auch gegen die Anweisung des Landes. Bußgelder für Testverweigerer Besonders harsch gehen mittlerweile einige Schulen gegen Eltern vor, die nicht möchten, dass ihre Kinder getestet werden und sie deshalb zuhause lassen. Der Redaktion liegt ein Schreiben vor, in dem Eltern klar darauf hingewiesen werden, dass sie deshalb wegen Verstoßes gegen die Schulpflicht ein Bußgeld zahlen müssen. Ute Lorenz, Juristin bei der Bildungsgewerkschaft GEW, sieht dieses Vorgehen kritisch. "Ich bezweifle, dass das Bestand hat", sagt sie. "Denn auf diese Weise wird ja mit Hilfe der Schulpflicht die Testpflicht erzwungen." Sie geht davon aus, dass diese Bußgelder zurückgenommen werden müssen. "Das Oberverwaltungsgericht Münster befasst sich diese Woche ja angesichts der Klagewelle mit genau diesen Fragen."

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