So schwer wird die Sozialarbeit in der Corona-Krise vernachlässigt

Bielefeld. Die Gefühle, die Daniel Wimmer täglich entgegenschlagen, haben in der Krise Hochkonjunktur. Er geht jeden Tag mit ihnen um: mit großer Angst, tiefer Trauer und wahnsinniger Wut. "Wir sind Frontkämpfer", sagt der Schulsoziarbeiter aus Bielefeld, "der ungefilterte Erstkontakt gegenüber allen Emotionen, die Jugendliche, Eltern oder Lehrer mitbringen." An Rückendeckung habe es in seinem Beruf immer schon gemangelt. Inzwischen aber "werden die Missstände immer prekärer". Wimmer verpackt seinen Frust in einen imponierend sachlichen Redebeitrag. Der Verdi-Bezirk Ostwestfalen-Lippe hat zum Online-Gespräch eingeladen. Zugeschaltet sind Gewerkschaftsmitglieder aus dem Sozial- und Erziehungsdienst, zudem Abgeordnete aus dem nordrhein-westfälischen Landtag. "Wo bleibt die Wertschätzung für unseren Beruf?" Zu den täglichen Belastungen in der Schulsozialarbeit gehören psychische oder physische Gewalt, erzählt Wimmer, Mobbing, Missbrauch und suizidales Verhalten. "Wir sind die Feuerwehr und gleichzeitig die Schulpolizei." Häufig sind Menschen wie Wimmer vor allem eines: Einzelkämpfer. In der Theorie ist er also für jeden Schüler und jede Schülerin einer Schule allein zuständig. Es ist eine Frage der Zeit, bis die Verantwortung die Kräfte übersteigt und der Belastungsstress auf die Gesundheit schlägt. Manchmal fehle es sogar an grundlegender Ausstattung, erzählt Wimmer. Einige Kollegen hätten nicht einmal ein Diensttelefon, geschweige denn ein eigenes Büro. Aus Diskretionsgründen mussten Gespräche schon in Besenkammern geführt werden. "Ich frage mich: Wo bleibt die Wertschätzung für unseren Beruf?" Drogenabhängige Kinder, übergriffige Eltern Das fragen sich auch viele andere Beschäftigte in dem Bereich. Doreen Wagner arbeitet in einer stationären Jugendhilfegruppe in Bielefeld. In dem Job werde man schon mal mit Gabeln attackiert, erzählt sie. Wagner hat nicht selten mit drogenabhängigen Kindern zu tun, auch mit übergriffigen Eltern, vor allem aber mit "Krisen, Krisen, Krisen". Die staatlich anerkannte Erzieherin darf ihren Klienten nicht einmal ein Pflaster aufkleben; erst recht sei sie nicht befugt, ihnen Ritalin zu verabreichen oder sonst eine medikamentöse Behandlung vorzunehmen, obwohl dies nicht selten geboten wäre, sagt Wagner. In ihrem Team gebe es weder Psychologen noch Heilerziehungspfleger. Nachtdienste seien vor allem für ältere Kolleginnen sehr belastend. Was die Ausstattung angeht, sei man "abgehängt" Mal ganz abgesehen von der Pandemie. "Als andere Berufsgruppen ein Arbeitsverbot bekommen haben, fing unsere Arbeit erst richtig an", sagt Lukas Rothenpieler, beschäftigt beim Allgemeinen Sozialen Dienst der Stadt Bielefeld. Rothenpieler sagt, es gebe nicht erst seit Corona viel zu wenig Personal, um den gestiegenen Anforderungen gerecht zu werden. Was die Ausstattung angeht, sei man "abgehängt", sagt er. "Das fängt mit Telefonen an und mit einer Internetleitung, damit wir auch E-Mails erhalten können." Vor Hausbesuchen habe er sich Masken gebastelt, um seinem Job nachgehen zu können. "Wir werden weder gesehen noch gehört", sagt Rothenpieler, der unter anderem auch für den Kinderpflegedienst und den Bereitschaftspflegedienst spricht. "Wir können keinen Abstand halten" Beschäftigte des Bielefelder Kinderschutzes hätten erst seit dieser Woche ein Impfangebot. "Viel zu spät!" Die Frage, ob überhaupt prioritär geimpft werden solle, sei erst vor einigen Wochen geklärt worden, sagt Wagner. Getestet werde sie erst seit Kurzem. "Dabei sind wir immer da – wir können keinen Abstand halten." Anke Toepper hat lange eine Kita geleitet – und den Abgeordneten eine Zitrone mitgebracht. "Viele Erzieherinnen sind ausgepresst und sauer." Wie man aus der Zitrone nun Limonade machen soll, konnten weder Christina Kampmann oder Dennis Maelzer von der SPD erklären noch Josefine Paul (Grüne) oder Martina Hannen (FDP). Von der CDU-Landtagsfraktion hat es niemand zu der Online-Veranstaltung geschafft.

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