Revolutionäre Behandlung könnte Medikamente bei ADHS überflüssig machen

ADHS, oder lang: Aufmerksamkeits-Defizit-Hyperaktivitäts-Störung, ist eine der häufigsten psychiatrischen Krankheiten bei Kindern und Jugendlichen in Deutschland. Behandelt wird sie bislang meist mit Verhaltenstherapie und Medikamenten. Ärzte der Kinder- und Jugendpsychiatrie am Evangelischen Klinikum Bethel in Bielefeld forschen neuerdings aber an einer Methode, die an Kindern noch nie getestet wurde – und die Medikamente ersetzen könnte. Stromtherapie - für viele hört sich an, wie Schilderungen aus dem Horrorkabinett der Psychiatrie. Sie assoziieren das Wort mit Elektroschocks, wie sie traumatisierte Soldaten nach dem Ersten Weltkrieg erhielten, um ihr ständiges Zittern zu stoppen. Die Transkranielle Gleichstromstimulation hat mit diesen Szenarien nichts zu tun. &bdquo;Hier durchdringt Strom, der nicht stärker ist als in elektrischen Spielzeugen, den Schädel und beeinflusst Gehirnareale, wodurch die Leistung von Menschen verbessert werden kann", sagt Michael Siniatchkin, Direktor der Uniklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie. &bdquo;Diese Therapie wird bei Erwachsenen schon lange angewandt, zur Behandlung von Depressionen beispielsweise oder Migräne." An Jugendlichen wurden die Reize bislang aber nicht getestet und genau das tun Siniatchkin und sein Team jetzt bei ADHS-Patienten zwischen zehn und 18 Jahren. Seit November forschen sie mit Probanden. &bdquo;Dazu gehen wir auf jeden Patienten ganz individuell ein", so Siniatchkin. &bdquo;Wir fertigen auf Grundlage einer Kernspintomographie ein Modell des Gehirns – denn die Strukturen sind hier bei jedem Menschen unterschiedlich." Badekappe mit Elektroden Praktisch muss man sich das vorstellen wie eine Badekappe, die an bestimmten Stellen ausgestanzt ist. Hier werden dann die Elektroden angesetzt, die den Gleichstrom an das Gehirn abgeben. Bislang scheint sich die Behandlung überaus positiv auszuwirken. Genaue Zahlen liegen noch nicht vor. &bdquo;Unsere Studienteilnehmer geben aber an, dass sie sich nach einer Sitzung besser konzentrieren können und dass sie weniger schnell abgelenkt sind." 20 Minuten lang werden die Gleichstrom-Impulse an die Patienten abgegeben, jeder Proband erhält innerhalb von zwei bis drei Wochen zehn Sitzungen. Wie lang die positiven Effekte anhalten, wissen die Ärzte noch nicht. &bdquo;Wir wissen aber aus der Behandlung von Erwachsenen mit Depressionen, dass die Symptome sich für einige Wochen bessern. Insofern ist unsere Hoffnung natürlich, dass auch hier langfristige Wirkungen einsetzen. Sollte sich diese Hoffnung bestätigen, könnte die Gleichstrom-Behandlung zusätzlich zu den Medikamenten und Verhaltenstherapie eingesetzt werden. &bdquo;Es gibt auch die Chance, dass die Therapie die Effekte der anderen Behandlungen verstärken könnte. Man könnte auch versuchen, die Medikamente zu reduzieren oder, wenn die Ergebnisse entsprechend sind, sogar ganz auf sie verzichten", so Siniatchkin. Außerdem gebe es immer auch Patienten, die auf Medikamente nicht ansprächen. &bdquo;Die hätten dann eine gute Alternative zur Verfügung." Bislang nur geringe Nebenwirkungen Bislang wird ADHS hauptsächlich mit den Psychostimulanzien Methylphenidat und Amphetamine behandelt. Viele Jugendliche beklagen hierbei aber Nebenwirkungen wie Appetitlosigkeit und Schlafstörungen. Bei den Gleichstrom-Forschungen verzeichnen die Ärzte bislang allenfalls geringe Nebenwirkungen. &bdquo;Die am häufigsten berichteten Symptome sind ein Kribbeln oder Jucken der Kopfhaut, sobald der Strom läuft, das lässt aber sehr schnell nach." In Bielefeld hat man gerade erst angefangen. Fünf Probanden sind bislang untersucht, viele weitere haben Termine vereinbart. Allerdings ist das EvKB nicht der einzige Studienort des Forschungsprojekts. Kliniken in Frankfurt, Magdeburg und Portugal untersuchen die Effekte der Strom-Behandlung schon länger. Auch hier sind keine Nebenwirkungen aufgetreten. Eigenbehandlung zuhause im Test Neben dem Medikamentenaspekt hätte die Gleichstrom-Behandlung noch einen Vorzug: Die Forscher untersuchen nämlich auch, inwiefern Familien sie zu Hause selbst durchführen können. &bdquo;Dazu kontrollieren wir den Verlauf der Sitzung, den die Probanden durchführen, engmaschig selbst am Computer, erfragen vorher und nachher Befinden und Symptome", sagt Fabienne Schlechter, wissenschaftliche Mitarbeiterin. &bdquo;Im Idealfall stellen wir uns das so vor, dass Schüler vor dem Unterricht zu Hause eine Sitzung durchführen und sich dann in der Schule besser konzentrieren können", so Siniatchkin. Bei allem Optimismus sind sich die Wissenschaftler des Forschungsprojekts bewusst, dass es in der Gesellschaft viele Vorbehalte gegen eine Strom-Therapie bei Kindern und Jugendlichen gibt. Deshalb gehört auch die Medizinethikerin Alena Buyx, Vorsitzende des Deutschen Ethikrats zum Team. Sie untersucht, wie sich die Methode besser in die Gesellschaft integrieren lässt, setzt sich mit den Befürchtungen und Vorbehalten auseinander.

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