Garzweiler II: Wie ein Braunkohle-Bagger fünf Dörfer platt macht

Keyenberg. Jeder dritte Nachbar ist schon weg. Früher war Barbara Ziemann-Oberherr im Kirchenchor, sie feierte im Ort Karneval und traf beim Straße fegen immer wen, zum quatschen. Heute steht ihr Dorf Keyenberg so gut wie leer. Die Bewohner sollen es in drei Jahren verlassen haben. Ihre Häuser werden platt gemacht – für den Braunkohleabbau. Viele sind schon fort, Ziemann-Oberherr will bleiben – und kämpfen. Den riesigen Bagger kann sie von ihrer Haustür aus sehen. Er steht am Rande des Tagebaus Garzweiler II, rund 300 Meter vom Dorf Keyenberg entfernt. Der Tagebau sei so groß, dass man ihn vom Weltall aus sehen kann, habe Ziemann-Oberherr mal gelesen. Aus der dortigen Kohle wird so viel Strom erzeugt, dass damit rechnerisch mehr als 6 Millionen Haushalte mit Elektrizität versorgt werden könnten. Bis 2038 darf der Energiekonzern RWE hier Braunkohle aus dem Boden graben. Fünf Ortschaften stehen dem Bagger im Weg. Sie sollen umgesiedelt werden. Keyenberg ist als erstes dran. Gespenstisch leer Der Ort liegt rund 30 Autominuten südlich von Mönchengladbach. Früher hatte er knapp 900 Einwohner, heute 300. Er wirkt gespenstisch leer. Irgendwie von gestern. Viele Bewohner haben ihre Wohnungen, Häuser und Gärten bereits verlassen. Sechs Kilometer entfernt will ihnen RWE eine neue Heimat aufbauen. Neu Keyenberg. Die Bürger hätten sich mehrheitlich für einen Neuanfang entschieden, heißt es von RWE. Alle Baugrundstücke am neuen Ort seien inzwischen erschlossen, 161 bereits bezogen. Auch der Friedhof sei errichtet; Sportplatz, Feuerwehrgerätehaus und Pfarrzentrum im Bau, so das Unternehmen. Ende 2016 hatte RWE mit der Umsiedlung begonnen – und den Bürgern neue Grundstücke angeboten. &bdquo;Die liegen aneinander wie ein Ameisenhaufen und haben keinerlei dörfliche Struktur", sagt Ziemann-Oberherr. Sie ist 60 Jahre alt, eine selbstbewusste Frau, die gerne redet, in rheinländischem Akzent. &bdquo;In jeden Ort gehören eine Kneipe und eine Kirsche." Mit Kirsche meint sie Kirche. Die Keyenberger Kirche soll in den nächsten Jahren enteignet und dann abgerissen werden. &bdquo;Sie gilt als besonders historisch. Hier kommen sogar Touristen hin." Die Kneipe ist schon weg; die Kita ist seit dem Sommer dicht; die Grundschule hat nur noch zwei Klassen. Aufbruchstimmung. Oder eher: Abrissstimmung? Gibt es noch Hoffnung? Ziemann-Oberherr glaubt, dass die Bewohner müde geworden sind. Müde vom Kampf gegen die Braunkohle. Den haben sie 30 Jahre lang geführt. Die ersten politischen Entscheidungen zu Garzweiler II wurden 1990 getroffen. Zuletzt war dieser Kampf wieder stärker in die Öffentlichkeit gerückt. Die symbolträchtigen Proteste in den Bäumen des Hambacher Forsts (Hambi), rund 20 Minuten von Keyenberg entfernt, gingen durch die Medien. Rund 50 Meter vor dem Wald müssen die Bagger nun stoppen; dafür müssen Keyenberg und vier weitere Orte weichen. Das sieht der Entwurf der Leitentscheidung der Landesregierung vor, der im Frühjahr beschlossen werden soll. Immer wieder gibt es dagegen Protest von Umweltaktivisten, so auch vor wenigen Tagen. Gibt es noch Hoffnung? Ein lange zurückgehaltenes Gutachten hatte vor wenigen Wochen für Aufsehen gesorgt. Es sei aus Sicht von Umweltverbänden ein Beleg dafür, dass das Abbaggern der Orte verhindert werden könnte. Die Landesregierung dürfe diese Ergebnisse nicht länger ignorieren, sagt die Grünen-Landtagsabgeordnete Wibke Brems aus Gütersloh. &bdquo;Ich fordere die Landesregierung auf, die Heimat der Menschen in den Dörfern zu retten und einen sofortigen Umsiedlungsstopp durchzusetzen." "Wir sind Pioniere" Der Konzern RWE räumt ein, dass es sich zweifelsohne um einen &bdquo;gravierenden Eingriff in das Leben der Menschen" handele. &bdquo;Wesentliches Gemeinwohlziel, das die Umsiedlung rechtfertigt, ist die energiewirtschaftliche Erforderlichkeit", so ein Sprecher. Die Kohle unter den betroffenen Dörfern werde bereits ab 2024 benötigt. RWE lege bis 2030 zwei Drittel ihrer Braunkohlekapazität still. &bdquo;Mehr als 1,1 Milliarden Tonnen für den Abbau genehmigte Kohlevorräte – also mehr als die Hälfte – bleiben in der Erde", so das Unternehmen. Damit stehe absehbar nur noch der Tagebau Garzweiler zur Verfügung. Er werde benötigt, um die verbleibenden Kraftwerke und Veredelungsbetriebe sicher mit Kohle zu versorgen. Ziemann-Oberherr steht an der Kante des gigantischen Tagebaus, während ihr Wind und Regen unerbittlich ins Gesicht peitschen. &bdquo;Man wird hier automatisch zum Klimaschützer", sagt sie. Viele Menschen würden sie mittlerweile als Spinnerin abstempeln und könnten nicht verstehen, warum sie noch immer nicht weggezogen sei. Doch das sei ihr egal. Sie kämpfe weiter um den Erhalt ihres Ortes. Ihre wenigen Mitstreiter und sie würden das sehen, was viele andere erst in zehn Jahren sehen würden. &bdquo;Wir sind Pioniere."

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