
Bielefeld/Düsseldorf. „Ein Kompliment an die Schulministerin: Die Information aus Düsseldorf kam exakt zu dem Zeitpunkt, da die Schülerinnen und Schüler zumeist das Gelände verlassen hatten, also ihre Bücher und Schulmaterialien nicht mit nach Hause nehmen konnten." Diese maximal genervte Mitteilung des Bonner Aloisiuskollegs auf der Homepage zeigt anschaulich, wie unzufrieden Schulen, Verbände und Gewerkschaften mit der weitreichenden Entscheidung aus Düsseldorf zur Aufhebung des Präsenzunterrichts sind. Das Timing von Schulministerin Yvonne Gebauer ist nur ein Kritikpunkt von vielen.
Zwar sehen alle angesichts der dramatischen Infektionszahlen die Notwendigkeit für den Schritt. „Aber das, was jetzt angeordnet wird, widerspricht allen vernünftigen Forderungen, die Schulen seit Wochen gestellt haben", sagt Maike Finnern. Denn mit dem Erlass müssen Lehrer nun zweierlei Unterricht vorbereiten und abhalten: Präsenz in der Schule und Distanz für jene Kinder, deren Eltern sie lieber zu Hause lassen. „Das ist genau, was wir vermeiden wollen. Denn das ist kaum zu leisten."
Dieser Ansicht ist auch Stefan Behlau, Landesvorsitzender des Verbandes Bildung und Erziehung NRW. „Diese Situation stellt Schulen und Familien vor immense Herausforderungen. Deshalb brauchen wir eine transparente und ehrliche Kommunikation über die Arbeitsbelastung der Schulen in Nordrhein-Westfalen."
Erst die Presse, dann die Schulen
Gerade diese Kommunikation ist Hauptkritikpunkt des Verbandes Lehrer NRW. „Die ist ein Desaster", sagt der Vorsitzende Sven Christoffer. „Nachdem das Land wochenlang mantraartig am Präsenzunterricht festgehalten hat, kommt nun die radikale Wende. Am Freitagmittag werden Beschlüsse verkündet, die am Montagmorgen umgesetzt sein müssen. Und mit der Durchführung werden Schulen, Schulleitungen und Lehrkräfte wieder allein gelassen. Gerade die Gleichzeitigkeit aus Distanz- und Präsenzunterricht in den Jahrgangsstufen bis Klasse sieben wird die ohnehin schon hohe Arbeitsbelastung der Lehrkräfte nochmals massiv nach oben schrauben."
Auch an den Schulen in OWL herrscht Unverständnis und Ärger. „Das läuft mit Frau Gebauer jetzt so seit März: Zuerst gehen die Berichte durch die Presse, erst danach werden wir Schulleiter offiziell informiert. Das ist schlechtes Führungsverhalten", sagt Martina Reiske, Schulleiterin der Sudbrackschule in Bielefeld und Mitglied im Vorstand der Schulleitervereinigung NRW.
Problematisch an der späten Information ist jetzt vor allem, dass die Schulen nicht wissen, wer am Montag kommt und wer nicht. Denn Eltern müssen schriftlich mitteilen, ob sie ihr Kind zu Hause lassen wollen oder in die Schule schicken. „Das konnten wir heute natürlich unmöglich erfassen, wenn wir um 13.30 Uhr an einem Freitagmittag informiert werden."
"Unterricht für Videostream ist eine Katastrophe"
Das Gymnasium Harsewinkel hat die Mitteilung gleich doppelt schlecht erwischt. Denn hier hatte man ebenfalls am Freitag eigentlich grünes Licht aus Düsseldorf bekommen für den Start eines ganz auf die Möglichkeiten der Schule abgestimmten eigenen Unterrichtskonzepts mit hohem Infektionsschutz. „Ein paar Stunden später kam dann die Schulmail mit der Mitteilung über die Aufhebung des Präsenzunterrichts. Damit ist jetzt alles vom Tisch", sagt David Tepaße, stellvertretender Schulleiter. „Die Entscheidung ist ja grundsätzlich richtig – aber es hätte gar nicht so weit kommen müssen in den Schulen, wenn man flexiblere Konzepte zugelassen hätte."
In Tepaßes Augen ist vor allem die mangelnde Vorbereitung katastrophal. „Schulen haben seit Wochen die Information bekommen, dass man am Präsenzunterricht festhält und die Entwicklung eigener Konzepte nicht erwünscht ist. Darauf haben sie sich verlassen. Und sind jetzt natürlich nicht gerüstet für die nächste Woche. Das geht vielen Schulen hier in der Region so, das weiß ich."
Klassenarbeiten nicht geregelt
Das gilt allerdings nicht für das Gymnasium Harsewinkel. Hier ist man gut gerüstet, sowohl in Sachen digitaler Ausstattung als auch im Hinblick auf die Didaktik. Und man ist sich einig: Unterricht per Videostream wird es nicht geben. „Das ist für die Schüler eine Katastrophe." Während es grundsätzlich vorgesehen ist, dass Eltern ihre Kinder für Distanzunterricht anmelden müssen, ist es in Harsewinkel umgekehrt: „Hier können Eltern ihre Kinder für die Study Halls anmelden, heißt, wir stellen Räumlichkeiten und Endgeräte zur Verfügung. Grundsätzlich aber gehen alle Schüler nach Hause."
Was bleibt sind offene Fragen. Die Durchführung von Klassenarbeiten und Prüfungen ist nicht geregelt. Und auch für das Geschehen nach dem 10. Januar gibt es keinerlei Perspektive. Aber, um noch mal das Aloisiuskolleg in Bonn zu zitieren: Zu viel Vorlauf würde die Schulen auch um einen „Adrenalinschub" berauben.