Minister Spahn macht Karriere im Schatten der Pandemie - oder doch nicht?

Berlin. Große Schritte macht dieser Mann, seine Begleiter wehen hinter ihm her wie eine Schleppe aus dunklen Anzügen. Jens Spahn eilt durch die Berliner Friedrichstraße, Blick geradeaus, sein Ministerium ist in Sicht. Der Gesundheitsminister hatte gerade Besuch, Gespräche an der Spree statt im Konferenzraum. Es sind Corona-Zeiten, die Bundesregierung empfiehlt frische Luft. Spahn ist einer der Zielstrebigsten in der aktuellen Politikerriege. Gerade mal 40 Jahre alt, seit 18 Jahren im Bundestag. Er hat Bankkaufmann gelernt, als Abgeordneter studierte er im Fernstudium Politik. Nun ist er der jüngste Minister des Kabinetts Merkel. Vor zwei Jahren kandidierte Spahn für den CDU-Vorsitz, erfolglos zwar, aber respektiert. Große Schritte auch hier. Das Kanzleramt hat Spahn schon vor Jahren in den Blick genommen. An Selbstvertrauen mangelt es ihm nicht. Durch ein hartnäckiges Virus ist das Gesundheitsministerium jetzt zum zentralen Ressort der Regierung geworden. Das kann seine Karriere beschleunigen – oder sehr abrupt beenden. "Ich verstehe die ganze Hektik nicht" Spahns Karriere als Corona-Krisenmanager beginnt mit einer eklatanten Fehleinschätzung. Deutschland sei auf das Virus &bdquo;gut vorbereitet", sagt er im Januar. Und ruft zu &bdquo;einem Stück Gelassenheit" auf. Als der Mediziner Johannes Wimmer in einer ARD-Talkshow davor warnt, dass Corona in der Lage sei, das gesamte Gesundheitswesen in die Knie zu zwingen, fährt Spahn ihn an: &bdquo;Ich verstehe die ganze Hektik und Herangehensweise nicht." Eine Pandemie? Stört nur. Spahn will liefern. Er hält sein Haus auf Trab: Jeden Monat ein Gesetzentwurf, das ist Zielmarke. Es dauert fast vier Wochen, bis Spahn seinen Kurs ändert: &bdquo;Wir befinden uns am Beginn einer Corona-Epidemie in Deutschland", verkündet er Ende Februar. Wertvolle Zeit ist verstrichen. Schnell wird klar: Deutschland ist nicht gut vorbereitet. Es fehlen Pandemiepläne, Schutzausrüstungen, gesetzliche Grundlagen für Notmaßnahmen. Spahn prägt fortan den Ton: &bdquo;Wir alle müssen auf ein Stück Alltag verzichten, um andere zu schützen." Es ist eine bedrohliche Lage, aber Panik entsteht nicht. In Umfragen steigt Spahns Ansehen. Er bringt eine Botschaft unter: Wenn das Ganze aus dem Ruder läuft, ist allein das Virus schuld. Das Wichtigste schafft er dann doch: Das Gesundheitssystem bricht nicht zusammen. Er zwingt die Krankenhäuser per Notverordnung, Betten freizuhalten. Der Minister macht in der Krise auch Fehler Aber er macht auch Fehler. Er reißt die Verantwortung für die Beschaffung von Schutzbekleidung an sich. Doch der Markt ist längst leer. Sein Ministerium hat weder genug Personal noch die internationalen Kontakte, um die Aufgabe zu meistern. Zwar kann Spahn irgendwann eine Versorgungskette aufbauen. Doch viele Hersteller liefern Schrott. Die Idee eines Immunitätsausweises, der Menschen von Einschränkungen ausnehmen soll, muss Spahn zurückziehen. Der Protest ist massiv: Datenschutzbedenken mischen sich mit der Furcht vor Zwangsimpfungen und der Angst vor Ansteckungen aus Absicht. Im Sommer gibt es ein Hin und Her mit Pflichttests für Reiserückkehrer. Inzwischen haben Kanzlerin und Ministerpräsidenten die Krisen-Regie übernommen, der Gesundheitsminister zieht sich zurück. Eine Bühne bietet ihm noch Bayerns Ministerpräsident Markus Söder: Wiederholt tritt Spahn in München auf. Jedes Mal lobt ihn Söder überschwänglich. Andere wollen ihn an der Parteispitze Interessant ist das auch machtpolitisch: In der CDU läuft gerade ein Wettbewerb um den Parteivorsitz, die Schwesterparteien müssen über den Kanzlerkandidaten entscheiden. Spahn kandidiert zwar nicht, er unterstützt NRW-Ministerpräsident Armin Laschet. Doch immer wieder werden in CDU und CSU Rufe laut, Spahn solle den Parteivorsitz übernehmen – und Söder die Kanzlerkandidatur. Ein Interview an einem Maiabend in Berlin. Zu erleben ist ein nachdenklicher, erschöpfter Minister. Wenige Tage zuvor haben die Ministerpräsidenten weitreichende Lockerungen durchgesetzt – gegen den Willen von Merkel. Auch Spahn hält das Tempo für zu hoch. Er ringt um eine Haltung zu den Demonstrationen gegen die Corona-Politik. Spahn, der oft so forsch auftritt, zeigt sich unsicher. Hat die Regierung ihre Politik richtig erklärt? Wurde den Menschen zu viel zugemutet? In später frei gegebenen Interviews finden sichn kaum Zweifel: &bdquo;Nach Jahren der Polarisierung haben wir als Nation wieder ein starkes Wir-Gefühl entwickelt", lässt er sich zitieren. Sehnsucht nach konservativer Führungsfigur Fünf Jahre ist es her, da hatte er wenig gegen Polarisierung. In der Flüchtlingsdebatte forderte er, die Regierung müsse &bdquo;auch unschöne Bilder, schreiende Kinder und Frauen" in Kauf nehmen. Seit Jahren gab es in der CDU die Sehnsucht nach einer konservativen Führungsfigur. Spahn bedient sie. Und ergreift Chancen: Als er in den Bundestag kam, kümmerte sich niemand in der Fraktion um die Gesundheitspolitik. Spahn übernahm. Es war eine seiner großen Enttäuschungen, dass Merkel 2013 nicht ihn zum Gesundheitsminister machte, sondern Hermann Gröhe. Wolfgang Schäuble, damals Finanzminister, holte ihn als Staatssekretär. Auf einem Parteitag setzte Spahn gegen Merkel ein Nein zur doppelten Staatsbürgerschaft durch. Und nach der Wahl 2017 drängte er mit Hilfe der Jungen Union ins Ministeramt. 2018 die zweite Enttäuschung: Merkel kündigte ihren Rückzug vom Parteivorsitz an. Schäuble schob nicht Spahn auf die Bühne, sondern den früheren Unions-Fraktionschef Friedrich Merz. Auch der Wirtschaftsflügel hatte nur noch Augen für Merz. Spahn kandidierte trotzdem, und verlor. Zu jung, zu ehrgeizig, hieß es. Im aktuellen Rennen hat er sich hinter Laschet eingereiht. &bdquo;Es kann nur einen Parteichef geben", verkündet er. Strategisch ist das geschickt. Gegen Merz hat er schon einmal verloren. Beide sprechen dasselbe Klientel an: die Konservativen und den Wirtschaftsflügel. Zugleich füllte Spahn eine Lücke im Profil: Bescheidenheit, das fehlte noch. Die Bereitschaft zum Teamspiel ist nun auch dokumentiert. Da geht noch was in Sachen Karriere.

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