Politologe Kersting: "Corona hat die lokale Politik gestärkt"

Herr Kersting, welche Erkenntnisse ziehen Sie aus den Kommunalwahlen in Nordrhein-Westfalen?Kersting: Die Wahlen waren weitgehend von verkehrs- umweltpolitischen Fragen geprägt, vorangetrieben von Klimaschutzgruppen wie Fridays for Future. Ihr Einfluss wird stetig größer. Bis auf ein, zwei Ausreißer haben alle Parteien Teile ihrer Forderungen aufgegriffen. Wie hat sich Corona ausgewirkt?Kersting: Das ist der zweite herausragende Aspekt. Die Kommunalwahlen waren der erste große Urnengang unter umfangreichen Hygieneauflagen. Durch das Maskengebot hatten es neue Kandidatinnen und Kandidaten im Straßenwahlkampf schwerer, weil man sie überhaupt nicht erkennen konnte. Die Wahlbeteiligung ist gegenüber 2014 leicht gestiegen ...Kersting: Damit war nicht unbedingt zu rechnen. Das Interesse an der Politik ist folglich recht groß. Die Kommunalpolitik wurde in der Vergangenheit von den Wählerinnen und Wählern ja eher stiefmütterlich behandelt, jetzt aber zeigt sich: Die lokale Politik geht gestärkt aus der Corona-Pandemie hervor. Weil man die kommunale Verwaltungsebene in dieser Krisenzeit zu schätzen gelernt hat?Kersting: Sie hat einen größeren Stellenwert als noch vor Corona. Was die Hygieneschutzauflagen angeht, werden auf lokaler und regionaler Ebene weitreichende Entscheidungen getroffen. Landräte und Bürgermeister sind wichtiger geworden im Zusammenspiel der demokratischen Ebenen. Man erinnere sich nur an die Corona-Hotspots in den Kreisen Heinsberg und Gütersloh. Da waren regionale Krisenmanager gefragt. Entfalten die eher personenorientierten Kommunalwahlen trotzdem eine gewisse Strahlkraft über NRW hinaus?Kersting: Obwohl die lokale und regionale Bedeutung im Vordergrund steht, sollte man die landes- und bundespolitischen Effekte nicht zu klein reden. Immerhin waren landesweit rund 14 Millionen Wahlberechtigte aufgerufen, es war die größte Wahl 2020 – durchaus mit einer Signalwirkung für den CDU-Parteitag im Dezember. Auf dem Ministerpräsident Armin Laschet für den Parteivorsitz antritt. Welche Aussagekraft hat das CDU-Ergebnis in NRW für seine Kandidatur?Kersting: Er legt das Ergebnis jetzt natürlich für sich aus – schon als Beleg für eine aus seiner Sicht maßvolle Corona-Politik. Regierungsparteien hatten es per se leichter: Wie häufig hört man gerade von der "Stunde der Exekutive" – das hat vor allem bei der CDU eingezahlt. Die SPD liegt bei Kommunalwahlen schon seit 1999 hinter der CDU, jetzt ist sie auf 23 Prozent abgestürzt. Das Selbstverständnis, dass NRW ihre "Herzkammer" sei, haben die Sozialdemokraten schon nach der Landtagswahl 2017 abgeräumt. Wie ernst ist ihre Lage heute?Kersting: NRW ist traditionell heterogen in der Wählergunst. Ich kam in Westfalen zur Welt, im Sauerland oder im südlichen Ostwestfalen holen CDU-Kandidaten manchmal 70 oder 80 Prozent. So wenig, wie die CDU bei Wahlen in NRW der Underdog gewesen ist, so wenig traf im Grunde der Begriff "Herzkammer der Sozialdemokratie" flächendeckend zu. Die CDU-Hochburgen wurden etwas geschwächt, die der SPD wurden stärker geschliffen. Großer Wahlgewinner sind die Grünen. Wie weit kann es für sie noch gehen?Kersting: Wenn sich die Partei programmatisch breiter aufstellt, könnte sie ihre Erfolgsgeschichte weiterschreiben. In NRW hat sie in Stadt- und Gemeinderäten kräftig zugelegt. Jüngere neigen zu den Grünen, nicht nur Fans von Fridays for Future. In Baden-Württemberg stellt die Partei vor allem in Universitätsstädten aber auch in Stuttgart den Verwaltungschef. Daran müssen sich die Grünen in NRW jetzt messen lassen. Was sagt das Wahlergebnis über den Zustand der AfD in Nordrhein-Westfalen aus?Kersting: Trotz Moria war Migration kein großes Thema vor den Wahlen. In größeren Städten hat es die AfD nicht in die Stichwahl geschafft, sie blieb unter ihren Erwartungen. In der Corona-Lage hat man gesehen, dass diese Partei wenig Substanzielles, schon gar nichts Konstruktives beizutragen hatte. Die AfD erscheint auch in NRW als eine Anti-Partei ohne ein tragfähiges Angebot.

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