Kindesmissbrauch: Ärztliche Schweigepflicht soll gelockert werden

Düsseldorf/Bielefeld. Die CDU in NRW plant nach den Kindesmissbrauchsfällen in Lügde und Bergisch-Gladbach eine Lockerung der ärztlichen Schweigepflicht. Um Fälle von Missbrauch früher aufzudecken, müsse das Netzwerk zwischen Kinderärzten, Jugendämtern, Polizei und Staatsanwaltschaften verbessert werden, begründet der gesundheitspolitische Sprecher der CDU-Landtagsfraktion, Peter Preuß, die Pläne. Kinderärzte hätten eine &bdquo;Schlüsselrolle beim Schutz unserer Kinder". Befürworter erhoffen sich von einer Lockerung der Schweigepflicht einen verbesserten Austausch zwischen Behörden. Kritiker befürchten, dass noch mehr Eltern Arztbesuche mit ihren Kindern meiden. Doch wie arbeiten Kinderärzte aktuell bei Verdachtsfällen? Der Bielefelder Mediziner Marcus Heidemann gibt Einblicke in seinen Alltag. Verbrennungen, Knochenbrüche oder auch nur kleine Hämatome. Weisen Kinder Verletzungen dieser Art auf, werden Kinderärzte aufmerksam. Unfälle sind die häufigste Ursache für solche Befunde, sie können aber auch Hinweise auf eine Misshandlung sein. Oft lässt sich anhand der Verletzung jedoch nicht eindeutig sagen, was die Ursache der Verletzung war. Häufig lässt sich der Verdacht auf Kindesmisshandlung erst beim Wiederholungsfall erhärten, doch ein zweites Mal bekommen Kinderärzte ihre Patienten mitunter gar nicht zu Gesicht, weil Eltern Praxis oder Krankenhaus wechseln. Misshandlung ist nicht immer offensichtlich &bdquo;Bei dem Verdacht auf eine Kindesmisshandlung wenden wir uns als Kinderärzte an das Jugendamt, es ist aber nicht immer sofort offensichtlich, ob es sich tatsächlich um eine Misshandlung handelt", erklärt Heidemann, Vorsitzender des Berufsverbandes der Kinder- und Jugendärzte in Westfalen-Lippe. Mediziner befinden sich dann in einer schwierigen Lage zwischen Handlungsdruck und der ärztlichen Schweigepflicht. &bdquo;Manchmal habe ich lediglich ein komisches Gefühl, ich mache mir Sorgen um einen meiner Patienten, weil in der Familie irgendetwas schief laufen könnte. Solche Gefühle würde ich gerne mit dem Jugendamt oder der Kindertagesstätte abklären, doch das ist aktuell nicht möglich." Die Rechtslage besagt, dass Ärzte dazu verpflichtet sind die Behörden einzuschalten, wenn das Kindeswohl gefährdet ist. &bdquo;Das gilt, wenn sich der Verdacht auf Kindesmisshandlung erhärtet. Beweise dieser Art liegen aber nicht immer vor", sagt Heidemann. Die Folge: Erhärtet sich der Verdacht auf Misshandlung nicht, können sich Ärzte strafbar machen. &bdquo;Ähnliche Probleme haben Mitarbeiter in Jugendämtern und Kindertagesstätten, die bei Verdachtsmomenten auch nicht bei mir anrufen dürfen, um den Verdacht abzuklären. Wir sind da alle rechtlich nicht abgesichert." Kinderarzt fordert rechtliche Absicherung Heidemann wünscht sich deshalb eine rechtliche Absicherung für den Austausch und die Vernetzung zwischen Kinderärzten, Behörden und Kindertagesstätten. &bdquo;Das Problem ist seit langem bekannt, doch es tut sich wenig. Auch Projekte, wie das Informationssystem Riskkid für Ärzte, dass als elektronisches Frühwarnsystem das sogenannten Ärztehopping verhindern soll, dümpeln nur so vor sich hin." Auch mit Blick auf die Vernachlässigung von Kindern, wünscht sich Heidemann mehr Austausch und Vernetzung. &bdquo;In der Praxis behandeln wir häufig Kinder, die zuhause nicht ausreichend gefördert, falsch ernährt oder in einer anderen Form vernachlässigt werden. Auch diesen Kindern könnten wir besser helfen, wenn Austausch möglich wäre." Auch Probleme durch Bewegungsmangel und Medienmissbrauch nehmen zu. &bdquo;Extrem schwer haben es auch Kinder von Eltern mit psychischen Erkrankungen." CDU fordert eine Datenbank für Verdachtsfälle Das Problem des fehlenden Austauschs will die CDU in NRW mit einer Lockerung der ärztlichen Schweigepflicht abschaffen. Nach der Sommerpause plant die CDU einen Gesetzentwurf. Dadurch soll laut dem CDU-Gesundheitsexperten Preuß vor allem der interkollegiale Austausch der Kinderärzte durch Spezialisten-Netzwerke erleichtert werden. Diese seien erforderlich, damit die Mediziner in unklaren Fällen nicht allein entscheiden müssten, ob sie das Jugendamt einschalten oder nicht. Wichtig sei zudem die Option einer staatlichen Datenbank für Ärzte mit Verdachtsfällen, um dem Ärztehopping einen Riegel vorzuschieben. Der Deutsche Kinderschutzbund spricht sich gegen die Einführung einer Datenbank aus. Präsident Heinz Hilgers hält die Pläne der CDU für kontraproduktiv, weil die Datenbank dazu führen könnte, dass Eltern Arztbesuche mit ihren Kindern meiden, weil sie Angst haben darin aufzutauchen. Laut Hilgers sehe das Strafgesetzbuch bereits heute ausreichend Ausnahmen für die ärztliche Schweigepflicht vor. Ärzteverband hält Lockerungen für unnötig Lockerungen der ärztlichen Schweigepflicht hält auch der Ärzteverband Hartmannbund für unnötig. Bei konkret erkennbarer Selbst- oder Fremdgefährdung ist es nach Angaben des stellvertretenden Bundesvorsitzenden, Stefan Schröter, Ärzten bereits jetzt möglich die ärztliche Schweigepflicht zurückzustellen. Bei ausreichend konkretem Verdacht auf Kindesmissbrauch seien Ärzte sogar verpflichtet, das Jugendamt oder die Polizei zu informieren, um Missbrauch zu verhindern. Die im Grundgesetz verankerte ärztliche Schweigepflicht ist laut Schröter zudem ein hohes Gut, auf dessen strikte Einhaltung sich jeder Patient verlassen können muss. &bdquo;Die ärztliche Schweigepflicht steht dem stets vorrangigen Kindeswohl also nicht etwa entgegen, sondern ganz im Gegenteil", sagt Schröter. Eine Veränderung der derzeitigen Rechtslage durch den Gesetzgeber sei deshalb weder erforderlich noch geboten. Ärzte können laut Schröter nicht die Aufgaben der Polizei übernehmen. Zudem warnt auch der Hartmannbund davor, dass bei einer Lockerung der ärztlichen Schweigepflicht Eltern aus Furcht vor strafrechtlicher Verfolgung Arztbesuche mit ihren Kindern vermeiden. &bdquo;Dann würden Diagnosen nicht gestellt, und es blieben Verletzungen und Erkrankungen unerkannt und unbehandelt, es könnte dem betroffenen Kind somit in keiner Hinsicht geholfen werden", sagt Schröter.

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