Kindesmissbrauch: Warum härtere Strafen allein nicht reichen

Bielefeld. Es ist nicht der erste Fall in NRW, doch er entfaltet nachhaltige Wirkung auch auf Bundesebene: Der schockierende Fall um den Missbrauch kleiner Kinder in Münster und die filmische Verbreitung der Taten im Internet. Die Politik ist erneut alarmiert, der Ruf nach höheren Strafen wird lauter, als er ohnehin schon war. Ein entsprechender Gesetzesvorstoß kommt aus NRW, Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD) stellte ein Reformpaket zur Bekämpfung von Kindesmissbrauch vor. Doch das Strafrecht allein kann das Problem nicht lösen, sagen Expertinnen. "Gerichtsurteile am unteren Rand dessen, was möglich gewesen wäre" "Ich bin insgesamt eher skeptisch in Bezug auf härtere Strafen", sagt Kriminologin Brigitta Goldberg von der Evangelischen Hochschule Rheinland-Westfalen-Lippe und blickt für diese Einschätzung auf vergangene Gerichtsurteile. "Die Strafverfolgungsstatistiken zeigen, dass die allermeisten Verfahren auch dann mit Bewährungsstrafen enden, wenn eine Freiheitsstrafe von ein bis zwei Jahren möglich gewesen wäre. Die Gerichtsurteile bewegen sich häufig am unteren Rand dessen, was möglich gewesen wäre. Ich denke deshalb, dass sich bei einer Strafverschärfung nicht viel ändern wird." Dass Täter durch höhere Strafen abgeschreckt werden, konnte bislang nie bewiesen werden, ergänzt Goldberg. "Einzig das wahrgenommene Entdeckungsrisiko, die Gefahr, dass man erwischt wird, wirkt abschreckend. Dieses Risiko ist bei Sexualdelikten leider sehr gering, weil die Täter häufig aus dem Nahfeld der betroffenen Kinder stammen und die Opfer unter großem Druck stehen." Nicht die Strafen, die im Gesetz standen, sondern die Strafen, die ausgesprochen wurden, seien bislang zu schwach gewesen. Für die Opfer jedoch ergebe sich eine andere Bewertung. "Für sie können höhere Strafen durchaus eine Genugtuung sein." Signal: Sexuelle Handlungen mit Kindern schaden in jedem Fall Von einer Signalwirkung spricht Claudia Bundschuh, Pädagogin von der Hochschule Niederrhein. Bundschuh forscht seit mehr als 25 Jahren über Kindesmissbrauch und Pädosexualität. Auch sie plädiert dafür, zunächst einmal zu prüfen, ob der bisherige Strafrahmen von Gerichten überhaupt ausgenutzt wurde. "Vielleicht ist ein entscheidender Punkt, Richter und Richterinnen zu sensibilisieren", sagt Bundschuh. Jedoch sei es "sicher sinnvoll, über die Einstufung von Tathandlungen als Verbrechen statt als Vergehen nachzudenken", sagt Bundschuh. "Menschen, die Kinderpornografie nutzen, muss bewusst gemacht werden, dass sie nicht nur Konsumenten sind, sondern mit ihrer Nachfrage mitverantwortlich dafür sind, dass andere Menschen Kinder missbrauchen und das filmen." Es gebe Menschen, die zwar ein sexuelles Interesse an Kindern haben, dieses aber nicht ausleben. "Das Signal durch höhere Strafen könnte sie darin bestärken, diese Hemmschwelle zu halten, weil damit noch einmal verdeutlicht wird, dass sexuelle Handlungen mit Kindern die betroffenen Mädchen und Jungen in jedem Fall schädigen. Goldberg: Kinder müssen gehört werden Wichtig im Kampf gegen Kindesmissbrauch, betonen die Expertinnen, seien Vorbeugung, Sensibilisierung und Qualifizierung. "Wir wissen inzwischen viel über das Problemfeld Kindesmissbrauch. Es gibt aber noch großen Optimierungsbedarf bei der Umsetzung des Wissens in praktisches Handeln: Alle Fachkräfte, die mit Kindern und Jugendlichen arbeiten, müssen die Haltung haben, dass junge Menschen vor sexuellem Missbrauch geschützt werden müssen und sie mitverantwortlich sind für die Sicherstellung des Schutzes. Das Qualitätsmanagement in den Institutionen, die Kooperation der Institutionen bei Verdachtsmomenten müssen verbessert werden." "In mehreren Missbrauchsfällen zeigte sich später, dass die Kindern nicht angehört wurden", kritisiert Goldberg. Dies ist eigentlich geboten. "Die Verantwortlichen müssen fortgebildet werden, um in diesen Fällen richtig handeln zu können." Das von Lambrecht vorgestellte Konzept sieht Änderungen auch außerhalb des Strafrechts vor, unter anderem Fortbildungen für Richter und Staatsanwälte sowie eine bessere Ausstattung der Strafverfolgungsbehörden. Ob der Vorschlag auch umgesetzt wird, bleibt abzuwarten.

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