Wie Eziden aus OWL sich Gehör verschaffen wollen

Paderborn. Wenn ein Ezide nach Deutschland kommt, muss er - wie viele andere auch - viele Formulare ausfüllen. Name, Geburtsdatum, Alter - auf manchen Formularen wird auch die ethnische Zugehörigkeit abgefragt, zum Beispiel wenn das für die Gewährung von Asyl relevant sein könnte. Doch ein Kästchen für "Ezidisch" gibt es dort nicht. Denn Ezidisch gilt in Deutschland ausschließlich als Religion. Unter "Ethnie" steht höchstens "Kurdisch" zur Verfügung. Das will der ostwestfälische Verein Kongress der Eziden weltweit gerne ändern. "Den Eziden wird das Recht verwehrt, sich ethnisch und muttersprachlich als ezidisch im System eintragen zu lassen", sagt ein Sprecher. "Den Versuch einer Ethnisierung der Jesiden hat es im vergangenen Jahrhundert schon mehrmals gegeben", sagt Feryad Fazil Omar, Präsident des Instituts für Kurdische Studien Berlin und nimmt damit eine kritische Haltung zum Vorstoß des Kongress ein. "Die Herrscher der Länder Türkei, Irak und Syrien beabsichtigten damit, die Jesiden von den anderen Kurden zu trennen." Umgekehrt aber würden Eziden auch von einigen "politischen Organisationen der Kurden selbst für politische Zwecke und Einflussnahme instrumentalisiert." In ihren Hauptsiedlungsgebieten Türkei, Irak, Iran und Syrien kämpfen Kurden schon seit langem um ihre Rechte als ethnische Minderheit - die Eziden eingeschlossen. Im Nord-Irak existiert seit 1991 die de facto Autonome Region Kurdistan. In Nord- beziehungsweise Ost-Syrien besteht seit 2016 de facto die kurdische Föderation Nordsyrien – Rojava. Beide Regionen gelten auch als ursprüngliche Hauptsiedlungsgebiete der Eziden. Sind Eziden Kurden? "Die Eziden sind mehr als ihre Religion", sagt ein Sprecher des Kongress der Eziden weltweit. Er zählt auf: "Die Sprache, Heiratsbräuche, Beerdigungsrituale, die Kleidung". All das unterscheide die Eziden von den Kurden. Nach Omars Ansicht sind Eziden Kurden ezidischer Religion - ebenso wie ihre Sprache Kurmandschi, also Kurdisch sei. Ein Streitpunkt: "Auch Nicht-Eziden sprechen Kurmandschi", so der Standpunkt des Kongress der Eziden. Diese Kurden seien aber im Laufe der Geschichte zwangsislamisiert worden. Das was heute als eine kurdische Sprache gelte, sei also das ursprüngliche Ezidisch. Dieses Narrativ ist auch Omar bekannt: "Einige Kurden glauben, dass vor dem Voranschreiten der Islamisierung im 7. und 8. Jahrhundert ein großer Teil der Kurden der jesidischen Religion angehörte". Dies sei jedoch historisch nicht überliefert. Irfan Ortac versucht zu vermitteln: "Wir wollen uns unsere unterschiedlichen Identitäten nicht gegenseitig aufzwingen", sagt der Vorstand des Zentralrat der Eziden mit Sitz in Bielefeld. Er spricht damit für die rund 30 Mitgliedsvereine, die sich der "Förderung und dem Erhalt des Ezidentums" verschrieben haben. "Wenn ich mich kurdisch fühle und finde, dass meine Sprache Kurdisch ist, dann ist das okay. Wenn ich mich ezidisch fühle und meine Sprache als ezidisch bezeichne, dann ist das okay", sagt Ortac. Er macht allerdings auch deutlich: "Den Versuch kurdischer Orgarnisationen, anderen eine kurdische Identität aufzuzwingen lehnen wir klar ab." Kampf ums Überleben Genau das scheint für den Kongress der Eziden ein wichtiger Beweggrund zu sein: "Wir wollen nicht von den Kurden vereinnahmt werden", sagt der Vereinssprecher. Das hat auch mit der jüngsten kurdisch-ezidischen Geschichte zu tun. 2014 überfiel der sogenannte "Islamische Staat" (IS) in die Sindschar-Region im Nordirak - eines der Hauptsiedlungsgebiete der Eziden. Laut ProAsyl wurden allein bis Mitte 2019 rund 100 Massengräber gefunden, Fahad Hamid Omard, Bürgermeisterr Stadt Shingal, schätzte 2018 rund 15.000 Tote. Bis zu 7.000 Frauen und Kinder wurden versklavt, etwa die Hälfte gilt bis heute als vermisst. Die kurdischen Peshmerga hatten kurz vor dem Angriff ihre eigenen Soldaten aus der Region abgezogen - ein schwerer Verrat für viele Eziden, trotz der späteren Hilfe durch andere kurdische Kämpfer. Seitdem sind rund 75.000 Eziden allein aus dem Irak nach Deutschland geflüchtet. Der Zentralrat der Eziden und viele andere Orgarnisationen kämpfen für eine Anerkennung der erlittenen Gräuel als Völkermord. Unterdessen leben tausende Eziden in Flüchtlingslagern im Krisengebiet. Ortac's große Sorge: "In den Lagern findet kaum Bildung statt", sagt er. "Ohne Bildung keine Arbeit und keine Anerkennung." So würden die Eziden erneut marginalisiert. Hinzu komme die gesundheitliche Gefahr - auch durch die Corona-Pandemie. "Das ist ein Teufelskreis und läuft erneut auf die Vernichtung der Eziden hinaus." Aus ezidischer Sicht ist es ein Kampf um das Überleben einer Jahrhunderte alten Kultur. So arbeitet der Zentralrat der Eziden am Aufbau und der Entwicklung von Institutionen in Deutschland, wo die "ezidische Philosophie und Religion" erforscht und weitergegeben werden kann. "Wir wollen am politischen Leben partizipieren können", sagt Ortac. Aus Sicht des Kongress der Eziden weltweit würde die Anerkennung der Eziden als eigene ethnische Gruppe die Eziden in Deutschland sichtbarer machen. Immerhin leben schätzungsweise 150.000 Eziden in der Bundesrepublik - davon Stand 2016 15.000 in OWL.

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