Bielefelder Mathematik-Professor macht Hoffnung in der Corona-Krise

Bielefeld. Bundeskanzlerin Angela Merkel spricht über sie, die Virologen sprechen über sie, die bundesweiten Medien verbreiten sie: die Zahl zur Verdopplungszeit. Sie beschreibt den Zeitraum, in dem sich die Zahl der bekannten Corona-Infektionen verdoppelt. Je länger der Zeitraum, desto besser. Frühestens ab erreichten 14 Tagen will man langsam über eine Lockerung der Beschränkungen im Land nachdenken. Laut Moritz Kaßmann von der Fakultät für Mathematik der Universität Bielefeld wäre diese Verdopplungszeit ein Desaster – wenn sie dauerhaft so bliebe. Allerdings sieht er Deutschland mit dem Stand vom 7. April schon bei einem besseren Wert: bei fast 19 Tagen und nicht erst bei 12. Von den &bdquo;Fallstricken der Verdopplung" spricht der Professor. Das Konzept der Verdopplungszahl sei einfach nicht gut geeignet, das in der Corona-Krise angestrebte Ziel zu beschreiben: nämlich, die täglichen Neuinfektionen weniger werden zu lassen, auf eine Nettoreproduktionsrate kleiner Eins. "Das kann nicht das Ziel sein" &bdquo;Eine konstante Verdopplungszahl von 14 würde bedeuten, dass wir bei den aktuellen 103.000 bekannten Infizierten in 14 Tagen bei 206.000 wären, in sechs Wochen bei 824.000, in drei Monaten bei weit über sechs Millionen", rechnet Kaßmann vor. &bdquo;Das kann nicht das Ziel sein." Daher sei es in dieser Phase der Pandemie, in der es aktuell keinen exponentiellen Wachstumsprozess mehr gebe (in der sich die Zahlen jeweils in einem bestimmten konstanten Zeitintervall verdoppeln) wichtig, ein fundierteres Rechenmodell anzuwenden. Kaßmann schlägt außerdem vor, anstelle der Verdopplungszahl – die eben nicht mehr konstant sei – in der Kommunikation mit der Zahl der bekannten Neuinfektionen zu operieren. Und dabei mindestens einen Zeitraum von sieben und nicht nur fünf Tagen zu betrachten, denn die Wochentage beeinflussten sichtbar die Meldezahlen. Um die gegenwärtige Wachstumsrate bei den bekannten Infektionen einzuschätzen, hat der Mathematikprofessor jetzt die Entwicklung der logarithmierten Werte mittels einer quadratischen Funktion geschätzt. &bdquo;Im Ergebnis kommen wir zu ganz anderen Zahlen", so Kaßmann, &bdquo;in den meisten Länder, nicht aber in Frankreich, wäre demnach die Verdopplungszahl in der Realität höher." Deutschland käme, wie schon erwähnt, laut Kaßmann auf knapp 19 und nicht auf 11,8; Österreich wäre schon bei fast 65 Tagen und nicht erst bei 25. Lediglich Frankreich hätte eine negative Bilanz: 5,3 statt 6,4 Tage. Im Prinzip müsse täglich neu gerechnet werden Moritz Kaßmann hat sein Berechnungsmodell erst am Mittwochmorgen in einem Youtube-Erklärvideo online gestellt. Und schon am gleichen Tag hatte er dazu telefonische Anfragen von Spiegel, Süddeutscher Zeitung und der Welt. &bdquo;Ich muss gestehen", sagt der Bielefelder Professor, &bdquo;dass mich das schon sehr überrascht hat." Er betont, dass im Prinzip jeden Tag neu gerechnet werden müsse, und es Abweichungen nach oben oder unten – je nach gewähltem Verfahren – geben könne. Aber der Blick auf die vergangenen beiden Wochen lasse erkennen, dass die Verdopplungszahl jetzt sehr stark wachse, nachdem sie zwischenzeitlich auch einmal gesunken sei. &bdquo;Aber wir befinden uns in keinem exponentiellen Regime mehr, das ist die gute Nachricht." Weil die seit dem 16. März eingeführten Beschränkungen tatsächlich wirken würden, so Kaßmann, wage er es, mit seinem Rechenmodell auch einen Blick auf die Entwicklung möglicher Opferzahlen zu werfen. Auch dort sinke die Wachstumsrate zurzeit deutlich. &bdquo;In Deutschland würden demnach bis zum 17. April voraussichtlich höchstens 3.700 Menschen an einer Covid-19-Erkrankung sterben", schätzt der Professor. Eine Aussage darüber, was eine Verdopplungszahl von fast 19 in Bezug auf ein mögliches Ende der gegenwärtigen Kontaktbeschränkungen bedeuten kann, trifft Moritz Kaßmann nicht. Wichtig sei es in jedem Fall, auf die Ratschläge des Robert-Koch-Institutes zu hören.

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