Fortsetzung der Kontaktsperre: „Uns droht die soziale Verarmung der Gesellschaft“

Bielefeld. Die Einschränkung sozialer Kontakte als Schutz vor der weiteren Ausbreitung des Coronavirus ist aktuell die Strategie, die Deutschland und die meisten anderen Länder als alternativlos ansehen. Die meisten Menschen schränken ihre Kontakte deshalb bereits seit Wochen radikal ein, verzichten auf Nähe, Zuwendung und Unterstützung von Familie, Freunden, Bekannten, Nachbarn und Arbeitskollegen. Gleichzeitig wächst in Krisenzeiten jedoch das Bedürfnis nach sozialen Kontakt. Der Bielefelder Soziologe Bernhard Badura erklärt, was Kontaktsperren für Folgen haben können. &bdquo;Der Mensch ist ein geselliges Wesen und auf soziale Kontakte angewiesen, drüber besteht zwischen Natur- und Sozialwissenschaften weithin ungewohnte Einigkeit", erklärt Badura, Mitbegründer der Fakultät für Gesundheitswissenschaften an der Universität Bielefeld. &bdquo;Starke Beziehungen sind Garanten seelischer Stabilität und auch physischer Gesundheit." Deshalb haben Einschränkungen wie Kontaktsperren Nebenwirkungen, die die gesamte Gesellschaft betreffen. "Nicht jeder leidet gleichermaßen unter dem Ausbleiben sozialer Kontakte" Über drei bis vier Wochen kann eine Kontaktsperre nach Einschätzung Baduras ohne große Probleme durchgehalten werden. &bdquo;Danach droht jedoch die soziale Verarmung der Gesellschaft, die auch der Wirtschaft schaden kann. Denn ohne physisch und psychisch gesunde Beschäftigte kein wirtschaftlicher Erfolg." Damit besteht nach Angaben des Soziologen nicht nur eine Gefahr für jeden Einzelnen, sondern auch für den wirtschaftlichen Erfolg und den gesellschaftlichen Zusammenhalt. Individuell reagieren Menschen unterschiedlich auf die Kontaktsperre. &bdquo;Nicht jeder leidet gleichermaßen unter dem Ausbleiben sozialer Kontakte, aber für alle gilt, dass sie nichts so sehr inspiriert, wie der persönliche Austausch mit anderen Menschen, vor allem mit Bezugspersonen", erklärt Badura. &bdquo;Dazu zählen nicht nur Partner, Familienangehörige oder Freunde. Viele Menschen haben starke Bindungen zu Arbeitskollegen, die im Homeoffice wegfallen." &bdquo;Soziale Kontakte können durch eine Kontaktsperre dauerhaft wegbrechen" Für alle gilt jedoch: Entscheidend ist laut Badura vor, während oder nach einer Krise die Qualität von Beziehungen. &bdquo;Und die leidet aktuell auch sehr. Durch den plötzlichen Wegfall unserer sozialen Kontakte merken wir jetzt deutlich, was uns fehlt. Menschen reagieren sensibel auf ihr soziales Umfeld und hungern nach Anerkennung und Bestätigung. Bleibt das aus, sinkt das Selbstwertgefühl und die Psyche leidet." Bei Menschen, die vor der Krise nicht in starke Bindungen investiert haben, droht jetzt der komplette Verlust dieser Beziehung. &bdquo;Soziale Kontakte können durch eine Kontaktsperre dauerhaft wegbrechen. Beziehungen müssen gepflegt werden und können nicht wie eine Maschine ein- und ausgeschaltet werden, wenn ich sei gerade benötige. Doch diese Pflege ist in der Krise nur schwer möglich", sagt Badura. "Digitale Kommunikation kann soziale Kontakte nicht ersetzen" Digitale Medien ermöglichen zwar ein Aufrechterhalten der Kommunikation. &bdquo;Das existentielle Bedürfnis nach emotionaler Bindung kann dadurch aber lediglich überbrückt und nicht ersetzt werden", sagt Badura. Auch das Lernen von Neuem und Willensbildung fällt über digitale Medien deutlich schwerer. &bdquo;Wissensvermittlung ist zwar auch digital möglich, aber die Lernkurve bei Schülern und Studenten flacht auf diesem Weg deutlich ab, wenn der persönliche Austausch fehlt." Laut Badura gilt das auch für Konferenzen im Homeoffice: &bdquo;Die Aufmerksamkeitsspanne sinkt im reinen digitalen Austausch mit Kollegen und Vorgesetzten schnell." Dramatisch sind Kontaktsperren vor allem für Menschen, die bereits an psychischen Erkrankungen leiden. &bdquo;Deshalb muss bei der Diskussion um die oft geforderte Isolation von Risikogruppen bedacht werden, dass bereits vor der Krise viele, vor allem ältere Menschen, einsam waren und generell ein größeres Bedürfnis nach Zuwendung haben."

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