Staatsrechtler zum Krisenfall: „Auch in Deutschland ist Hausarrest möglich“

Bielefeld/Wuhan. Chinesische Städte liegen ausgestorben da, seit in China das neue Corona-Virus ausgebrochen ist und sich rasant verbreitet. Millionen Menschen stehen unter Hausarrest. Nur alle drei Tage darf ein Familienmitglied auf die Straße, um das Nötigste einkaufen zu gehen. Ein junger behinderter Mann soll deshalb bereits gestorben sein: Sein Vater hatte ihn nicht mehr versorgen können. Harte Maßnahmen, wie sie nur ein autoritärer Staat wie China erlassen kann? Christoph Gusy, in Bielefeld Professor für Öffentliches Recht und ausgewiesener Staatsrechtsexperte, relativiert: Unser Grundgesetz ließe durchaus sehr viel drastischere Maßnahmen zu, als gemeinhin angenommen wird. Die Unterschiede zwischen unserem Rechtsstaat und der chinesischen Diktatur sind gleichwohl groß. Herr Gusy, aus China erreichen uns Bilder leer gefegter Metropolen, Millionen Menschen sitzen unter Hausarrest, dürfen kaum noch das Haus verlassen. Wären ähnlich drastische Maßnahmen in Deutschland juristisch möglich, wenn das Virus auch hier zur ernsthaften Bedrohung würde? Christoph Gusy: Vieles von dem, was in China an Kontrollen und Freiheits-Einschränkungen passiert, wäre bei uns undenkbar – dass beispielsweise Autofahrer angehalten werden, um ihnen auf offener Straße das Fieber zu messen und ihnen dann die Fahrt nach Hause zu verbieten, wie es im Fernsehen aus China zu sehen war. Aber auch bei uns gibt es juristische Möglichkeiten, die Freizügigkeit von Kranken und möglichen Ansteckungsträgern empfindlich einzuschränken. Im Infektionsschutzgesetz aus dem Jahr 2000 sind zahlreiche Maßnahmen festgeschrieben, die der Verhütung und Bekämpfung übertragbarer Krankheiten dienen sollen. Das geht von Impfmaßnahmen über die Verpflichtung zu Arztbesuchen bis hin zur behördlich angeordneten Quarantäne. Das was gerade in Germersheim geschieht. Wann dürfen Behörden eine Quarantäne anordnen? Gusy: Wenn Menschen nachgewiesenermaßen Träger einer gefährlichen Infektionskrankheit sind oder konkrete Anhaltspunkte bestehen, dass sie sie haben könnten. Der Paragraf kommt selten zur Anwendung, meist nur bei seltenen Tropenkrankheiten, die jemand mit nach Hause bringt. Aber bei größeren Ausbrüchen wäre es auch möglich, mehr Leute zwangsweise in Quarantäne zu schicken. Man kann das Reisen verbieten oder zeitweise die Berufsausübung – das alles ist nach deutschem Recht möglich. Die Menschen, die in Germersheim in Quarantäne sitzen, haben ja nur gemeinsam, dass sie alle aus einer bestimmten chinesischen Region kommen. Wäre es dann nicht auch bei einem Ausbruch in einer deutschen Stadt möglich, die ganze Stadt unter Quarantäne zu stellen? Gusy: Nein. So viele Quarantäneplätze gibt es gar nicht. Denn das Gesetz sieht nur vor, dass Menschen sich im angeordneten Ernstfall unter medizinischer Aufsicht in diesen abgeriegelten Gebäuden aufhalten müssen. Von Straßensperren, Hausarrest und davon, sie einfach ohne ärztliche Aufsicht in der eigenen Wohnung einzusperren, steht da nichts. Das wäre juristisch undenkbar? Gusy: Es wäre unter der derzeitigen Gesetzgebung undenkbar. Aber der Gesetzgeber könnte durchaus Gesetze erlassen, die sehr viel weiter gehen. Im Grundgesetz steht ausdrücklich, dass die Freizügigkeit und die Unverletzlichkeit der Wohnung durch Gesetze eingeschränkt werden kann, wenn es der Eindämmung von Seuchengefahr dient. Wir waren bislang glücklicherweise nie in der Lage, dass wir solche Gesetze gebraucht hätten, weil wir von solchen Krankheiten verschont waren. Wenn die Not groß ist, wäre es theoretisch aber möglich, rasch ein entsprechendes Gesetz zu erlassen, dass auch Hausarrest und andere drastische Maßnahmen vorsehen könnte. Was kann Menschen passieren, die sich einer angeordneten Quarantäne verweigern? Gusy: Gegen sie kann ein richterlicher Unterbringungsbeschluss erlassen werden. Und sie dürften das Quarantänegebäude dann ebenso wenig verlassen, wie man das Gefängnis verlassen darf. Und man kann sie dort mit Gewalt festhalten? Gusy: Die Polizei dürfte sie festhalten. Wie ist es mit Schadensersatz? Beispielsweise für Verdienstausfälle? Gusy: Es gibt Entschädigungen für Personen, die keine Ansteckungsträger sind. Also wenn der Verdacht, sie seien Virusträger, sich nicht bestätigt. Dann bekommen sie Ersatz für nachgewiesene Schäden. Rechnen Sie damit, dass die Debatte über solche Gesetz in Gang kommen wird, wenn sich das Virus weiter ausbreitet? Gusy: Das hängt vom Ausbreitungsgrad ab. Notgesetzgebung kommt dann, wenn die Not am größten ist. Im Moment sehe ich das nicht. Aber wenn es zu dramatischen Entwicklungen kommen sollte, halte ich es für möglich, dass neue Gesetze erlassen werden. Wir sollten den Teufel aber nicht an die Wand malen.

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