Stern über Hambi-Land: Weihnachtsprotest im Forst

Kerpen. Weihnachten? Da muss der junge Mann mit der Punk-Frisur doch ein wenig lachen. &bdquo;Anarchie und Christentum – das passt nicht wirklich zusammen”, sagt er und schüttelt mit dem Kopf. &bdquo;Vor ein paar Tagen haben einige Aktivisten im Wald ein paar Weihnachtsmänner und Sterne aufgehängt. Das ist aber von anderen gleich wieder abgerissen worden – glücklicherweise.” Weihnachten hat’s nicht leicht im Hambacher Forst. Und wer danach sucht, auch nicht. Eine Viertelstunde zuvor, im Zelt der Mahnwache an der L257 zwischen Buir und Morschenich: &bdquo;Was ist los mit Euch? Wo seid Ihr denn?”, ruft eine ältere Dame. &bdquo;Ist Euer Handy kaputt, oder was? Ich habe den Kofferraum voll mit Kürbissuppe! Oder habt Ihr keinen Hunger?”, herrscht sie den bärtigen Journalisten an, der ein wenig verloren zwischen flatternden Fahnen und Transparenten in der Landschaft steht. Ein Missverständnis. &bdquo;Ich bin kein Aktivist”, sagt der Journalist. &bdquo;Egal, kannst trotzdem was mitessen”, sagt die Frau und macht ihre Kofferraumklappe auf. Kürbissuppe für die Protestler Beate und Ingrid, zwei Rentnerinnen aus Heinsberg, kommen regelmäßig hierher, um die Aktivisten im Hambacher Forst mit Essen zu versorgen. Im Kofferraum stehen nicht nur zwei große Töpfe mit Kürbissuppe, sondern auch ein paar Kisten mit Obst und Gemüse. Nach und nach kommen tatsächlich ein paar Aktivisten in die Mahnwache geschlendert. Beate und Ingrid werden herzlich begrüßt. Man kennt sich. Echtnamen werden allerdings nicht genannt, auch nicht untereinander. Die, die sich hier am Suppentopf bedienen, heißen Erle und Igel. Und Zeppel, der junge Punker. &bdquo;Eine Vorsichtsmaßnahme”, erklärt Igel. &bdquo;Wenn keiner was weiß, kann auch nichts zur Polizei durchdringen.” &bdquo;Wenn Du willst, nehm’ ich dich jetzt mit in den Wald, da kann ich dir ein paar Barrios zeigen – so nennen wir hier die verschiedenen Baumhaus-Siedlungen”, sagt Erle und wischt sich die Kürbissuppe aus dem Bart. Gesagt getan. Am &bdquo;Jesus Point” – früher stand an dieser Stelle mal ein großes Kreuz – weist Erle in einen kleinen Stichweg. &bdquo;Dort geht’s zum Flint Barrio, das ist die Siedlung der Lesben, Schwulen und Transsexuellen”, sagt er. &bdquo;Aber für dich ist es wahrscheinlich in Oaktown am interessantesten – da stehen ein paar coole Häuser.” Wie viele Aktivisten leben hier eigentlich insgesamt? &bdquo;Sehr schwer zu sagen. Das ist ein Kommen und Gehen. Und ehrlich gesagt: Wir wollen es nicht wissen und vor allem nicht sagen. Zu viel Information.” Mit diesen Worten verabschiedet sich Erle in eine andere Richtung. Weihnachten? Wir sind hier im Hambi-Land Aus Richtung Oaktown kommen ein Mann und eine Frau über den Trampelpfad, die nicht nach Baumbewohnern aussehen. Und tatsächlich: &bdquo;Hallo, wir sind Journalisten von der Bild – vielleicht kannst du uns sagen...”, ergreift die Frau das Wort. Schon wieder ein Missverständnis. &bdquo;Sind wieder einige Häuser dazugekommen – im Sommer waren es weniger”, sagt der Mann. Aber Weihnachten? Beide schütteln den Kopf. &bdquo;Wir sind hier in Hambi-Land.” Schon weit vor Oaktown hallen Hammerschläge durch den Wald. In luftiger Höhe steht eine Frau in einem Baum und vertäfelt die Wand ihres Baumhauses. &bdquo;Keine Fotos!”, ruft sie hinab, als sie die Kamera sieht. Auch nicht von der abenteuerlichen Abseilaktion? &bdquo;Nein, und auch nicht von hinten!”, macht sie deutlich. Eine Fahne mit Anarcho-Stern In Oaktown verhält es sich ähnlich. Immerhin: Die spektakulären Baumhäuser und Brücken dürfen fotografiert werden. Dazwischen hängen zahlreiche Fahnen und Transparente mit anarchistischen Botschaften und Symbolen, vorzugsweise Sterne. Einen Steinwurf entfernt erhebt sich ein großer Turm in den Himmel. Der gehört allerdings schon zum Lager &bdquo;Lluna”, gegründet von Katalanen. Auch hier weht eine Fahne mit Anarcho-Stern. &bdquo;Kaffee?”, fragt eine junge Frau, die sich unter dem Turm an einem Feuerchen wärmt. Gerne. Name? Alter? Herkunft? Alles geheim. &bdquo;Ist nichts Persönliches”, sagt die Frau mit französischem Akzent. &bdquo;Aber wenn’s keine Infos gibt, kann auch die Polizei nichts erfahren.” Schon klar. &bdquo;Willst du vielleicht mal in den Turm klettern?” Guter Vorschlag. Erstaunlich stabil ist das Gebäude. Und mit echten Fenstern in den Rahmen. Fast wohnlich. &bdquo;Manche haben sogar einen Ofen”, erzählt die junge Frau. Sie persönlich habe mit der Kälte allerdings kein Problem. &bdquo;Man gewöhnt sich dran”, beteuert sie – um gleich darauf einen ziemlichen Hustenanfall zu bekommen. Anarchismus ist schwer, sogar im Kleinen Geht’s hier eigentlich mehr um Umweltschutz oder mehr um Anarchismus? &bdquo;Beides”, sagt die Frau. &bdquo;Es ist eine Art Experiment. Wir wollen hier im Kleinen ein Modell testen, das eine Alternative für die Menschheit sein könnte. Im Einklang mit der Natur.” Und Igel, der auf einmal wieder auftaucht, betont: &bdquo;Es geht hier nicht um individuellen, sondern um kollektiven Anarchismus.” Will heißen: keine Hierarchie. Igel gilt als ältester Aktivist im Wald. Sein Alter verrät er natürlich nicht, aber die 60 dürfte er schon erreicht haben. Und er weiß: &bdquo;Anarchismus ist schwer, sogar im Kleinen.” Ein letzter Versuch: Wie ist es hier mit Weihnachten? Igel druckst ein wenig herum. &bdquo;Am 24. Dezember gibt’s eine Feier im Wald”, sagt er letztlich. &bdquo;Aber wir nennen das hier nicht Weihnachten.” Am Ende tauchen auch Beate und Ingrid wieder auf, im großen Zelt an der L 257. Ihre Kürbissuppe hat überall im Wald dankbare Abnehmer gefunden. Die beiden Frauen unterhalten sich mit Zeppel. &bdquo;Willst du an Heiligabend vielleicht zu mir kommen? Ich habe auch noch ein paar andere eingeladen”, fragt Beate. Verstohlen schaut der Punker Richtung Journalist. Dann wieder zu Beate. &bdquo;Ich melde mich”, sagt er.

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