Interview mit Ex-Landesrabbi: "Echo macht Antisemitismus salonfähig"

Herr Brandt, derzeit wird viel diskutiert über neu aufbrandenden Antisemitismus in Deutschland. Erleben Sie das Problem persönlich auch?Henry Brandt: Ehrlich gesagt kann ich in diesen Chor nicht einstimmen. Zumindest aus Augsburg und Bielefeld, die beiden Städte, die ich gut kenne, habe ich nichts über besonderen Zwischenfälle erfahren. Das konzentriert sich auf Großstädte, besonders auf Berlin. Und auch dort ist die Situation nicht explosionsartig anders geworden, sondern hat sich lange angebahnt. Und hat sich jetzt durch die Massenzuwanderung von jungen Menschen aus arabischen Ländern noch einmal potenziert. Viele haben die Israelfeindlichkeit, die sie von Judenfeindlichkeit nicht unterscheiden können, gewissermaßen mit der Muttermilch eingesogen. Das Risiko hätte man von Anfang erkennen können. Was hätte man tun können?Brandt: Im Grunde gar nichts. Sie können Leute nicht innerhalb weniger Wochen umpolen. Auch mittelfristig nicht. Das verhindert die Zahl der Menschen, die hier sind und der weiter schwelende Konflikt im Nahen Osten. Die einfache Beschwörung, dass die Menschen die Werte des Westens akzeptieren müssten, ist Wunschdenken. In jüngster Zeit gibt es Berichte über antijüdische Vorfälle in Schulen. Was ist da zu tun?Brandt: Ich habe so etwas in meinen Gemeinden nicht erlebt, aber es existiert. Und dort muss entschieden von Seiten der Schulleitungen gehandelt werden. Hier darf es Null Toleranz geben. Auf dem Schulhof müssen alle Schüler, auch die Moslems, sicher sein. Gerade dort muss die Erziehung zu gegenseitiger Toleranz und Akzeptanz stattfinden. Wenn nicht in der Schule, wo dann? Was raten Sie jungen Juden in Deutschland?Brandt: Die Frage legt nahe, dass junge Juden hier nicht friedlich und gut leben können. Das ist nicht so. Es gibt Zwischenfälle, jeder einzelne ist einer zuviel und muss ernst genommen werden. Aber das ist nicht das Gesamtbild und die Erfahrung von jüdischen Menschen in Deutschland heute. Das muss man einmal klar sagen, weil es in dem Getöse etwas untergeht. Ich kann jüdischen jungen Menschen nur sagen, sie sollen selbstbewusst und selbstverständlich ihr Recht in Anspruch nehmen, hier als Bürger dieses Landes nach den hier geltenden Werten zu leben, sie einzufordern, wo möglich auch im Dialog und Austausch mit muslimischen Menschen. Denn in vielen Fällen sind Unkenntnis und übernommene Vorurteile ja der Grund der Ablehnung. In heute der jüdisch-muslimische Dialog besonders wichtig?Brandt: Ja. Er wird nicht alles lösen, aber vielleicht eine gewisse Schicht muslimischer Bürger bewegen, sich auch in dieser Hinsicht zu integrieren. Wird Judenfeindlichkeit nur durch Zuwanderung zum Problem in Deutschland?Brandt: Die mit dem Nahostkonflikt verbundene Judenfeindlichkeit ist nur eine Facette, die es zu Zeiten der Nazizeit noch gar nicht gab. Die alte Judenfeindlichkeit ist noch immer präsent, wo man auch hinschaut - auch in der deutschen Gesellschaft. Das wurde gerade wieder bewiesen mit der Verleihung des Musikpreises Echo an zwei Rapper, die in ihren Texten Holocaustopfer verhöhnen. Was sagen sie dazu?Brandt: Ich finde das absolut unsäglich. Schon die Texte, aber vor allem, dass so etwas prämiert wird. Das ist schlimmer als der Text selbst. Und fördert Antisemitismus?Brandt: Der Text selbst macht keine neuen Antisemiten. Aber er fördert die Idee, dass so etwas heute salonfähig ist, dass es als Bagatelle zu erachten ist. Und dass man die Würde anderer Menschen mit Füßen treten darf und das dann als Kunst bemäntelt. Die Bertelsmann-Tochter BMG hat lange an Kollegah und Farid Bang festgehalten. Erst spät hat man die Zusammenarbeit dann doch ausgesetzt. Was erwarten Sie von Unternehmen in einer solchen Situation?Brandt: Ich hätte von denen erwartet, dass sie sofort tätig werden. Dass es erst den Druck der Öffentlichkeit bedarf, zeugt von der Einsicht des Feiglings. Aber der Vorfall steht nicht exemplarisch für die deutsche Gesellschaft?Brandt: Nein. Auch das möchte ich mal gesagt haben: Als Jude weiß und fühle ich, dass wir viele Freunde haben und dass heute die Gesamtreaktion der Gesellschaft eine andere ist und wäre als in den unsäglichen Jahren der 30er. Das ist nicht das gleiche gesellschaftliche Klima.

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