Datenschutzexpertin: "Sind in Überwachungsgesellschaft geschlittert"

Der Negativpreis &bdquo;Big-Brother-Award" für Datenmissbrauch wird am 20. April verliehen - erstmals im Bielefelder Stadttheater. Datenschutzexpertin Sarah Spiekermann erklärt im Interview, wie es zu Vorratdatenspeicherung und Cambridge Analytica kommen konnte und welche Auswege es gibt. Frau Spiekermann, das BKA beklagt, es habe 2017 etwa 8.400 Fälle von Kinderpornografie nicht klären können, weil die Regeln zur Vorratsdatenspeicherung zu streng seien. Sie beschäftigen sich mit ethischen Fragen der Digitalisierung. Ist Datenschutz hier unethisch?Sarah Spiekermann: Die Zahlen decken sich nicht mit denen, die mir bekannt sind. Vor dem Europäischen Gerichtshof haben Ermittler begründen müssen, wofür sie die Vorratsdatenspeicherung brauchen. Und da kamen sie unter Eid auf ganz wenige Fälle, wo die Vorratsdatenspeicherung nachweislich zur Aufklärung von Verbrechen geführt hat. Datenschutz ist also nicht Täterschutz, wie oft kritisiert wird.Spiekermann: Es stimmt, dass Sicherheitsbehörden Zugriff haben müssen auf Daten, die sie für Ermittlungen brauchen – in begründeten Fällen, wenn es um Verbrechen und innere Sicherheit geht. Das ist meines Erachtens gewährleistet. Davon unterscheiden müssen wir aber den riesigen Markt der kommerziellen Datennutzung. Firmen wie Oracle haben Hunderte von Millionen Daten über alle Bürger gesammelt. Diese Daten, die weit über das hinaus gehen, was Sicherheitsbehörden erfahren können, werden systematisch gegen uns verwendet. Inwiefern?Spiekermann: Sie werden für alles verwendet. Sie werden verkauft an Versicherungsunternehmen, die damit errechnen, wie teuer unsere Policen sind; an Banken, die unsere Kreditrahmen festlegen; an Arbeitgeber, die sie in Bewerbungsverfahren systematisch auswerten; an PR-Firmen, die sie in grotesker Weise nutzen, um Wahlen zu manipulieren. Sie spielen an auf den Facebook-Skandal, bei dem Hunderttausende Daten an Cambridge Analytica weitergegeben wurden – eine Firma, die im US-Wahlkampf für Donald Trump gearbeitet hat?Spiekermann: Ja. Und das ist nur die Spitze des Eisbergs. Wir haben es zugelassen, dass weltweit solche Märkte entstanden sind. Und wachen nicht einmal auf, wenn plötzlich für einen wie Trump gestimmt wird oder für den Brexit. Wir sind in eine Überwachungsgesellschaft geschlittert, ohne es zu merken. Wie konnte das passieren?Spiekermann: Firmen wie Facebook organisieren unsere Kommunikation. Kommunikation ist das wichtigste, was wir zwischenmenschlich haben, und sie funktioniert nur im Vertrauen. Wir benutzen unsere Fitness-Armbänder, unsere Computer, unsere Smartphones in völligem Vertrauen. Wie sehr dieses Vertrauen missbraucht wurde und wird, wissen die meisten Menschen nicht – weil das im Hintergrund abläuft und nicht sichtbar ist. Die Gesellschaft wird sich dessen erst ganz langsam bewusst. Eine massenhafte Abkehr von Facebook oder Whatsapp gibt es aber trotz aller Skandale nicht. Wundert Sie das?Spiekermann: Nein. Der Zugang zu elektronischer Kommunikation ist inzwischen fast so wichtig wie der zu Elektrizität oder Wasser. Da kann man nicht einfach aussteigen, ohne sich in die soziale, manchmal auch geschäftliche Isolation zu begeben. Gibt es gleichwohl einen Weg zurück aus der Überwachungsgesellschaft?Spiekermann: Davon bin ich überzeugt. Wir können die bestehende IT-Infrastruktur noch immer so umbauen, dass sie wieder den Bürgern dient. Ein Beispiel: Facebook könnte ein Bezahlmodell anbieten, in dem für ein paar Euro im Jahr eine datenschutzfreundliche Kommunikation zugesichert würde. Hier sollte die europäische Politik Druck aufbauen. Warum wird Facebook kein Ultimatum gestellt: Ihr entwickelt so einen Bezahldienst innerhalb der nächsten drei Monate, sonst schalten wir euch ab? Und auch neue Entwicklungen wie das selbstfahrende Auto oder ein Smart-Home können von vorneherein so entwickelt werden, dass sie auf den Schutz der Bürger ausgerichtet sind. Haben Sie selbst eine Smart-Watch, die beispielsweise ihr Fitness-Programm überwacht?Spiekermann: Niemals.

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