Bielefeld

„Landärzte brauchen Anreize“
19.02.2016 | 19.02.2016, 06:00
Sachverständiger im Gesundheitswesen: Wolfgang Greiner von der Universität Bielefeld. - © Schmidt-Domine
Sachverständiger im Gesundheitswesen: Wolfgang Greiner von der Universität Bielefeld. | © Schmidt-Domine

Im SVR-Gutachten, das Sie mit verfasst haben, wird ein Zusammenhang zwischen der Arztdichte und dem Anteil an Privatpatienten in der Bevölkerung beschrieben. Ist die Zweiklassenmedizin ein Grund für die ungleiche Versorgung in den Regionen?

WOLFGANG GREINER: Das Thema ist etwas zu komplex, um es in wenigen Zeilen zu umreißen. Tatsache ist, dass gerade da, wo ohnehin schon viele Ärzte sind (also in den Ballungsräumen) zusätzlich noch Anreize zur Niederlassung durch eine höhere Privatpatientendichte bestehen. Man sollte diesen Effekt aber nicht überschätzen. Es gibt andere Gründe, das Nebeneinander von PKV und GKV zu verändern, insbesondere die zukünftige Finanzierungsproblematik.

Wie meinen Sie das?

GREINER: Es geht vor allem um Zusatz-Versicherungsschutz, wenn die GKV irgendwann angesichts der Beitragssatzentwicklung keine volle Abdeckung der Krankheitskosten mehr leisten könnte. Für untere Einkommensgruppen könnte immer noch eine volle Abdeckung vorgesehen sein, für höhere Einkommensgruppen würden aber z.B. nur 80 Prozent der Kosten übernommen. Der Rest ist privat abzusichern.

Zentrale Rolle: Der Hausarzt ist im deutschen Gesundheitswesen das vielleicht wichtigste Kernelement. FOTO: DPA - © Verwendung weltweit
Zentrale Rolle: Der Hausarzt ist im deutschen Gesundheitswesen das vielleicht wichtigste Kernelement. FOTO: DPA | © Verwendung weltweit

Im Gutachten wird ein Vergütungszuschlag von 50 Prozent für Landärzte angeregt, um Mediziner in unterversorgte Regionen zu locken? Was wurde daraus?

GREINER: Das ist im Gesetz so nicht umgesetzt worden. Stattdessen wurden gesetzlich andere zusätzliche finanzielle Anreize für Regionen verankert, in denen eine Ansiedlung derzeit schwer ist. Ob die Kassenärztlichen Vereinigungen davon Gebrauch machen, wird man abwarten müssen.

Verdienen Hausärzte auf dem Land tatsächlich schlechter?

GREINER: Im Durchschnitt verdienen sie nicht schlechter als die in den Ballungsräumen. Allerdings müssen sie dafür in der Regel wesentlich länger arbeiten.

Warum weisen die KVen nicht einfach Ärzte nur in unterversorgte Bereiche zu?

GREINER: Die KVen vergeben die Zulassungen, allerdings sind sie an Recht und Gesetz gebunden. Wenn es freie Sitze gibt, können die auch in überversorgten Gebieten wiederbesetzt werden. Deshalb der Vorschlag, bei hoher Überversorgungsquote die Arztsitze aufzukaufen, um diese nicht wieder zu besetzen. Das läuft an. Noch sind die Zahlen nicht sehr hoch.

Viele Ärzte wollen lieber in Krankenhäusern angestellt arbeiten, als sich nieder zu lassen.

GREINER: Auch Krankenhäuser haben einen hohen Bedarf an jungen Ärzten. Im stationären Sektor ist in den letzten Jahren am meisten an Ärzten dazu gekommen. Mit dem Ziel, in ländlichen Regionen effizientere und leistungsfähigere Strukturen auf hohem Qualitätsniveau zu schaffen, bietet sich der Weg einer Zusammenfassung gesundheitlicher Versorgungsangebote an einem zentralen Ort an.

Wie kann das aussehen?

GREINER: Vorgeschlagen werden „Lokale Gesundheitszentren zur Primär- und Langzeitversorgung“ (LGZ), die im Rahmen einer regional vernetzten Versorgung eine Versorgung auf qualitativ hohem Niveau ermöglichen. Zugleich bieten sie jungen Ärzten und Pflegekräften attraktive (Teilzeit)-Arbeitsplätze. In LGZ können Belastungen durch Bereitschaftsdienste und Notfallversorgung auf mehrere Schultern verteilt werden. Flankiert durch Kinderbetreuung und gezielte Maßnahmen zur besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf kann ein LGZ die Attraktivität einer Tätigkeit im ländlichen Raum für Ärzte, Pflegekräfte und weiteres medizinisches Fachpersonal deutlich erhöhen. Auf der Basis zusätzlicher Mittel („Landarztzuschläge“) könnten Ärzten und Pflegenden deutlich höhere Vergütungen angeboten werden. Auf diese Weise wird es für junge Ärzte, die in Ballungszentren wohnen wollen oder müssen, attraktiv, für umschriebene Zeiträume „Außeneinsätze“ in ländlichen Regionen zu absolvieren.

Bringt für die Region OWL die universitäre Ausbildung in Minden-Herford etwas? Gibt es den Klebeeffekt?

GREINER: Nach unseren Berechnungen wird dieser „Klebeeffekt“ eher überschätzt. Dies gilt insbesondere für Hausärzte und um die geht es ja vor allem.

Im Gutachten ist auch von einer Steuerung der Inanspruchnahme von Ärzten die Rede. Letzter Versuch war die Praxisgebühr, die gefloppt ist.

GREINER: Die Praxisgebühr war durchaus effektiv, blieb aber hinter ihren Möglichkeiten zurück.

Sie war effektiv? Die Zahl der Arztbesuche ist doch nicht spürbar zurück gegangen.

GREINER: Da gibt es unterschiedliche Erhebungen. Ganz ohne Steuerungswirkung war die Praxisgebühr jedenfalls nicht. Allerdings war der Effekt gemessen am Aufwand verhältnismäßig klein. Besser wäre gewesen, die Gebühr an zusätzliche Arztbesuche zu binden statt das als „Flatrate“ nach dem ersten Besuch auszugestalten.

Es gibt einen Trend zur Subspezialisierung. Warum?

GREINER: Es gibt mittlerweile 82 Fachgebiete und Schwerpunktbezeichnungen. Das hängt stark damit zusammen, dass das Wissen in der Medizin immens gestiegen ist und es immer mehr Spezialisten braucht, um in einem Fachgebiet weiter auf dem Laufenden zu sein. Im Zuges dessen ging der Anteil der Hausärzte zurück: 2013 erfolgten nur noch 10 Prozent aller Abschlüsse im Fach Allgemeinmedizin bzw. Allgemeinmedizin und Innere Medizin, obwohl die Hausärzte immer noch etwa 40 Prozent der niedergelassenen Ärzte ausmachen. Deshalb findet nur etwa jeder zweite Hausarzt einen Nachfolger.

Die Allgemeinmedizin ist unterrepräsentiert im Studium. Was sind die Gründe?

GREINER: Erstens hatte das Fach Allgemeinmedizin früher nicht die Präsenz, Bedeutung und Attraktivität im Medizinstudium, die wünschenswert gewesen wären. Neue Lehrstühle für Allgemeinmedizin werden helfen, diesen Mangel abzubauen. Zudem empfinden junge Ärzte die Niederlassungs- bzw. Arbeitsbedingungen, insbesondere als „Einzelkämpfer“ im ländlichen Raum, vielfach als unattraktiv. Sie haben teilweise Angst vor Überforderung angesichts eines breiten Aufgabenspektrums.

Haus- und Kinderärzte werden im Vergleich mit Fachärzten deutlich schlechter honoriert. Warum wehren sich diese Mediziner nicht innerhalb der KVen oder warum steuert die KV nicht gegen?

GREINER: Das kommt sehr auf den Einzelfall an, aber im Durchschnitt haben Sie Recht. Eine der Konsequenzen ist, dass die Gesetzgebung in den letzten Jahren dazu übergangen ist, die Hausärzte speziell zu fördern, indem zum Beispiel ihre Vertretung in den Gremien der KV gestärkt wurden. letztlich geht es auch in KVen um Mehrheiten. Die haben die Hausärzte vielfach an die Fachärzte verloren.

INFO

Wolfgang Greiner ist Inhaber des Lehrstuhls für „Gesundheitsökonomie und Gesundheitsmanagement“ an der Uni Bielefeld. Er sitzt im Sachverständigenrat zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen beim Gesundheitsministerium.