Gütersloh. Wieder geht bei Bertelsmann eine Ära zu Ende: In einem "geordneten Rückzug" gibt der Medienkonzern sein Direktgeschäft, das heißt den Verkauf von Lexika und anderen Wissenswerken an der Haustür, auf. Auch für den Verlag Wissenmedia kommt das Aus. Davon betroffen ist ein Großteil der 300 Mitarbeiter, davon knapp 190 in Gütersloh, sowie rund 300 selbstständige Handelsvertreter. Sie erhalten ihre Kündigung. Spätestens im Jahr 2020 wird es keine aktuelle Brockhaus-Enzyklopädie mehr geben - jedenfalls nicht in gedruckter Form.
Schon seit rund zehn Jahren gehe die Zahl der Neukunden kontinuierlich zurück, erklärt Fernando Carro. Er ist bei der Bertelsmann SE seit 2011 zusätzlich zu den Buchclubs auch zuständig für das Direktgeschäft. Zu dieser Sparte mit dem Titel Inmedia-One gehört neben dem Direktgeschäft auch der Verlag Wissenmedia.
Nicht nur die Neukunden fehlen, erschwerend kommt für Inmedia-One hinzu, dass auch die Bestandskunden nur begrenzt weitere Produkte kauften. "Der Druck auf diese Kunden ist größer geworden", sagt Carro. Die Lexikonreihe habe als Türöffner gedient, anschließend habe man den Kunden weitere Wissenswerke angeboten, auch aufwendige Nachdrucke alter Handschriften, sogenannte Facsimiles wie das Krönungsevangeliar Karls des Großen.
Zu wenig verkaufte Exemplare
"Auch wenn die Produkte sehr gut gemacht sind, können sie heute nicht mehr in den für den wirtschaftlichen Betrieb des Unternehmens notwendigen Stückzahlen verkauft werden", bedauert Kurt Bisping. Bisping war bislang kaufmännischer Geschäftsführer und übernimmt die Abwicklung von Inmedia-One nun im Alleingang. Die bisherigen weiteren Geschäftsführer Christoph Hünermann und Steffen Böning sollen Carro künftig bei strategischen Projekten unterstützen.Bereits Ende Mai hat Bertelsmann die bisherige Praxis aufgegeben, Bücher an Schulkinder zu verschenken und so an die Adressen der Eltern zu kommen. Zwar habe Bertelsmann in zwei Prozessen vor dem Landgericht und Oberlandesgericht recht bekommen, dennoch gab es deshalb immer wieder Ärger. "Wir haben entschieden, dass dieses Generieren von Adressen nicht zu Bertelsmann passt."
Dies sei nicht der Anlass dafür gewesen, den Direktvertrieb ganz einzustellen, stellt Carro klar.
Richtig sei aber, dass der Wissenmedia-Verlag ohne die stützende Säule des Direktvertriebs nicht lebensfähig ist. Folgerichtig wird der Verlag Ende dieses Jahres eingestellt, schon ab Frühjahr 2014 wird es kein aktuelles Programm mehr geben. Das Aus für den Direktvertrieb selbst folgt dann Mitte 2014. Die gegenüber den Kunden eingegangenen Verpflichtungen würden weiter erfüllt, versichert Carro. Rund sechs Jahre soll das Geschäft noch auslaufen. Dafür, so die Schätzung, benötige man rund 50 bis 60 der derzeitigen Angestellten von Inmedia-One.
In Betriebsversammlungen sind die Mitarbeiter gestern Nachmittag über den Schritt informiert worden, der auf Vorstandsebene getroffen worden ist. Betriebsrat und Geschäftsführung entwickelten nun einen Sozialplan, sagt Bisping. Außerdem könnten Mitarbeiter in die Bertelsmann-Transfergesellschaft wechseln.
Inmedia-One war 2001 aus dem Bertelsmann-Direktvertrieb mit seiner Lexikothek hervorgegangen, es blieb bis 2011 der Arvato AG zugeordnet. 2008 verkündete Bertelsmann stolz die Übernahme des Brockhaus-Verlages mit allen Buchbeständen und Inhalten des Lexikons. Namen und Marke Brockhaus, unter der verschiedene Buchreihen firmieren, will Bertelsmann im Übrigen erhalten.
Das Lexikon wird es möglicherweise weiterhin online geben - als Brockhaus-Wissens-Service für einen überschaubaren, begrenzten Kundenstamm. Meinungsbörse
INFORMATION
Wirbel um Thomas Hesse
- Der Medienkonzern Bertelsmann hat einen Bericht zurückgewiesen, wonach der Vertrag von Vorstandsmitglied Thomas Hesse nicht verlängert werden soll. "Ich dementiere das", sagte Bertelsmann-Sprecher Andreas Grafemeyer und sprach von "unhaltbaren Spekulationen". Thomas Hesse habe sein Amt als Beauftragter für Unternehmensentwicklung und Neugeschäfte erst im Februar 2012 angetreten. Er gilt als Vertrauter von Vorstandschef Thomas Rabe.
- Das Handelsblatt hatte unter Berufung auf Aufsichtsratskreise berichtet, Hesse sei bei Bertelsmann-Matriarchin Liz Mohn in Ungnade gefallen. Sie soll sich an der Selbstinszenierung des Managers gestört haben. Der Aufsichtsrat werde den Dreijahresvertrag von Hess nicht verlängern. Traditionell werden die Verträge der Bertelsmann-Vorstände bereits ein Jahr vor Ablauf verlängert – oder eben nicht.