Mähdrescher fürs Wohnzimmer

Landtechnikkonzerne und Spielzeugfirmen registrieren einen ungewöhnlichen Boom

25.12.2011 | 25.12.2011, 00:00
Mähdrescher fürs Wohnzimmer - © WIRTSCHAFT
Mähdrescher fürs Wohnzimmer | © WIRTSCHAFT

Bielefeld/Harsewinkel. Langsam fährt der hellgrüne Traktor mit dem Dreiachs-Anhänger unter den Kornauslauf des Lexion-Mähdreschers. Weizen wird abgetankt, zum Hof gefahren. Danach werden Kekse gegessen.

Anders als unter freiem Himmel herrschen bei Constantin (9) im Kinderzimmer ganzjährig optimale Erntebedingungen. Auch der Absatz der hellgrünen Maschinen-Modelle, mit denen der Grundschüler spielt, läuft mehr als optimal. Früher Nischen-Spielzeug, haben Trecker, Mähdrescher und Co. mehr als nur die Kinderzimmer erobert.

Information

Marktführer

  • Der Absatz der Miniatur-Maschinen, die meist bis zum Maßstab 1: 16 angeboten werden, orientiert sich laut Siku "in etwa an den Marktanteilen der Landtechnikhersteller".
  • Bei Mähdreschern, Feldhäckslern, Pressen und Futtererntetechnik liegt der ostwestfälische Familienkonzern Claas europaweit vorn.
  • In der aktuellen deutschen Zulassungsstatistik belegen die bis zu 550 PS starken Traktoren aus dem französischen Le Mans und aus Harsewinkel mittlerweile den fünften Platz – Tendenz weiter steigend.

"Das ist Technik, die vor allem Jungs wegen ihrer Stärke begeistert", erklärt Referent Steffen Kahnt vom Bundesverband Technik des Einzelhandels. Deshalb übersteige die Regalfläche der Agrartechnik im Handel den Bevölkerungsanteil der Landwirte um ein Mehrfaches. Tendenz weiter steigend: "Seit dem Jahr 2002 ist es so, als wären in diesem Bereich die Schleusen aufgegangen", skizziert Oliver Aust, beim Landtechnikkonzern Claas Produktmanager für Modelle und Spielzeug, die Entwicklung.

Gängigste Größe ist der Maßstab 1:12

15 bis 20 Modelle aus allen Jahrzehnten gibt es, parallel werden 12 Traktoren und Mähdrescher für Kinder angeboten. Gängigste Größe ist der Maßstab 1:32. Dazu kommen Sammlermodelle, die Details wie farbige Rücklichter, Rundumleuchten oder Hydraulikanschlüsse besitzen und in limitierten Stückzahlen von 1.000 bis 3.000 Exemplaren hergestellt werden.

Constantin spielt mit dem Bauernhof, dessen Maschinen aber längst kein Kinderkram mehr sind. - © FOTO: DORIS LÜDEKING
Constantin spielt mit dem Bauernhof, dessen Maschinen aber längst kein Kinderkram mehr sind. | © FOTO: DORIS LÜDEKING

Doch wer kauft die Modelle? "Das sind sehr häufig keine Landwirte, sondern Menschen, die etwa bei einer Autofahrt eine Landmaschine sehen und sich für die Technik begeistern. Sie wissen natürlich, dass sie selbst eine solche Maschine nicht nutzen können, möchten aber das Modell besitzen."

Und dann gibt es die Sammler, weiß Oliver Aust. Sie sind weltweit verstreut. "Sie kennen alle Details. Ihnen ist die Detailtreue wichtig, der Preis ist sekundär." Mit teils immensen Preissteigerungen: So werden für Modelle aus den 80er Jahren, die einst zehn Euro kosteten, in Sammlerkreisen teils mehr als 300 Euro gezahlt. Daneben hat die Miniatur-Trecker-Flotte im Hause Claas einen unbezahlbaren Nebeneffekt: Nachwuchs-Landwirte werden frühzeitig auf die Marke geprägt.

Andrang auf der Spielwarenmesse

Bei den Besuchen auf der Nürnberger Spielwarenmesse herrsche bei den Traktoren und Mähdreschern immer Andrang. "Es hat den Anschein, als habe die Landtechnik die Modelleisenbahn verdrängt."

Beim Claas-Mitbewerber John Deere, der 130 Landtechnik-Modelle aus den vergangenen 90 Jahren im Sortiment hat, beobachtet Ralf Lenge, Manager des John-Deere-Forums in Mannheim, eine ähnliche Entwicklung: "Gerade durch die Fernsteuerungen bei den 1:32-Traktoren gibt es andere Möglichkeiten als früher. Die Traktoren samt Arbeitsgeräten oder Wagen lassen sich überall fahren, und sie passen in jede Vitrine."

Das Lüdenscheider Familienunternehmen Siku mit seinen 700 Mitarbeitern ist Hersteller dieser funkferngesteuerten Modelle – und wohl Marktführer bei Agrar-Spielzeug. Mehr als zehn Millionen Fahrzeuge laufen jährlich vom Band, rund 40 Prozent sind Agrar-Modelle. Das Unternehmen erhält oft schon vor der offiziellen Markteinführung neuer Traktoren die CAD-Daten, wie Siku-Marketing-Chef Thomas Kalkuhl erklärt.

Traktoren aus China

Vor Ort vermessen werden historische Traktoren, für die es keine Pläne mehr gibt. Die Daten werden elektronisch in Gussformen umgesetzt. Während Anhänger in Deutschland gegossen und montiert werden, kommen Traktoren aus China.

Bis zur Einführung, so Oliver Aust, dauert es wegen der ausgelasteten Kapazitäten mittlerweile bis zu eineinhalb Jahren. Die Kosten für die Spezialformen sind hoch: So können Gussvorlagen für einen Mähdrescher zwischen 150.000 bis 210.000 Euro kosten.

Bereits lange vorm Erscheinen neuer Modelle werden Spielzeug- und Modellhersteller kontaktiert, gleichzeitig gibt es vertragliche Abmachungen, dass nichts über neue große Traktoren und Mähdrescher nach außen dringen darf. Die Geheimniskrämerei ist Constantin aber egal, genauso wie der Name des Treckertyps, den er fährt. Entscheidend ist nur, dass das Vorbild möglichst stark ist.