Berlin. Weil bald einheimische Spezialisten fehlten, brauche Deutschland mehr Menschen von außen, sagt Raimund Becker, Vorstand der Bundesagentur für Arbeit im Gespräch mit Hannes Koch. Schon jetzt herrsche beispielsweise ein Mangel an Ärzten.
Herr Becker, Sie plädieren dafür, dass Deutschland Millionen zusätzlicher Einwanderer anwirbt. Warum?
RAIMUND BECKER: Wir müssen damit rechnen, dass im Jahr 2025 in Deutschland rund 6,5 Millionen Arbeitskräfte fehlen. Um den Wohlstand zu erhalten und die notwendigen Stellen in Krankenhäusern, Altenheimen und Industrieunternehmen zu besetzen, brauchen wir deshalb auch Menschen von außen.
Sehr viele Deutsche lehnen eine weitere Zuwanderung ab. Gehen Sie mit Ihren Vorschlägen nicht das Risiko ein, dass rechtspopulistische Strömungen oder Parteien Zulauf erhalten?
BECKER: Wir sollten objektiv an die Dinge herangehen. Was bringt es, wenn in den Krankenhäusern Ärzte fehlen und die Patienten nicht angemessen versorgt werden? Schon heute herrscht in diesem Beruf ein Mangel. Und in Zukunft wird sich diese Lage noch verschärfen. Wenn Mediziner aus anderen Ländern zu uns kommen, nehmen sie also keinem Deutschen einen Arbeitsplatz weg.
Wie könnte die Politik auf die ablehnende Stimmung reagieren?
BECKER: Man muss versuchen, mit rationalen Argumenten zu überzeugen. Angst vor Einwanderung haben ja häufig Menschen, die sich Sorgen um ihren Job machen. Das kann damit zusammenhängen, dass sie eher einfache Berufe mit geringeren Qualifikationen ausüben. Um diese Berufsgruppen geht es bei der Einwanderung, die wir brauchen, aber gerade nicht. Deutschland fehlen heute und in Zukunft vor allem Hochqualifizierte, Akademiker und spezialisierte Fachkräfte. Die Bundesagentur plädiert dafür, diese gezielt anzuwerben. Ein Verdrängungswettbewerb zu Ungunsten einheimischer Arbeitskräfte ist damit weitgehend ausgeschlossen.
Heute sind noch drei Millionen Menschen in Deutschland erwerbslos.Wieso wird diese Situation später in einen Mangel an Arbeitskräften umschlagen?
BECKER: Weil zu wenige Kinder geboren werden, und mehr Bürger in Rente gehen. Wenn parallel zu diesem Prozess das Wirtschaftswachstum wie bisher weiterläuft, braucht die Wirtschaft künftig viel mehr Menschen, als dann noch auf unserem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen. Den Effekt kann man teilweise heute schon beobachten. Vor zehn Jahren verließen jährlich rund 200.000 junge Leute die Schulen in den östlichen Bundesländern, heute sind es noch 120.000. In manchen Regionen suchen die Betriebe dringend nach Auszubildenden.
Ließe sich die Lücke nicht schließen, indem man gezielt einheimische Arbeitskräfte in den Mangelberufen ausbildet?
BECKER: Die Bundesagentur wird gern ihren Beitrag dazu leisten, einheimisches Potenzial für den Arbeitsmarkt besser zu erschließen. Wenn wir ältere Arbeitnehmer und Frauen stärker in den Arbeitsmarkt integrieren könnten, dann gewönnen wir damit im günstigsten Fall etwa zwei Millionen Fachkräfte.
Die kanadische Regierung veröffentlicht eine genaue Liste mit Berufen, die die Einwanderer beherrschen sollten. Wie stehen Sie dazu?
BECKER: Es wäre gut, wenn Deutschland einen Kriterienkatalog für Zuwanderer erstellen würde. Darin könnten kulturelle Merkmale wie beispielsweise Sprachkenntnisse enthalten sein, aber auch berufliche Anforderungen. Letztere sollten im Vordergrund stehen. Gegenwärtig würde ich Elektro- und Maschinenbau-Ingenieure, sowie Ärzte auf die Liste setzen.