Bielefeld. Wird die japanische Katastrophenserie die Weltwirtschaft in eine Krise stürzen? Droht eine neue Rezession? Ökonomen äußern sich derzeit nur unter Vorbehalt: Denn der Schaden, den ein Super-GAU in Japan anrichten könnte, ist noch nicht berechenbar. Neben dem drohenden menschlichen Leid gilt verschärfte Knappheit auf dem weltweiten Energiemarkt als eine wahrscheinliche wirtschaftliche Folge.
"Im schlimmsten Fall werden große Flächen im Nordosten Japans für lange Zeit unbewohnbar", befürchtet der Bielefelder Wirtschaftshistoriker Werner Abelshauser. Die ökonomischen Folgen der Atomkatastrophe träten dann in den Hintergrund, meint der Energie- und Rohstoffexperte Michael Bräuninger vom Hamburgischen Weltwirtschaftsinstitut HWWI.
Sehr große Kapital- und Wohlstandsverluste diagnostizieren die Experten schon heute für Japan. Doch nach einer kurzen Wachstumsdelle könnte in der zweiten Runde ein umso kräftigerer Aufschwung folgen. Abelshauser spricht vom "Rekonstruktionseffekt", wie er schon oft nach Krisen und Kriegen beobachtet wurde. "Die wirtschaftlichen Strukturen in Japan sind ja noch intakt, ein schneller Wiederaufbau und ein Wirtschaftsboom können folgen."
Japanisches Geld fehlt künftig im Rest der Welt
Erhöhte Wachstumsraten hält auch Bräuninger in Japan für möglich. Große kurzfristige Einbußen für die deutsche und europäische Wirtschaft sieht er hingegen nicht: Japan sei für die deutsche Exportwirtschaft kein so wichtiger Markt, und Japan habe in den vergangenen Jahren nur wenig zum Wachstum der Weltwirtschaft beigetragen.
Abelshauser gibt zu bedenken, dass japanisches Geld künftig verstärkt im eigenen Land investiert wird - und für die wirtschaftliche Entwicklung im Rest der Welt folglich fehlt.
Noch gravierender könnten aber die indirekten Folgen der japanischen Atomkatastrophe sein: Wenn die Japaner den Atomstrom ihrer zerstörten und unsicheren Meiler ersetzen müssen, wenn die Deutschen zum frühestmöglichen Atomausstieg zurückkehren und wenn vielleicht auch weitere Länder von der Kernenergie abrücken, dann werden fossile Energieträger weltweit noch stärker nachgefragt: "Öl wird sicher teurer, die Energiepreise steigen", prognostiziert Werner Abelshauser.
Atomkraftwerke seien nicht voll zu ersetzen
Energieexperte Bräuninger erwartet ebenfalls Nachfragesteigerungen für Gas, Öl und vor allem auch für Kohle. "Eine Verknappung auf den Energiemärkten und Preissteigerungen werden die Folge sein", sagt Bräuninger. Dies wiederum hätte negative Auswirkungen auf die globale Konjunktur. Dabei haben die Industrieländer nach seiner Überzeugung nur die Wahl zwischen den Risiken der Kernenergie und den Klimarisiken durch fossile Energieträger. Denn erneuerbare Energien seien noch nicht grundlastfähig, sprich: für eine zuverlässige Grundversorgung nur bedingt geeignet.
Allerdings seien die Atomkraftwerke, die in Japan derzeit 10 Prozent und in Deutschland 11 Prozent des Primärenergiebedarfs decken, weder hier noch dort kurzfristig voll zu ersetzen: "Die nötigen Kraftwerkskapazitäten fehlen und müssen erst aufgebaut werden. Das dauert mehrere Jahre", sagt Bräuninger. Deutschland sei im internationalen Vergleich am ehesten für den Ersatz der Atomenergie gerüstet.
Im Hinblick auf den von der Regierung Schröder geplanten Atomausstieg seien hier in den vergangen Jahren besonders viele Kohlekraftwerke genehmigt worden. Steinkohle, so glaubt Bräuninger, werde angesichts reichhaltiger Lagerstätten in Ländern wie Südafrika, Australien oder den USA wieder zum wichtigsten Rohstoff für Kraftwerke.
Kommentar: Bevor wir im Dreck ersticken
VON MARTIN KRAUSE
Es war im April 2010, vor nicht einmal einem Jahr, als die Havarie einer Ölbohrinsel den Golf von Mexiko verseuchte. Die Welt erkannte, dass die Ölsuche unter der Meeresoberfläche ein ökologisches Vabanquespiel ist, ein nicht verantwortbares Risiko.
Die Ölpest, die lange für Diskussionen sorgte, wird heute von der nuklearen Katastrophe in Japan in den Schatten gestellt. Werden wir also künftig doch auf Kernkraft verzichten, um wieder vermehrt auf fossile Energieträger zu setzen? Öl, Gas und Kohle verbrennen, bereit, jeden Preis zu zahlen?
Der unstillbare menschliche Hunger nach materiellem Wohlstand wird so zum Übel. Die hemmungslose Bereitschaft, die Natur für Bequemlichkeit und Tand nach Strich und Faden auszubeuten, ist eine Schande. Auf der Hand liegt, dass es klug wäre, den Energieverbrauch durch Selbstbeschränkung und Effizienz so weit wie möglich abzusenken – die verfügbare erneuerbare Energie muss die Zielgröße sein. Fraglich ist, ob sich die Erkenntnis durchsetzt, bevor wir im eigenen Dreck ersticken.
martin.krause@ihr-kommentar.de
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