Bielefeld. Es ist der Traum eines jeden Unternehmers: Engagierte Mitarbeiter, die keine Sozialabgaben kosten und keinen bezahlten Urlaub bekommen. Und das Beste: Mit ihrer Arbeitskraft kann dank tagesaktueller Buchbarkeit flexibel auf Auftragsschwankungen reagiert werden. Ein Traum, der allein in Ostwestfalen hundertfach Realität ist.
"Wir haben schon einen klaren Angebotsvorteil", sagt Friedhelm Sanker, Leiter der Justizvollzugsanstalt (JVA) Senne. "Wenn der Kunde heute nur zwei, aber morgen 20 Arbeitskräfte braucht, ist das für uns kein Problem."
Insgesamt 1.002 Gefangene sind in Senne im offenen Vollzug, 929 von ihnen in Beschäftigung bei Firmen der Umgebung. Nach Sankers Aussage ist die Auslastung von fast 93 Prozent bundesweit einmalig. Sanker: "Wir sind die besten." Der Chef hat allen Grund stolz auf seine Gefangenen zu sein - mit 9,4 Millionen Euro erwirtschaften die Senner Insassen 2008 fast ein Fünftel der Jahreseinnahmen aller 37 NRW-Gefängnisse.
Maximal 15 Prozent Ersparnis
Die sozialversicherungsfreien Angestellten erfreuen sich bereits seit Jahren großer Beliebtheit. "Klar, die Firmen sparen dabei Geld", sagt Sanker. Es handele sich jedoch lediglich um "maximal 15 Prozent". Deshalb sieht er keine Konkurrenzsituation mit normalen Arbeitnehmern "draußen".

Die gibt es jedoch womöglich gegenüber anderen Arbeitnehmern, wie Bernd Weinmann (Name geändert), Betriebsleiter einer ostwestfälischen Behinderten-Einrichtung berichtet. "Besonders bei den Ausschreibungen regionaler Konzerne machen uns die JVAs schwer zu schaffen, weil sie konkurrenzlos günstig sind", sagt er. "Die können wahrscheinlich ganz anders kalkulieren."
Können sie: Je nach beruflicher Qualifikation und Komplexität der verrichteten Tätigkeit verdient ein Gefangener zwischen 8,16 Euro und 13,61 pro Tag, mehr als 11 Euro sind nach Aussage von Armin Meiswinkel, dem stellvertretenden Leiter der JVA Brackwede II jedoch "sehr außergewöhnlich". Die Dienstleistungen aus den Werkstätten des geschlossenen Vollzugs werden dem Kunden hingegen meist als Stückpreis in Rechnung gestellt. "Der hängt auch von der Komplexität der Tätigkeit ab", sagt Sascha Jacoby, Leiter der Arbeitsverwaltung in der JVA Brackwede I. "Dadurch sind wir dann etwas flexibler in der Kalkulation. Unser Hauptziel ist schließlich, die Gefangenen zu beschäftigen." Die Gefahr des Lohndumpings sieht er nicht. "Unsere Fixkosten müssen wir in jedem Fall erwirtschaften", sagt Jacoby.
250 Euro Entgelt im Monat
Das geht Behinderteneinrichtungen genauso. Sie kalkulieren nach Weinmanns Aussage mit einem festen Entgelt von etwa 250 Euro pro Monat. So viel bekommen nur wenige Gefangene ausgezahlt - und das auch nicht sofort. Auf vier Siebtel ihres Tageslohns müssen sie bis zum Ende der Haft verzichten, das Ersparte dient als finanzielle Starthilfe nach der Entlassung.
Besser dran sind die so genannten freien Beschäftigten im offenen Vollzug. In diesen, deutlich selteneren Fällen, schließt nicht die Anstalt, sondern der Inhaftierte selbst den Arbeitsvertrag mit einem ortsansässigen Betrieb. Vom Lohn werden Sozialabgaben abgeführt, außerdem muss der Gefangene seine Unterkunft und Verpflegung bezahlen. "Die Unterbringung kostet zwischen 69,30 Euro und 168,30 Euro pro Monat", sagt Meiswinkel. "Die Verpflegung müssen die Insassen von ihrem frei einteilbaren Taschengeld bezahlen." Das liegt bei etwa 300 Euro pro Monat.
Sanker ist in jedem Fall davon überzeugt, das durch die möglichst flächendeckende Beschäftigung der Gefangenen die Resozialisierungs-Chancen steigen. "So können sie auf dem ersten Arbeitsmarkt besser Fuß fassen", sagt er. "Außerdem ist es gut für die Öffentlichkeit, den Steuerzahler - und die beteiligten Firmen."