Personalmangel durch Wehrpflicht? Kontroverse Debatte um Wiedereinführung

Rund 686.000 Kinder erblickten in Deutschland im Jahr 2005 erstmals das Licht der Welt. Der Jahrgang ist heute an der Schwelle zur Volljährigkeit. Es waren vergleichsweise wenige. Im Rekordjahr 1964 gab es fast doppelt so viele Geburten. Viele Betriebe warten schon auf die jungen Leute. Denn der Wirtschaft geht der Nachwuchs aus. Die heute 18-Jährigen haben es an einem Punkt leichter als viele Kohorten vor ihnen. Bis die Wehrpflicht vor zehn Jahren ausgesetzt wurde, stand für junge Männer die Grundausbildung bei der Bundeswehr auf dem Programm. Als Ersatz kam der Zivildienst, etwa in Pflegeeinrichtungen, infrage. Junge Frauen wurden nicht eingezogen. Nun steht eine Wehrpflicht erneut zur Diskussion. Hintergrund ist die internationale Sicherheitslage, die nach Meinung von Verteidigungsminister Boris Pistorius eine stärkere Armee erfordert. Doch hätte die Wiedereinführung der vor zehn Jahren ausgesetzten Wehrpflicht wohl auch wirtschaftliche Auswirkungen. Das träfe auch für das von der CDU im Entwurf ihres neuen Grundsatzprogramms geforderte Gemeinschaftsjahr für junge Leute zu. Angesichts des allerorten spürbaren Personalmangels erscheint es zunächst nicht ratsam, einen ganzen Jahrgang, zum Beispiel für ein ganzes Jahr, in die Pflicht zu nehmen. Freiwilligendienst als Orientierungsmöglichkeit &bdquo;Die Wiedereinführung einer Wehrpflicht würde voraussichtlich zunächst dazu führen, dass sich die Lage bei der Suche nach Fachkräften temporär verschärfen dürfte“, schätzt der Zentralverband des Deutschen Handwerks (ZDH). Das Handwerk sucht schon jetzt händeringend Nachwuchskräfte. Gänzlich abgeneigt steht der Verband einem gemeinnützigen Einsatz junger Leute jedoch nicht gegenüber. Der ZDH verweist auf die Orientierungsmöglichkeiten, die Jugendlichen im Freiwilligendienst derzeit geboten werden und die zum Beispiel an eine spätere handwerkliche Ausbildung heranführen können. An einen verschärften Personalmangel glaubt auch der Ökonom Oliver Stettes vom Institut der Deutschen Wirtschaft (IW) nicht. &bdquo;Wenn wie zuletzt nur ein Bruchteil eines Jahrgangs eingezogen werden würde, wäre es wirtschaftlich nicht relevant“, sagt er. In den letzten Jahren der Wehrpflicht wurde nur jeder fünfte junge Mann gezogen. Stettes sieht in einer verlängerten Lebensarbeitszeit ein viel größeres Potenzial, um den Arbeitskräftemangel zu vermindern. Unterschiedlich schätzen Experten die arbeitsmarktpolitischen Auswirkungen einer Wehrpflicht ein. Enzo Weber, Forschungsleiter beim Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) lehnt ein Pflichtjahr ab. Probleme in der Pflegeversorgung erwartet &bdquo;Der Arbeitsmarkt soll die richtigen Leute an die richtige Arbeitsstelle bringen“, sagt er, &bdquo;das schafft eine Pflicht nicht.“ Und es wäre der dauerhafte Entzug einer Kohorte vom Arbeitsmarkt. Weber sieht zudem neuerliche Probleme in der Pflegeversorgung, wenn Zivildienstleistende dort eingesetzt werden würden. &bdquo;Ich werte diese Tätigkeiten ab“, befürchtet er einen anhaltenden Lohndruck in der Branche. Stettes widerspricht: &bdquo;Einen zusätzlichen Lohndruck in der Pflege sehe ich aufgrund des Mindestlohnes nicht“. Auch sei die Entlohnung nicht der Grund für den großen Personalmangel in der Pflege. Weber plädiert für eine andere Lösung als eine Wehrpflicht. Besser seien eine Berufsarmee und vernünftige Jobs in den Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen. Gewichtige ökonomische Gründe gegen eine Wehrpflicht sieht das Leibniz Institut für Wirtschaftsforschung (RWI). &bdquo;Den vermeintlichen Vorzügen der Dienstpflicht stehen erhebliche Kosten gegenüber“, stellen die Forscher fest. Den betroffenen jungen Leuten entstehen demnach durch die Verpflichtung erhebliche finanzielle Nachteile, weil sie keine Einkünfte aus dem normalen Berufsleben erzielen können. Das RWI spricht hier von einer &bdquo;implizierten Steuer“, die ihnen auferlegt wird. Außerdem sieht das Institut eine soziale Schieflage, weil sich Kinder aus wohlhabenderen Haushalten dem Dienst leichter entziehen können als Kinder aus schlechter gestellten Haushalten.

Meistgelesen