Arbeitsbedingungen in der Logistik: Welche Auswirkungen Black Friday hat

Die junge Frau, die am Donnerstagabend bei Frank Riedel in der Beratungsstelle der Diakonie im Kreis Herford sitzt, arbeitet in der Logistikbranche im Kreis Lippe. Sie hat einen gültigen Vertrag, ihr Arbeitgeber hält sich aber nicht daran. In ihrem Vertrag steht eine Wochenarbeitszeit von 20 Stunden. Sie packt Pakete und ist für die Qualitätskontrolle zuständig. Auf die vertraglich festgelegte Stundenzahl kommt sie aber häufig nicht, weil ihr Arbeitgeber sie nicht einteilt - und damit bekommt sie auch ein geringeres Gehalt. Einspringen muss dann das Jobcenter Herford, von dem sie Bürgergeld bekommt. &bdquo;Das ist Sozialmissbrauch von Arbeitgeberseite&bdquo; sagt Riedel. Kündigen will die Frau, die in Polen geboren wurde, nicht, sie will ihr Leben in Deutschland und das ihrer vierjährigen Tochter selber finanzieren und sieht dafür derzeit keine andere Möglichkeit, als dieser Arbeit nachzugehen. Damit hat Ingo Nürnberger, Sozialdezernent der Stadt Bielefeld, schon eine mögliche Antwort auf seine Frage, die er am Freitagmittag stellt: &bdquo;Warum lassen Menschen sich ausnutzen?“, fragt er im Historischen Saal der Ravensberger Spinnerei. Dort trifft sich an diesem Black Friday das 2022 gegründete Netzwerk der Initiative für Beschäftigung in OWL, bestehend aus dem Caritasverband im Kreis Gütersloh, der DGB Ostwestfalen-Lippe, der Diakonie im Kreis Herford sowie dem Netzwerk Lippe gGmbH. Dieser Freitag ist ein Großkampftag für die Angestellten der Logistikbranche. Eine weitere Antwort auf Nürnbergers Frage liefert Jan Cremers von der Tilburg Law School in den Niederlanden. Die Angestellten seien oft nicht nur wirtschaftlich von ihrem Arbeitgeber abhängig, sondern auch in den Bereichen Wohnen und Leben - wenn der Arbeitgeber etwa auch als Vermieter auftritt; besonders bekannt seien da Beispiele aus der Fleischbranche. Wie die Arbeitskräfte nach Deutschland kommen Freizügigkeit und grenzüberschreitende Vermittlung von Arbeitskräften in der EU haben arbeitsrechtliche und praktische Probleme ergeben, berichtet der Experte für den europäischen Arbeitsmarkt. Die Suche nach billigen Arbeitskräften sei ein weitverbreitetes Problem. Rekrutiert werden die Arbeitskräfte über Vermittler, Leih- und Zeitarbeitsfirmen, wodurch sie meist in nicht standardisierten Arbeitsverhältnissen landen würden. Kontrolliert werde das grenzüberschreitend häufig nicht. Die Menschen müssten also selber entscheiden, ob sie bleiben, oder wieder gehen. &bdquo;Sie müssen mit den Füßen abstimmen“, sagt Cremers. In Bielefeld haben in den Jahren 2021 und 2022 2.400 Menschen mit den Füßen entschieden. Sie haben die Stadt in diesen Jahren wieder verlassen, weiß Nürnberger. 3.400 Menschen aus EU-Ländern seien im gleichen Zeitraum in die Leineweberstadt gekommen. &bdquo;Die Menschen aus EU-Ländern sind nicht stark im Blickfeld, wenn es um Migration und Integration geht“, sagt Nürnberger. &bdquo;Wir brauchen diese Menschen, die zu uns kommen. Doch offensichtlich haben wir es nicht geschafft, sie zu halten. Sie fühlen sich bei uns nicht gut angenommen, weder in der Arbeitswelt noch gesellschaftlich.“ Die Probleme der Menschen hinter dem Werkstor Vor welchen Problemen die Menschen hier stehen, weiß Serdal Sardas. Er ist Betriebsratschef bei Amazon im niedersächsischen Wunstorf. 2022 war er Mitinitiator für die Gründung des Betriebsrats, nachdem auf Probleme wie zu hohe Arbeitsbelastung und unverständliche Schichtwechsel nicht reagiert wurde. Während der Gründung des Betriebsrats stieß dann auch er selber auf Probleme: Er bemerkte etwa, dass seine Arbeitszeiten aufgeschrieben wurden. Erst nachdem er das mehrfach bei seinem Vorgesetzten angesprochen hatte, endete diese Erfassung. Wozu das hätte führen können, sieht er jetzt in Sehnde bei Hannover. Dort wurde, so berichtet es Sardas, gerade ein Kollege, der dort für die Betriebsratswahl kandidieren wollte, wegen vermeintlichen Arbeitszeitbetruges freigestellt. Als Betriebsratsvorsitzender beschäftigt sich Sardas jetzt wieder mit den Problemen seiner Kollegen. &bdquo;Viele Probleme bei der Arbeit lassen sich durch Gespräche klären“, sagt er. &bdquo;Die meisten kommen eher mit Problemen im privaten Bereich.“ Etwa, weil sie keine Wohnung finden konnten. Die meisten seiner Kollegen haben einen Migrationshintergrund. Fast jeden Monat, so berichtet er, schreibt er nun Stellungnahmen, um die Abschiebung eines Kollegen zu verhindern. Die Probleme der Paketzusteller Auch auf der anderen Seite des Werkstores, auf der sogenannten letzten Meile, dem Weg zum Kunden, stoßen die Angestellten auf Probleme, berichtet Tina Morgenroth. Sie ist die Projektleiterin der Beratungsstelle Faire Mobilität in Thüringen. Viele Paketzusteller arbeiten für Subunternehmen und sind nicht bei Amazon angestellt, auch wenn das auf dem Auto oder der Weste steht. Der Auftraggeber stellt zum Teil die Arbeitskleidung und er legt die Routen fest. Angestellt seien die Menschen aber bei Subunternehmern. &bdquo;Viele Kurierfahrer wissen gar nicht, wo sie genau angestellt sind.“ Das falle ihnen aber erst auf, wenn sie Probleme mit ihrem Arbeitgeber bekämen: Oft werde die Arbeitszeit nicht richtig erfasst, man werde den ganzen Tag über Software überwacht, die Arbeitsverhältnisse seien wenig planbar und das Verfahren bei der Vertragsunterzeichnung sei intransparent. Mangelnde Sprachkenntnisse würden es möglich machen, dass man nicht nur den Arbeitsvertrag unterschreibe, sondern gleich auch den Aufhebungsvertrag. &bdquo;Dort wird dann das Datum eingetragen, wenn man den Beschäftigten nicht mehr braucht“. Was jeder Einzelne tun kann &bdquo;Die Logistikbranche ist ein potenter Arbeitgeber für Kommunen“, sagt Riedel. Es gebe dort Arbeiten, die auch mit mangelnden Deutschkenntnissen machbar und die einfach zu erlernen seien. Darum dürfe man die Branche auch nicht verteufeln. Dennoch müsse man sich damit beschäftigen, wie es den Beschäftigten gehe, wie die Arbeitsbedingungen aussehen. Um die Situation der Menschen zu verbessern, müsse es, so ergänzt Marike Tabor, Geschäftsführerin der Initiative für Beschäftigung OWL, einen niederschwelligen Zugang zu Hilfsangeboten geben wie etwa durch Beratungen am Arbeitsplatz in der eigenen Muttersprache. &bdquo;Ein Stück weit kann jeder etwas tun, um dabei zu helfen, dass das Zusammenleben fairer gestaltet wird“, sagt sie. Mit Hinblick auf die Vielzahl der Onlinebestellungen und das Aussterben der Innenstädte ergänzt sie: &bdquo;Das beginnt schon damit, dass wir uns überlegen, wie bequem wir sind.“

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