"Mit der Vier-Tage-Woche wird sich OWL nach unten entwickeln"

Bielefeld. Die Einstimmung geriet düster: Ein Drittel aller Handwerksunternehmen verfüge über keine Seite im Internet, ein Viertel ihrer Arbeitszeit ginge allein für die Verwaltung drauf. Es gehe "sichtbar bergab". Auf eine Umfrage unter Betrieben hätten 67 Prozent geantwortet, dass ihre Suche nach Fachkräften aufwändig oder erfolglos sei. Mit diesen Fakten eröffnete Moderator Marcus Werner die Diskussion zu "New Work" am Campus Handwerk in Bielefeld. Gesucht waren neue Arbeitsmodelle, die das Handwerk attraktiver machen und helfen, den Fachkräftemangel zu lindern. Zunächst aber ging es um eine Bestandsaufnahme. Gastgeber Jens Prager, Hauptgeschäftsführer der Handwerkskammer OWL, ordnete die genannten Zahlen sogleich ein: Schuld am Fachkräftemangel seien die geburtenschwachen Jahrgänge, eine zu große Zahl von Akademikern, außerdem verkaufe sich das Handwerk marketingmäßig zu schlecht. Unternehmer Lasse Rheingans, bundesweit bekannt als Verfechter der Vier-Tage-Woche, beschrieb das deutsche Schulsystem als ungeeignet. Es bilde für eine Welt aus, "die es nicht mehr gibt". Auch der Geschäftsführer der landeseigenen Gesellschaft für innovative Beschäftigungsförderung, Torsten Withake, mahnte, sich auf die Jugendlichen zu konzentrieren, denen Unternehmen bereits während der Schulzeit Praktika anbieten sollten. Es gehe darum, zu zeigen, "wie toll die duale Ausbildung ist", so früh wie möglich Interesse zu wecken, und sei es in der Grundschule. Kooperationen zwischen Schulen und Unternehmen seien der richtige Weg. Maler berichtet von Problemen mit Vier-Tage-Woche Eine Meldung aus dem Publikum wies darauf hin, dass der Rahmenlehrplan für Maurer seit 1987 nicht mehr aktualisiert worden sei, obwohl sich das Berufsbild stark gewandelt habe. Darauf eingehend vermutete die ehemalige Generalsekretärin der NRW-SPD, Nadja Lüders, die Betriebe seien bei Ausbildungsinhalten "oftmals viel weiter" als der Staat. Im Übrigen sei es notwendig, dass auch an Gymnasien das Handwerk vorkomme. Im zweiten Abschnitt sollte es dann um neue Arbeitszeitmodelle gehen – und wieder machten Zahlen den Anfang. Einer Umfrage in sozialen Netzwerken zufolge hielten 81 Prozent sowohl die Vier-Tage-Woche als auch eine gute Vereinbarkeit von Familie und Beruf im Handwerk für möglich. Es folgte ein Realitätscheck. Malermeister Dietmar Ahle aus Paderborn berichtete von der Schwierigkeit, die Vier-Tage-Woche im Schichtsystem, in einem wetterabhängigen Beruf umzusetzen. Er habe sich außerdem entscheiden müssen: Entweder auf die Mitarbeiterwünsche nach langem Urlaub während der Schulsommerferien einzugehen oder die Vier-Tage-Woche zu ermöglichen. Beides sei unmöglich. Philipp Kielhorn vom Autohaus Markötter in Bielefeld berichtete hingegen, wie sein Unternehmen offenbar erfolgreich die verkürzte Woche praktiziere. Vier-Tage-Woche nicht für alle möglich Gastgeber Prager von der Handwerkskammer überzeugte das nicht: Das Modell entspreche nicht der Lebensrealität der Handwerksbetriebe. Ohne eine Reduzierung der Arbeitszeit bedeute es 40 Stunden an vier Tagen zu arbeiten – das bringe nicht nur rechtliche Probleme mit sich. "In der Summe aller Teile wird sich OWL, bei Einführung der Vier-Tage-Woche, vom ersten Tag an nach unten entwickeln", so Pragers Urteil. Nadja Lüders riet zur Differenzierung. Man könne das Handwerk nicht mit der Industrie vergleichen. Dort liege die Arbeitszeit in tarifgebundenen Unternehmen oftmals bei 35 Stunden und könne ganz anders verteilt werden. "Hört sich alles schön an, und es wird Entwicklungen geben", so Lüders, "aber im Moment ist das nur in Teilbereichen praktikabel." Es war so etwas wie das Fazit der Debatte: so wenig es eine pauschale Lösung für den Fachkräftemangel gibt, so wenig eignet sich die Vier-Tage-Woche für alle. Der Gewinn der Diskussion für die Zuhörer bestand in der nie langweiligen Auseinandersetzung mit unterschiedlichen Themen. Maja Gehle vom Bielefelder Unternehmen Kipp Tiefbau gelang es, der von einigen Podiumsteilnehmern forcierten Angst vor ausbleibendem Wachstum mit dem Aufruf nach mehr Menschenbildung entgegenzuhalten. Sie sieht die Unternehmen in der Pflicht, Kindern und Jugendlichen zunächst die Freude am Schaffen zu vermitteln. "Allein regelmäßiger Schulunterricht wäre schön", stellte sie mit Blick auf die Schulrealität zudem fest. Und fernab von KI müssten viele Lehrlinge erst einmal den Sinn in pünktlichem Erscheinen am Arbeitsplatz um 7 Uhr morgens kennenlernen.

Meistgelesen