Algenfarm statt Ackerbau

Ob in Säften, Smoothies, Gummibärchen – überall sind Algen drin, Mikroalgen mit Namen wie Chlorella oder Spirulina. Welche Power in diesen Winzlingen steckt, ist schon seit den 1950er-Jahren bekannt, als die Welternährungsorganisation FAO sie als Superfood bezeichnete. Der gute Ruf der gehaltvollen Einzeller ist inzwischen bis nach Ostwestfalen-Lippe vorgedrungen, wo die Universität Bielefeld ein Algen-Forschungsprojekt betreibt. Hinzu kam kürzlich noch ein Start-up-Unternehmen, das sich mit der Zucht der Mikro-Organismen in größerem Umfang beschäftigt. Sein Name: Algenium. Die Gründer: Johann Meyer zu Bentrup, ein Landwirt, sowie der Biotechnologe Dominik Cholewa und der Biologe Viktor Klassen. Algen gelten als wertvoll Wie die drei zueinander fanden, hat Meyer zu Bentrup schon häufig erzählt: &bdquo;Meine Mutter zeigte mir eine Zeitungsveröffentlichung über das Projekt an der Universität." Seine ursprüngliche Idee sei gewesen, die Algen in der Biogasanlage, die der promovierte Landwirt gemeinsam mit seinem Geschäftspartner Wolf-Friedrich von Dallwitz auf dem benachbarten Gut Eckendorf betreibt, einzusetzen. Dass dies allerdings pure Verschwendung wäre, sollte er schon kurz darauf erfahren. Algen gelten dafür als viel zu wertvoll. An der Universität erreichte Meyer zu Bentrup zunächst den Lehrstuhlinhaber Olaf Kruse, einen ehemaligen Schüler seiner Mutter. Der lud ihn in die Hochschule ein, machte ihn mit Cholewa und Klassen bekannt. Das Trio tauschte sich aus und war schnell begeistert von der Vorstellung eines gemeinsamen Unternehmens: Algenium, so das erklärte Ziel, sollte als Quelle neuer Grundstoffe für die Lebensmittel-Herstellung entwickelt werden. Kosmetikproduzenten, die den gehaltvollen Rohstoff gegen Alterungsprozesse der Haut einsetzen, und ebenso die Pharmabranche könnten als weitere Abnehmer folgen. Der Firmensitz: Eine alte Scheune auf dem historischen Anwesen der Familie Meyer zu Bentrup in Brönninghausen an der Grenze zu Lippe. Bis ins Jahr 1305 gehen die Wurzeln der Hofanlage zurück. Im Labor werden die Grundlagen erarbeitet In der ersten Etage hat sich die Keimzelle des Start-ups eingerichtet, ein Versuchslabor, in dem die Forscher mit ihrem Team junger Wissenschaftler die Grundlagen für spätere Serienproduktionen erarbeiten. Ein selbst entwickelter beleuchteter Bio-Reaktor bringt grünliche Flüssigkeit zum Blubbern. Mikroalgen sind das, gemischt mit reinstem Wasser aus dem hauseigenen Brunnen. In den transparenten Röhren des Reaktors bekommen die Algen von allen Seiten das zum Gedeihen erforderliche Licht. &bdquo;Dieses geschlossene System ist gegenüber äußeren Einflüssen deutlich sicherer als etwa die offenen Zuchtanlagen in Asien", erklärt Meyer zu Bentrup. Pasteurisiert wird im Entsaftungsbetrieb Hat die Flüssigkeit dann eine tiefgrüne Nuance erreicht, ist es Zeit für die Ernte. Das Gemisch wird zur Hälfte abgepumpt, erhält erneut frisches Wasser und kommt zum Pasteurisieren in den Entsaftungsbetrieb Wernicke in Leopoldshöhe. Nebenan sitzt Enes Cebeci vor einem Mikroskop und einer Batterie Flaschen mit Abfüllungen unterschiedlicher Algen. 20 Sorten testet das Team aktuell. Insgesamt soll es mindestens 40.000 geben, schätzt Viktor Klassen. &bdquo;Hier unternehmen wir die ersten Schritte in Richtung Skalierung, erarbeiten Grundlagen für die spätere Herstellung." Geduld ist gefragt. Denn was im Reagenzglas funktioniere, müsse nicht zwangsläufig im größeren Maßstab zu gleichen Ergebnissen führen. Unterdessen wird die endgültige Produktionsstätte unten in der großen Scheune eingerichtet. Wann in dem früheren Strohballen-Lager die grünen Alleskönner in Serie abgefüllt werden, hängt vom Fortgang des behördlichen Genehmigungsverfahren ab. &bdquo;Bisher bekommen wir viel positive Resonanz, ob vom Bau- und Umwelt oder Gesundheitsamt", äußert sich Meyer zu Bentrup zuversichtlich. Denkbar wäre auch eine neuartige Limonade &bdquo;Unsere Idee ist, den Kunden die Algen gewissermaßen als Rohware zu liefern", erläutert Dominik Cholewa. Wobei er nicht ausschließen will, mit seinen Partnern auch selbst einmal &bdquo;ein spannendes Endprodukt", aus der Algenium-Produktion zu kreieren. Das könnte zum Beispiel eine neuartige Limonade sein. Erfahrung in der Entwicklung von Getränken hat er schon. Zum 50-jährigen Bestehen der Universität braute Cholewa mit seinen Studenten ein &bdquo;Jubelbier". Algen verzehren und gleichzeitig Gutes tun für Gesundheit und Umwelt – das soll künftig mehr Verbrauchern in und außerhalb der Region möglich sein, so das erklärte Ziel der Gründer. Wegen ihres hohen Proteingehalts, der zahlreichen Mikronährstoffe und Antioxidantien gelten die Pflanzen als perfekte Nahrungsergänzung für Vegetarier und Veganer, die den aktuellen Algenboom mit ausgelöst haben. Für diese Gruppe besonders interessant ist das Vitamin B 12 in der Chlorella, die im Vergleich zu Rindfleisch bis zur dreifachen Menge aufweisen kann. Und in puncto Nachhaltigkeit und Klimabilanz seien Algen den Rindern eindeutig überlegen. Liegt doch laut Klassen bei deren Aufzucht der Wasser- und Kohlendioxidverbrauch ungleich höher. Ein weiterer Vorteil: Chlorella, Spirulina & Co gehören zu den natürlichen Jodquellen. Während in Asien das Thema Algen längst nicht mehr neu ist, gibt es in Europa erst wenige Farmen. In Deutschland schätzt Meyer zu Bentrup die Zahl auf insgesamt drei. Für den bodenständigen Landwirt ist es selbstverständlich, dass er mit seinen Partnern das Unternehmen auch künftig am Standort Bielefeld weiter entwickeln wird. Ein Verkauf an Investoren, gar ein Auftritt in der TV-Show &bdquo;Höhle der Löwen" – unvorstellbar. &bdquo;Wir sind aus Bielefeld und bleiben in Bielefeld." Sein Startup Algenium definiert er, der Agronom, übrigens als landwirtschaftlichen Betrieb. &bdquo;Wir sind wie alle anderen Bauernhöfe auch Zulieferer der Lebensmittelbranche." Algen statt Ackerfrüchte, warum eigentlich nicht.

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